Bischof Dr. Gebhard Fürst beim "Karlsruher Verfassungsgespräch" 2001

Karlsruhe, Bundesverfassungsgericht

Angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen in der Gentechnik und Biomedizin zeichnen sich tiefgreifende kulturelle und zivilisatorische Veränderungen ab.

Nie wußten wir so viel, nie konnten wir so viel wie heute. Aber wollen wir alles wissen, was wir wissen können? Und sollen oder dürfen wir alles tun, was wir können? Die Kirche muß ihre Überzeugungen über den Menschen und seine Würde, über die rechte soziale, ökonomische und staatliche Ordnung im gesellschaftlichen Diskurs geltend machen.

Sie versteht sich als Anwalt der Humanität und als Anwalt der Unverfügbarkeit des Menschen. Diese Dimension des Unverfügbaren, die das Menschsein eigentlich ausmacht, droht heute zugunsten zweitrangiger Ziele aufgegeben zu werden – darauf hat die katholische Kirche schon vielfach und zuletzt in dem kürzlich erschienenen Papier "Der Mensch sein eigener Schöpfer?" hingewiesen, ebenso das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken. Darauf haben aber jüngst auch zahlreiche Politiker aufmerksam gemacht, etwa Bundespräsident Rau und Bundesjustizministerin Däubler-Gmelin sowie die Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen. Zerbricht der Mensch nicht an jenem Widerspruch, wenn er sich einerseits zum Gott über Leben und Tod seiner Mitmenschen aufbläht und andererseits zugleich so gering von sich denkt, daß er menschliches Leben bloß noch als verwertbares Biomaterial betrachtet?

Insbesondere in ethischen Fragen repräsentiert die Kirche nicht nur eine gesellschaftliche Großgruppe sondern eine durch viele Jahrhunderte in Auseinandersetzung mit den verschiedensten Kulturen entwickelte und letztlich auch unseren modernen Moralvorstellungen zugrundeliegende ethische Kompetenz. Im Blick auf die aktuellen bioethischen Fragen sind transnationale Ordnungen und Orientierungen notwendig, zu der die Kirche aufgrund ihrer Geschichte und ihrem Selbstverständnis als weltweite, universale Kirche ihren Beitrag leisten wird. Dabei befürwortet die Kirche die Gentechnik und Biomedizin, wo sie die Würde des Menschen achtet und fördert; sie kann aber auch nicht umhin, auf Gefahren und Folgen hinzuweisen, die sich hieraus ergeben.

Grundlage der christlichen Ethik ist die aus der Gottebenbildlichkeit resultierende Menschenwürde, die auch nach dem Grundgesetz und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes jedem Menschen absolut und unantastbar jenseits aller menschlicher oder staatlicher Verfügung zukommt. Die Menschenwürde ist nicht verdienbar, sie ist aber auch nicht verlierbar. Sie kann nicht von einer durch Dritte taxierbaren Leistungsfähigkeit, Glücksfähigkeit, Sozialverträglichkeit oder ähnlichem abhängig gemacht werden. Es ist ebenso absurd auf der grundsätzlichen Ebene wie willkürlich auf der konkreten Ebene, die Menschenwürde und den Anspruch bestimmter Schutzrechte an Vorleistungen binden zu wollen.

Ich kann niemanden überzeugen, mich in meiner Würde zu achten, wenn der andere nicht allein schon darin meine Würde achtet und anerkennt, daß er meinen Worten Beachtung schenkt. Wenn menschliches Leben unter den Zwang der Rechtfertigung seines Existenzrechtes oder seiner Würde gerät, ist eine schiefe Ebene beschritten, auf der es kein Halten mehr gibt – nicht nur am Beginn, sondern auch am Ende des Lebens. Diese Würde des Menschen und das Menschsein sind aber zugleich auch unteilbar, weil die Entwicklung des Menschen und das Menschsein sich als kontinuierlicher organischer Prozeß darstellen, der sich von der Verschmelzung von Ei und Samenzelle über das embryonale Menschsein und die Geburt, über Kindheit und Erwachsenenalter bis hin zu Krankheit, zum Sterben und zum Tode spannt. Es gibt weder naturwissenschaftlich noch anthropologisch eine echte und evidente, von Wertentscheidungen unabhängige Zäsur in der menschlichen Entwicklung. Die Kirche verteidigt hier nicht einen nostalgischen Lebensbegriff, sondern eines der moralischen Grundprinzipien der Aufklärung und sieht mit Sorge, daß gerade in den angeblich so modernen und aufgeklärten Gesellschaften diese Prinzipien zugunsten ökonomischer Nutzenkalküle fraglich und disponibel werden.

Das Prinzip der Menschenwürde bedeutet zweitens, daß der Mensch Ziel und Zweck aller gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Entwicklung sein muß, niemals jedoch als Mittel zu irgendwelchen Zwecken instrumentalisiert werden darf. Was wissenschaftlich und technisch versucht wird, gerade in der Medizin und Pharmazeutik, muß dem Wohl des Menschen, auch dem Wohl der kommenden Generationen nachgewiesenermaßen dienen. Nachgewiesen werden muß, warum etwas im Bereich der Forschung und Anwendung getan wird, und nicht, warum es nicht getan werden soll, oder daß es vielleicht einmal nutzen und vielleicht auch nicht schaden wird.

Hier leidet die gegenwärtige Diskussion unter vielen ungedeckten Glückversprechen und Heilsphantasien ebenso wie unter der völligen Unklarheit der kurz- und längerfristigen Folgen der neuen Technik. Ebenso wie "therapeutisches Klonen" nichts mit Therapie, sondern mit der Züchtung von humanem Biomaterial zu tun hat, hat die Präimplantationsdiagnostik viel weniger mit der Hilfe für kinderlose Paare als vielmehr mit der Vermeidung und Selektion von Kranken und Behinderten zu tun. Es ist ein Widerspruch in sich, wenn eine Forschung und Technik, die angeblich dem Menschen dienen will, dafür Menschenleben "verbraucht". Die durch eine Gesetzeslücke ermöglichte Forschung an importierten Stammzellen ist dabei nur der strategisch erste Schritt zur Aushebelung des Embryonenschutzgesetzes. Tatsächlich hat die Gentechnik bislang – ähnlich wie seinerzeit die Nutzung der Atomenergie – viel mehr Probleme geschaffen, als sie gelöst hat.

Zum Prinzip der absoluten Menschenwürde gehört drittens auch, daß menschliches Leben in seinem sittlichen Charakter ernst genommen werden muß. Mit anderen Worten: Wie der einzelne Mensch das Recht hat, nicht nur das Produkt einer genetischen Ingenieurskunst zu sein, sondern Kind seiner Eltern, so bedeutet umgekehrt auch Elternschaft nicht nur die Herstellung eines genetisch möglichst hochwertigen Nachkommen, sondern ist Ausdruck einer sittlichen und sozialen Beziehung. Menschen werden gezeugt und nicht geschaffen. Ein Kind ist keine Ware, für die bei Mangelhaftigkeit Schadensersatz geltend gemacht werden könnte. Es ist eine grausame Zumutung für einen Menschen, in dem Bewußtsein leben zu müssen, nach ganz bestimmten erfolgversprechenden genetischen Anlagen zum Leben auserwählt worden zu sein und sich entsprechend entwickeln zu sollen.

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