Bischof Dr. Gebhard Fürst: Begrüßung und Input beim Gespräch mit Muslimen 2008

Stuttgart, Stella Maris

Herzlich begrüße ich Sie hier in meinem Bischofshaus in Stuttgart und freue mich, dass Sie meiner Einladung zu Gespräch, Begegnung und Austausch gefolgt sind.

Ich freue mich, dass wir dieses Gesprächsforum zu einer stetigen Einrichtung entwickeln. Gerade in der heutigen Zeit müssen wir gemeinsam und verstärkt nach Möglichkeiten suchen, einander noch besser kennen zu lernen, den anderen zu verstehen, tragfähige Brücken zu einander zu bauen, um miteinander das Zusammenleben in der einen Welt und in unserer Gesellschaft zu ermöglichen.

Mit Freude habe ich wahrgenommen, dass sich alle bedeutenden islamischen Organisationen in Baden-Württemberg um eine gemeinsame Plattform bemühen, um mit einer Stimme zu sprechen und damit auch als Gesprächspartner profiliert erkennbar zu werden. Ich selbst war bei dem Empfang am 20. Oktober 2007 leider verhindert, aber Prälat Bour war als Gast und Festredner anwesend.

Erfreulich ist auch das soeben mit einer Publikation dokumentierte Projekt "Gesellschaft gemeinsam gestalten“. Ich freue mich über solche Projekte und möchte hier zu Beginn ausdrücklich allen - christlichen wie muslimischen - Gesprächspartnern danken, die sich dabei eingebracht haben.

Denn zum wirklichen Dialog miteinander gehört neben der Kontinuität sowie der offenen und ehrlichen Bereitschaft, sich einzubringen, der gemeinsame Wille, sich den Fragen zu stellen: Fragen, die in unserer Zeit anstehen, auf die viele Menschen eine Antwort erwarten, Fragen, die einer gemeinsamen Klärung bedürfen, Fragen, die man nicht beiseite schieben darf, wenn man miteinander in eine gute Zukunft gehen darf. In meinen Augen gehört zu diesen Fragen das Thema der Gewalt und die Frage nach unserer Haltung der Gewalt gegenüber.

Ich freue mich daher, dass Sie meiner Einladung heute gefolgt sind, damit wir uns heute im Gespräch intensiver auf diese Frage konzentrieren können. Gleich zu Anfang möchte ich eventuellen Missverständnissen mit zwei Vorbemerkungen entgegentreten:

1. Mein Anliegen, heute mit Ihnen über Gewalt zu sprechen, speziell im Hinblick auf die Haltung, die der Islam diesbezüglich einnimmt, möchte keineswegs Sie als Muslime auf die Anklagebank setzen. Sie sollen selbstverständlich nicht genötigt werden, sich für Ereignisse zu rechtfertigen, bei denen ich mir sicher bin, dass auch Sie diese verabscheuen. Keiner hier im Raum ist dafür verantwortlich oder soll sich dafür rechtfertigen müssen. Das wäre mir zu trivial, wir sind keine billige Talkshow!

2. Selbstverständlich bin ich mir auch darüber bewusst, dass Gewalt kein spezifisch islamisches, sondern ein sehr allgemeines, leider weit verbreitetes Phänomen ist und seit Anbeginn zum Menschen gehört. Bereits Kain, der älteste Sohn Adams, erschlug bekanntlich seinen jüngeren Bruder Abel. Wir alle können uns letztlich nicht von Gewalt freisprechen.

Christlich gesehen resultiert Gewalt aus der mit seiner Endlichkeit mitgegebenen Sorge des Menschen um sich selbst. Wir Menschen sind aufgrund unseres Geschaffenseins verwundbar und vergänglich. Deshalb haben wir Angst um uns selbst und suchen uns um jeden Preis und ohne Rücksicht auf andere zu sichern. Diese „Furcht vor dem Tod“ (Hebr. 2,15) ist nach der christlichen Botschaft die Wurzel aller einzelnen Sünden.

Die christliche Botschaft sagt sogar, dass der Mensch aus sich selbst gar nicht in der Lage ist, diese abgründige Angst zu überwinden. Danach wäre der Mensch zur Unmenschlichkeit verdammt, wenn nicht Gott, der Schöpfer aller Dinge, sich erbarmte und ihn erlöste.

Nach christlicher Überzeugung geschieht dies durch Jesus Christus, der den Tod besiegt und so den Menschen die Gemeinschaft mit sich zugesagt hat. Erst aus dem vertrauenden Glauben darauf, letztendlich in Gott geborgen zu sein und nicht verloren zu gehen, eröffnet sich christlich gesehen den Menschen die Freiheit, selbstlos füreinander einzutreten und damit so zu handeln, wie es dem Willen Gottes entspricht. Das ist es auch, was wir Erlösung nennen.

Ich führe das deshalb hier aus, weil die Sinnspitze der christlichen Botschaft unzweideutig darauf abzielt, den Menschen aufzuzeigen, dass ihr Leben mit allen Anfeindungen, Niederlagen und Brüchen, die es mit sich bringt, nur dann gelingen und damit menschlich gestaltet werden kann, wenn sie sich aus der Liebe heraus, mit der sich ihnen Gott zuwendet, auch ihrem Nächsten zuwenden.

Meine geehrten Herren, grundsätzlich möchte man davon ausgehen, dass dies bei aller Unterschiedlichkeit letztlich das Anliegen jeder Religion sein muss. Und damit versuche ich mich dem Islam zuzuwenden.

In seinem Islamischen Wort vom August letzten Jahres, das Ihnen allen nochmals zugesandt wurde, nimmt Herr Mazyek darum genau das auch für den Islam in Anspruch. Es hat mich nicht nur beeindruckt, mit welch guten Argumenten aus Koran und Sunna er das belegen kann. Zugleich tritt er entschieden einer Gewalt im Namen des Islam entgegen.

Dabei wird für mich regelrecht seine Entrüstung spürbar, dass mache seiner Glaubensgeschwister offensichtlich eine deutlich andere Auffassung vertreten.
Genau um diese Frage geht es mir: den Muslimen, für die Gewalt offensichtlich durchaus ein nicht nur legitimes sondern gottgefälliges Mittel zur Durchsetzung des ‚göttlichem Willens’ darstellt, scheinen Koran und Sunna ebenso ‚gute’ Argumente zur Verfügung zu stellen, wie Herrn Mazyek für seine Sichtweise.

Denn – und das meine ich in keiner Weise polemisch - es ist ja durchaus nicht so, dass diese Muslime aus ihrer Sicht „mit den Geboten des Islam brechen“, wie Herr Mazyek das sagt. Muss man nicht vielmehr davon ausgehen, dass auch sie ihr Handeln ganz im Einklang mit Koran und Sunna sehen? Denn wie sonst könnten sie nicht bereit sein, sogar dafür zu sterben? Diese Zweideutigkeit ist es, was mir Probleme macht und nicht nur mich beunruhigt.

Um es gleich vorwegzunehmen und hier klar zu benennen: Auch so genannte Christen haben sich – weiß Gott – immer wieder unter Berufung auf ihren Glauben der Gewalt bedient, und tun das bedauerlicher Weise immer wieder. Aber sie widerlegen sich im selben Moment als Christen. Der Gekreuzigte selbst widerlegt sie eindeutig. Denn wer wollte die Botschaft von der Liebe Gottes mit Gewalt durchsetzen?

Das wäre ein Widerspruch in sich. Wenn sie dazu herausgefordert wird, ist die Liebe wehrlos und muss sich verspotten und misshandeln lassen, um sich selbst treu zu bleiben. Aber in der Auferstehung wird ihre alles besiegende Macht sichtbar. Da wird – aller Gewalt zum Hohn – die Kreuzigung Christi zum letzten und tiefsten Aufweis für die Wahrheit seiner Botschaft und begründet uns Christen Gewissheit im Leben und im Sterben. Hier liegt auch der Grund für das christliche μαρτύριον, von dem niemals Gewalt ausgehen kann, wo vielmehr um der Liebe Willen auch Unrecht hingenommen wird.

Eine entsprechende Eindeutigkeit erschließt sich mir bisher aus der korani-schen Botschaft nicht. Auch Herr Mazyek erscheint mir in dieser Hinsicht ratlos. Natürlich und ich schätze das durchaus hoch ein: Die beschwörenden Appelle, Erklärungen und Resolutionen von Muslimen gegen Gewalt, die es mittlerweile auf verschiedensten Ebenen und durchaus glaubhaft gibt, sind zu begrüßen und zu würdigen.

Sie können jedoch niemals hinreichend sein, solange gleichsam „Aussage gegen Aussage“ steht und je nach politischer Situation und Herausforderung jederzeit ins Gegenteil umschlagen kann.

Und hier erhoffe ich mir in dem heutigen Gespräch neue, weiterführende Perspektiven: Gibt es einen Beleg aus Koran und Sunna, der gewalttätige Muslime eindeutig widerlegt und die koranische Friedensbotschaft, die Herr Mazyek und – wovon ich ausgehe – Sie hier alle im Raum repräsentieren, als die einzig gültige und wahre Botschaft des Koran erweist? Darüber möchte ich nun mit Ihnen ins Gespräch kommen!

Ich danke Ihnen zunächst für Ihre Aufmerksamkeit und bin gespannt auf Ihre Antworten!

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