Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt zum Fest der Erscheinung des Herrn 2002

Rottenburg

Liebe Schwestern und Brüder im menschgewordenen Gott!

Kennen Sie das kleine Buch ‚Sternstunden der Menschheit‘ von Stefan Zweig? Darin werden in kurzen, eindrucksvollen Erzählungen zwölf Situationen geschildert, in denen ‚in einer einzigen Weltstunde Entscheidungen für Jahrhunderte‘ fallen, Situationen, durch die die Weltgeschichte beeinflußt wird und ab da anders verläuft. Zweig beschreibt etwa die Entdeckung des Pazifischen Ozeans 1513, Napoleons Niederlage bei Waterloo 1815, aber auch das erste Telefonat über den Ozean 1858 oder die Situation, in der Goethe 1823 seine ‚Marienbader Elegie‘ verfasste.

Es sind bewegende Szenen, von denen er schreibt, dass in ihnen ‚eine zeitüberdauernde Entscheidung auf ein einziges Datum, eine einzige Stunde und oft nur eine Minute zusammengedrängt ist‘. Er nennt sie deshalb Sternstunden der Menschheit, weil ‚sie leuchtend und unwandelbar wie Sterne die Nacht der Vergänglichkeit überglänzen‘.

Eine Weltstunde allerdings fehlt in dem kleinen Büchlein, obwohl sie doch wie keine andere das Recht hat, Sternstunde der Menschheit genannt zu werden. Zu unserem Glück haben wir die Geschichte dennoch in spannender und bewegender Weise überliefert bekommen und sie eben im heutigen Evangelium gehört. Ich möchte ein wenig darauf eingehen und begründen, warum sie für mich die ‚Sternstunde der Menschheit‘ ist.

Das Evangelium des heutigen Tages bietet uns so etwas wie eine zweite Weihnachtsgeschichte und damit einen anderen Zugang zum Geheimnis dieses Festes der Menschwerdung Gottes. Nach den Hirten kommen nun die Könige, diesmal stehen nicht Engel und himmlische Botschaften im Vordergrund, es wird vielmehr von Menschen erzählt, die suchen und fragen, die sich auf den Weg machen, die auf ihrem Weg Umwege, Bedrohungen und Gefahren zu bestehen haben, von Menschen, die doch an ihr Ziel gelangen, weil sie – dem Stern folgen!

Denn, wenn wir etwas genauer in die Geschichte hineinschauen, ist unübersehbar, dass in ihr tatsächlich ein Stern die entscheidende Rolle hat. Eine wirkliche Stern-Stunde: Diese seltsamen Gestalten aus dem Osten, bald Magier oder Könige, bald eben auch Sterndeuter genannt, sie folgen nicht ihrem eigenen Stern, nicht selbstgemachten Plänen, eigenen Interessen oder utopischen Träumen. Was sie in Bewegung, zum Aufbruch bringt, das ist der Stern eines anderen, der über ihrem Leben zu leuchten, der sie unwiderstehlich zu leiten beginnt. Sie erzählen freimütig davon: ‚Wir haben seinen Stern aufgehen sehen.‘

Diese Sternstunde enthält zugleich frohe Botschaft für uns: Menschen sind auf der Suche, geraten dabei auf Wege und Umwege des Lebens. Eine solche Suche erfordert Aufmerksamkeit für die Zeichen der Zeit, sie drängt uns, Vertrautes und Liebgewordenes zu verlassen und aufzubrechen. Die Sternkundigen aus dem Osten machen es uns vor: Sie brechen auf, ohne das Ziel zu kennen, aber doch im Vertrauen, dass die aufmerksame Suche unter einem guten Stern, unter ‚seinem‘ Stern steht.

Aus einem zweiten Grund aber gehört diese Weihnachtsgeschichte zu den ‚Sternstunden der Menschheit‘. Denn anders als die Hirten in der lukanischen Erzählung will Matthäus offenbar gleich zu Beginn seines Evangeliums zweierlei andeuten: Deutet schon der Stern darauf hin, dass die Geburt Jesu ein den ganzen Kosmos betreffendes und veränderndes Ereignis ist, so konkretisieren die ‚drei Könige aus dem Morgenland‘ diese Botschaft nochmals. Die Menschwerdung Gottes gilt allen Menschen, weltweit, ohne Unterscheidung von Land, Religion oder Rasse. In der Lesung aus dem Jesajabuch hörten wir die Verheißung: ‚Völker wandern zu deinem Licht und Könige zu deinem strahlenden Glanz.‘ (Jes 60,3)

Für Matthäus hat sich diese Erwartung des Propheten im Kommen Jesu erfüllt. In den Sterndeutern aus dem Osten wird der enge geografische Umkreis des Jesus-Ereignisses geweitet. Da sind Menschen von Welt, die sich einer fremden Kultur annähern in der Hoffnung auf Lebensorientierung, auf der Suche nach Antwort und Sinnperspektiven. Die Geburt Jesu, das Kommen Gottes in Welt und Geschichte gilt unbegrenzt und daher ist es möglich, dass allen Menschen ein Stern aufgeht. Es ist dies die tiefste und schönste Begründung der wirklichen ‚Sternstunde der Menschheit‘.

Doch schauen wir noch kurz darauf, wie Matthäus vom Finden des Kindes durch die Sterndeuter erzählt. Dass sie überhaupt die unbedeutende Herberge finden und ihre Suche nicht im Nichts endet, ist ja schon frohe Botschaft genug: Gott läßt sich finden von allen, die ihn suchen, ja mehr noch, er kommt uns entgegen mit der unwiderstehlichen Anziehungskraft seiner Liebe, er läßt uns seinen Stern aufgehen.

Als die Weisen das Kind gefunden haben, fallen sie in großer Freude auf die Knie vor ihm und beten ihn an. Die Fremden aus dem Osten, die auf der Suche nach Orientierung ein Menschenkind in der Krippe antreffen, erkennen diese Sternstunde und lassen sich von ihr verändern. Jesus Christus suchen und finden, Gott im Menschenkind erkennen, das eigene Leben an ihm festmachen, es von ihm her verstehen und gestalten, das ist der Kern dieser Weihnachtserzählung.

Und noch ein Letztes: Matthäus schließt seine Geschichte mit der Notiz, dass die Könige ‚auf einem anderen Weg heimkehrten in ihr Land‘. Sie verweilen nicht, um staunend den Messias zu betrachten, der als Kind in der Krippe liegt. Die Sterndeuter aus dem Osten verharren nicht voll Ehrfurcht und Erschauern, nein: Sie kehren um und gehen auf veränderten Wegen in ihre Heimat.

Sie gehen in ihren Alltag zurück, an ihre jeweiligen Orte, um dort zu leben und ihre Erfahrung weiter zu geben. Und so auch wir: Wir müssen und dürfen voll Freude vom Wunder der Menschwerdung erzählen. Der Prophet Jesaja hatte geschrieben: ‚Auf werde licht, denn es kommt dein Licht!‘ Darum geht es in dieser einzigen ‚Sternstunde der Menschheit‘, die alles verändert: Wir sind dem Licht und dem Leben begegnet, in ihm ist uns die Liebe geschenkt. Lassen wir uns anstecken und sie weitergeben.

Amen.

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