Seit Wochen demonstrieren Menschen bundesweit gegen Rechtsextremismus und setzen ein Zeichen für die liberale Demokratie. Jonatan Burger, Dekanatsreferent im Dekanat Mergentheim, promoviert gerade mit einer Arbeit zum Thema Rechtspopulismus. Im Interview erklärt er, wie Rechtspopulismus und Rechtsextremismus zusammenhängen, wie Rechtspopulismus die Kirchen herausfordert und wie diese reagieren können.
Herr Burger, waren Sie auf einer der aktuellen Kundgebungen gegen Rechtsextremismus?
Jonatan Burger: In Bad Mergentheim war am Samstag, 2. März, auf dem Marktplatz eine Demonstration gegen Rechtsextremismus, auf Initiative von Schüler:innen vom Deutschorden-Gymnasium unterstützt durch das Netzwerk gegen Rechts Main-Tauber. Die Münstergemeinde St. Johannes war in dem großen zivilgesellschaftlichen Unterstützerfeld mit ihrem Logo abgebildet, das Caritas-Krankenhaus und der BDKJ ebenso – das hat mich sehr gefreut. Es nahmen 1500 Menschen teil. Darunter waren auch immer wieder Gesichter von Kirchenmitgliedern zu entdecken – und wir waren als Familie auch dabei.
Wie war die Stimmung unter den Teilnehmenden?
Es tat gut zu sehen – und so ging es bestimmt vielen –, wie breit das Bündnis war, wie bunt und vielfältig sich die gesellschaftliche Mitte aufgestellt hat. Denn es ist bei dem Thema wichtig, deutlich zu machen, dass es nicht um Parteipolitik geht, sondern um ein grundsätzliches Zusammenstehen gegen eine rechtsextremistische Bedrohung der Demokratie und der pluralen Gesellschaft.
Die Erklärung der deutschen Bischöfe, die die AfD als für Christen nicht wählbar einstuft, trägt letztlich dem Rechnung, wie sich die Partei in den vergangenen Jahren radikalisiert hat.
Neben den vielen Demonstrationen gab es kürzlich auch eine Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz gegen Rechtsextremismus. Hat Sie das überrascht?
Sie hat mich insofern nicht überrascht, als sich die ostdeutschen Bischöfe bereits Ende Januar deutlich positioniert hatten. Die Erklärung der deutschen Bischöfe, die die AfD als für Christen nicht wählbar einstuft, trägt letztlich dem Rechnung, wie sich die Partei in den vergangenen Jahren radikalisiert hat. Spätestens nach den Correctiv-Recherchen tut dieses deutliche Zeichen der Deutschen Bischofskonferenz zusammen mit der EKD und anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren not, um die Bedrohung für die liberale Demokratie klar zu benennen.
Wie hängen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus zusammen?
Das ist eine sehr wichtige Frage, da an dieser Stelle eine begriffliche Klarheit nötig ist. Wir neigen in der Alltagssprache dazu, Dinge relativ schnell als populistisch zu benennen, wenn es sich um zu kurz gegriffene Forderungen handelt, mit denen man schnell Zustimmung erreichen will. Aber das ist nicht das, was man in der Politikwissenschaft – zumindest bei dem Politikwissenschaftler, auf den ich mich in der Promotion gestützt habe: den Niederländer Cas Mudde – unter Populismus versteht.
Die Vorstellung, einen einheitlichen Willen des Volkes destillieren zu können, den natürlich nur die Populisten repräsentieren können, ist antipluralistisch und antidemokratisch.
Wie wird Populismus dann wissenschaftlich verstanden?
Mudde definiert Populismus als eine dünne Ideologie, nach der die Gesellschaft in zwei homogene, gegensätzliche Lager gespalten ist: das anständige Volk auf der einen Seite und die korrupte Elite auf der anderen Seite. Politik soll in den Augen von Populist:innen Ausdruck des Gemeinwillens des Volkes sein. An der Stelle wird es entscheidend: Was ist der Gemeinwille des Volkes? Die Vorstellung, einen einheitlichen Willen des Volkes destillieren zu können, den natürlich nur die Populist:innen repräsentieren können, ist antipluralistisch und antidemokratisch. Es ist nicht das, was wir unter einer liberalen Demokratie, einer vielfältigen Demokratie verstehen.
Und wie schlägt der Rechtspopulismus den Bogen zum Rechtsextremismus?
Diesen Populismusbegriff kann ich mit einem linken Populismus genauso wie mit einem rechten Populismus kombinieren. Wenn ich ihn als Rechtspopulismus verstehe, dann kombiniere ich dieses Politikverständnis mit der Einstellung, dass es darum geht, nur die Interessen derjenigen zu vertreten, die in eine Gemeinschaft hineingeboren sind. Und hier liegt die Verknüpfung zum Rechtsextremismus nahe, der grundsätzlich von der Ungleichwertigkeit zwischen verschiedenen Menschengruppen ausgeht.
Es ist ein fließender Übergang?
Der Übergang von Rechtspopulismus zu Rechtsextremismus ist am Ende nicht komplett trennscharf. Man denke an zwei Kreise, die sich überschneiden. Im Rechtspopulismus überschneiden sich zwei Denkansätze.
Also sollte auch schon Rechtspopulismus nicht verharmlost werden?
Es wäre eine Gefahr, Rechtspopulismus nur als Rechtsextremismus light, als weniger schlimm zu bezeichnen. Auch der Rechtspopulismus ist schon demokratiegefährdend – nur wendet er sich nicht dezidiert gegen die Demokratie, wie man es zum Beispiel von Neonazis kennt, die einen Ein-Parteien-Führerstaat fordern. Er versucht, mit demokratisch anmutender Rhetorik bei demokratischen Wahlen Zustimmung zu erhalten. Sobald er diese Zustimmung mehrheitlich erhalten hat, geht es dann aber schnell um den Umbau des demokratischen Staates, damit er die Macht nicht mehr verliert – das hat man in Polen und Ungarn gesehen.
Und wenn wir als Christ:innen an der Seite derjenigen stehen sollen, die von Ausgrenzung betroffen sind, dann bedarf es einer christlichen Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus.
Auf welche Weise fordert dieser Rechtspopulismus die Kirchen heraus?
Rechtspopulismus richtet sich gegen die liberale Demokratie: Das darf die Kirchen, Christ:innen als Staatsbürger:innen nicht kaltlassen. Dann richtet er sich gegen marginalisierte Menschengruppen: gegen Geflüchtete, gegen Minderheiten. Und wenn wir als Christ:innen an der Seite derjenigen stehen sollen, die von Ausgrenzung betroffen sind, dann bedarf es einer christlichen Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus. Und zuletzt richtet sich der Rechtspopulismus inzwischen auch gegen Kirchen als Institutionen, als zivilgesellschaftliche Akteure selbst, und gegen andere zivilgesellschaftliche Akteure, weil sie einer Normalitätsverschiebung nach rechts entgegenstehen können.
Wie ist konkret das Verhältnis der AfD zu den Kirchen?
Immer kirchenfeindlicher. Es geht so weit, dass schon 2017 auf dem AfD-Parteitag zum Kirchenaustritt aufgerufen wurde, weil sich Bischöfe oder Spitzenvertreter:innen vom ZdK gegen die Partei positioniert hatten. Der Rechtspopulismus nutzt Religion hauptsächlich als kulturelles Element, um eine Abgrenzung zu markieren. Er reduziert Religion zu einem kulturellen Identitätsmarker, um eine Dichotomie aufzumachen zwischen dem Christentum und dem Islam. Sobald sich aus Religion ein politischer Mitgestaltungswille folgert, der nicht zur Agenda der Rechtspopulist:innen passt, wird Religion unbequem – und dann nimmt der Rechtspopulismus sie ins Schussfeld.
Wo können Kirchen ansetzen, um etwas gegen Rechtspopulismus zu tun?
Kirche kann – und das tut sie mit der Erklärung der deutschen Bischöfe jetzt ja sehr deutlich – vor dem Rechtspopulismus als politischem Angebot warnen und seine Konsequenzen aufzeigen. Kirche kann gezielt diejenigen unterstützen, die von Rechtspopulismus bedroht sind, zum Beispiel weil sie in Deutschland Schutz suchen oder zu Minderheiten gehören. Kirche kann im Bildungsbereich, im politischen Bereich aber auch nachfragen, was die Hintergründe rechtspopulistischer Konjunkturen sind, warum die Nachfrage nach Rechtspopulismus im Moment so hoch ist.
Jeder Beitrag zur Stärkung des Ehrenamts in der Gesellschaft ist letztlich ein Rezept gegen Rechtspopulismus.
Warum ist der Rechtspopulismus denn so groß geworden?
Die Literatur, die das analysiert, füllt Regalmeter. Ich kann aber kurz Punkte nennen, was Kirchen auf der Nachfrageseite gegen Rechtspopulismus tun können: Sie können dazu beitragen, Visionen zu entwickeln, wo wir als Gesellschaft hinmöchten. Die Kirchen können rechtspopulistischer Nostalgie mutiges Vorangehen entgegensetzen. Sie können Räume bieten, um Menschen über bestehende Filterblasen hinaus miteinander ins Gespräch zu bringen. Und Kirchen können Gelegenheiten bieten, sich selbst als wirksam zu erachten: Wenn man sich anschaut, wer weniger für Rechtspopulismus empfänglich ist, dann sind es Menschen, die sich für andere ehrenamtlich einsetzen. Jeder Beitrag zur Stärkung des Ehrenamts in der Gesellschaft ist letztlich ein Rezept gegen Rechtspopulismus.
Ist das alles aber nicht eigentlich die Aufgabe der Politik und der demokratischen Parteien und nicht das Geschäft der Kirche?
Die Kirche soll nicht im Detail ausbuchstabieren, was die politische Agenda sein soll. Aber es geht darum, einen optimistischen Blick nach vorne zu wagen. Dazu können die Kirchen einen Beitrag leisten. Hoffnung ist das, was wir als Christ:innen in die Gesellschaft einbringen können.