Mit seinen Schelmen und Schellen ist er aus keiner Fastnacht wegzudenken: der Narr. Doch warum hat es gerade diese Figur zum Repräsentanten der tollen Tage geschafft? Werner Mezger, Professor für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie ist Experte für die Fastnacht im Südwesten. Er hat den „Narr“ in seinen Forschungen genauer unter die Lupe genommen.
Narrheit als Pandemie
Die Figur des Narren kam um die Wende des 15. zum 16. Jahrhundert auf. Mezger erklärt, dass die Menschen damals mit vielen Veränderungen in ihrem Weltbild fertigwerden mussten: „Da sind Entdeckungen gemacht und der Buchdruck ist erfunden worden. Man hat gesehen, dass die Erde keine Scheibe ist – da kamen alle mittelalterlichen Vorstellungen ins Wanken. Die ganze Welt war im Umbruch und das hat Angst gemacht.“ Die Menschen fragten sich, wie es dazu kommen konnte – und der Gelehrte Sebastian Brant fand im Jahr 1494 mit seinem Buch „Das Narrenschiff“ eine Antwort darauf. „Er hat den ersten Bestseller nach der Bibel geschrieben,“ sagt Mezger. In diesem Buch packte Brant alle Dummheiten der Welt in das Bild des Narren. „Man hat geglaubt, die Narrheit greift epidemisch um sich wie eine Pandemie.“
Nur ein Narr verleugnet Gott
Im Mittelalter war der Narr definiert als die Gestalt, die Gott verleugnet. Diese Vorstellung entsprang der Bibel: In Psalmenhandschriften am Anfang des Psalms 52 (= lateinische Zählung, nach griechischer Zählung Psalm 53), spricht der Narr: ‚Non est Deus‘ – ‚Es gibt keinen Gott.‘ Das war nach damaliger Auffassung der Beginn der Dummheit, denn der Sapiens, der Weise, galt allein deshalb als weise, weil er in der Erkenntnis Gottes lebt.
Der Narr als Freund des Teufels – Einzug in die Fastnacht
Nach dem Erscheinen des Buches „Das Narrenschiff“ zog der Narr massenweise in die Fastnacht ein und überrundete zahlenmäßig sogar den Teufel, die bis dato traditionellste Fastnachtsverkleidung. „Verwandt sind sie natürlich, und zwar aufs Engste. Der Teufel ist kein Freund Gottes und der Narr behauptet, es gibt keinen Gott,“ erklärt Mezger. Da die Fastnacht von der Kirche ‚verteufelt‘ wurde und für sie den Gegenspieler der Fastenzeit bildete, passte der Teufel zur Fastnacht – und somit auch der Narr.
Der Narr als Symbol des Todes
Der Narr steht nach Mezger allerdings nicht nur dem Teufel, sondern auch dem Tod nah: „Das war die theologische Folge: Wer behauptet, es gibt keinen Gott, der ist automatisch dem Tod und der ewigen Verdammnis verfallen. Deswegen stand der Narr in letzter Konsequenz eben auch für den Tod.“ Und von da führt der direkte Weg zum Aschermittwoch: „Die Fastnacht nimmt durch den Auftritt der Narren im Grunde den Aschermittwochsgedanken und die Vergänglichkeit schon mit ihren Mitteln vorweg.“ Dieser „memento mori“-Gedanke setzt sich im Kirchenjahr dann bis Ostern fort und findet ihren Höhepunkt in der Auferstehung Christi.
Bedeutungswandel
Nach dieser ursprünglich negativen Sicht auf den Narren hat er heute positivere Eigenschaften: Er hält der Welt den Spiegel vor und hat dabei „Narrenfreiheit“. In diesem Zusammenhang handelt er noch heute in der Fastnacht. Beispielsweise klagt er die Obrigkeit an, wie Politiker beim Narrengericht in Stockach. Mezger erkennt sein Potenzial: „Er wird zu einer Möglichkeit, moralisierend auf die Welt einzuwirken.“