Weltkirche

Im Geiste des Heiligen Franz von Assisi

Einige kommen schon morgens und warten bis zum Nachmittag, um sich ein Essenspaket abzuholen. Bild: HA Weltkirche/DRS

Seit Beginn der Covid-19-Krise verteilen die Franziskaner täglich 3000 bis 4000 Essenspakete im Zentrum der brasilianischen Metropole Sao Paolo.

Seit 20 Jahren existiert das Solidaritätswerk der Franziskaner (SEFRAS) in Brasilien und nimmt sich derjenigen an, die aus den unterschiedlichsten Gründen am gesellschaftlichen Rand stehen, und leistet ihnen die Unterstützung, die sie benötigen. Das Sozialwerk ist ein Zusammenschluss unterschiedlicher Einzelprojekte, die auf der Initiative verschiedener Franziskaner beruhen. Die Hauptzielgruppen der insgesamt drei Niederlassungen in  São Paulo, Rio de Janeiro und künftig Paraná sind Obdachlose, Müllsammler, HIV-Infizierte, Migranten, Kinder und Jugendliche und ältere Menschen.

Die Zahl der Bedürftigen steigt angesichts der Covid-19-Krise stetig und betrifft nicht mehr nur Menschen des sozialen Randes. Es trifft auch diejenigen hart, die bislang ihren Lebensunterhalt im informellen Arbeitssektor verdient und jetzt durch die Auswirkungen der Krise ihre Arbeit verloren haben. „Am Anfang war die Pandemie eine Krise der Gesundheit, jetzt ist sie eine des Hungers“, sagt P. José Francisco Cassia dos Santos, der seit über zehn Jahren die Hauptniederlassung des Sozialwerks in São Paulo leitet.

Zusammen mit den ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern koordinieren die Schwestern und Brüder die Essenzubereitung in den verschiedenen Küchen von SEFRAS, sie schauen, dass die Wartenden in den langen Schlangen davor den nötigen Abstand wahren und verteilen Desinfektionsspray. Die Mitarbeitenden von "Ärzte ohne Grenzen" vor Ort behandeln gleichzeitig die Menschen, die Covid-19-Symptome aufweisen.

Einige kommen schon morgens und warten bis zum Nachmittag, um sich ein Essenspaket abzuholen. Manchmal warten sie auch vergebens und müssen mit leeren Händen wieder gehen, wenn nicht genügend Lebensmittel vorhanden sind. Das Sozialwerk ist jetzt mehr denn je auf Spenden angewiesen, denn ein Großteil der übrigen sozialen Einrichtungen hat im Zuge der Krise seine Tore geschlossen. Und so trifft es wiederum zuallererst die, die ohnehin am Verwundbarsten sind.

Aktiv gegen eine „Wirtschaft der Ausschließung“

Das gesellschaftliche und politische Klima für soziale Einrichtungen in Brasilien ist rau geworden, seit Präsident Bolsonaro am 1. Januar 2019 sein Amt angetreten hat. In seiner noch jungen Amtszeit hat der Präsident bereits viele notwendige Investitionen gestrichen und so systematisch die positiven Errungenschaften der Vorgängerregierung torpediert. Das Ergebnis ist verheerend. Er schuf konservativen wie neoliberalen Ideologien Platz, die sich gleichermaßen negativ auf das soziale wie ökologische Gefüge auswirken. Papst Franzskus nennt dieses Phänomen in seiner Enzyklika „Evangelii Gaudium“ eine „Wirtschaft der Ausschließung“.

Für die Franziskaner ist es wichtig, ein aktives Zeichen dagegen zu setzen. Diese Position erwächst nicht nur aus humanitären Erwägungen, sondern auch aus einer spirituellen Verpflichtung – beides im Erbe des hl. Franz von Assisi untrennbar verwoben.

Der Poverello aus Umbrien betrachtet die Umwelt immer auch als Mitwelt, in der alle Menschen Teil eines größeren Ganzen sind. Das wiederum verlangt einerseits eine innere Haltung der Dankbarkeit und Demut auf der einen Seite, die andererseits notwendiger Weise zu einer äußeren Handlung des Teilens und der Solidarität führen muss. Dies macht am Ende ein Leben in Würde und Menschlichkeit erst möglich.

Alles ist aufeinander bezogen, und die Sorge für das eigene Leben ist nicht trennbar von der Verbundenheit, der Gerechtigkeit und der Treue gegenüber dem Leben anderen. Papst Franziskus, der nicht von ungefähr des Namen des mittelalterlichen Heiligen angenommen hat, weist darin etwa seiner Enzyklika „Laudato si‘“ nachdrücklich hin. Solidarität und politische Gerechtigkeit gehören unlösbar zusammen, das sind "Ur-Themen" der Befreiungstheologie, die das Handeln der Franziskaner in Brasilien in höchstem Maße inspiriert. Ihre Theologie versteckt sich nicht hinter Kirchen- und Klostertoren, sondern kämpft mit den Menschen an der Basis und verschafft mit ihrer Stimme der „Option für die Armen“ in der Politik neues Gehör.

"Bewohnerinnen und Bewohner der Straße" können nur nach eigenen Regeln überleben

Die Schlange, die sich um den Lago São Francisco reiht, wird täglich länger und länger. Es sei fast unmöglich, unter diesen Umständen die Hygienebedingungen einzuhalten, berichtet P. José Francisco. Gleichzeitig wirkt es absurd, diese gerade jetzt von Menschen einzufordern, die täglich mit nicht einmal einem Mindestmaß an Versorgung auskommen müssen.

Die sanitären Einrichtungen, die die Stadt zur Verfügung stellt, reichen schon unter herkömmlichen Bedingungen bei Weitem nicht aus, um den Menschen eine Grundhygiene zu garantieren. In São Paulo leben Schätzungen zufolge zwischen 24.000 und 30.000 Menschen auf der Straße, davon nur rund die Hälfte kurz- oder langfristig in Unterkünften.

Aufgrund des Alters, geschwächter Gesundheit und sozialer Probleme, die das Leben auf der Straße mit sich bringt, zählen sie zur Risikogruppe – für sich und für andere. Viele derer, die sich auf dem Lago São Francisco versammeln, haben gelernt, dass es überlebenswichtig sein kann, sich nicht an Regeln zu halten.

Verlassen von der Politik und ausgegrenzt von "der" Gesellschaft, schaffen sich die "Bewohnerinnen und Bewohner der Straße" eigene Regeln. Und dass diese nicht unbedingt mit denen eben jener Gesellschaft übereinstimmen, verwundert kaum und führt gerade in Zeiten der Krise zu noch geringerer Akzeptanz als ohnehin schon.

Den Menschen helfen, zu erwachen

Die Franziskaner sind dort, wo sie gebraucht werden.  Allen voran P. José Francisco. Er ist mit seinen Mitschwestern und -brüdern immer an der Basis. Das Vorbild ihres Ordensgründers Franz von Assisi lehrt sie, die Frohe Botschaft mehr durch Taten als durch Worte zu verkünden. Die Nächstenliebe der Franziskaner in São Paulo erweist sich Seite an Seite mit den Menschen, was unter den gegebenen Umständen zusätzliche Herausforderungen birgt. Jemandem zu helfen, das wissen sie, bedeutet auch, ihm zu erwachen zu helfen. Und das ist sehr riskant.

P. José Francisco ist unermüdlich im Einsatz. „Ohne Zweifel ist es wichtig, jetzt die dringendste Not zu lindern. Aber es geht noch um so viel mehr. Es geht immer wieder darum, Bewusstsein zu schaffen“, sagt er. Und es geht darum, Menschen eine Würde zurückzugeben, die sie selbst manchmal nicht zu haben glauben. Die ihnen von einer Politik der Unterdrückung und Ausgrenzung abgesprochen wird. Und es geht um die politische Selbstermächtigung und eine "Option für die Armen", die mit Papst Franziskus wieder zu einer realistischen Option wird.

Der geteilte Mantel

Ein Text aus dem aktuellen Magazin

Gerade jetzt muss Kirche für die Menschen da sein, für die Kranken und Schwachen, für die Verlierer der Krise und für die Verzweifelnden. Dass dies besonders in den Ländern des Südens auf beeindruckende Weise geschieht, davon legt dieses Heft an vielen Stellen Zeugnis ab.
Domkapitular Msgr. Heinz Detlef Stäps

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