Im Februar dieses Jahres hat das Bundesverfassungsgericht das Gesetz zur Sterbehilfe gekippt. Eine Abendveranstaltung der diözesanen Akademie in Weingarten befasste sich am Mittwoch mit den ethischen Herausforderungen dieses Urteils. Dietmar Mieth, emeritierter Tübinger Professor für Theologische Ethik, hielt den Eröffnungsvortrag. Wir haben ihn dazu befragt.
Herr Professor Mieth, was ist aus der Sicht eines Ethikers der entscheidende Punkt, der sich durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts geändert hat?
Mieth: Das Bundesverfassungsgericht beruft sich vorrangig auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Aus ihm leitet es das Recht auf ungehinderte Selbstbestimmung ab - auch für die Bestimmung des selbst herbeigeführten, wenn auch assistierten Lebensendes.
Neu ist, dass die Assistenz nicht durch ein Verbot der Kommerzializierung der Sterbehilfe eingeschränkt werden darf.
In dieser Hinsicht wurde das vorgesehene Gesetz zur Sterbehilfe für nichtig erklärt.
Sollten sich die Kirchen in die durch das Urteil losgetretene gesellschaftliche Diskussion einmischen?
Mieth: Ja, das tun sie ja bereits und sollten sie auch tun. Die Stellungnahmen sind bisher nicht einheitlich. Ein ökumenisches Gespräch darüber ist sinnvoll.
Welche Perspektiven sollten die Kirchen dabei einbringen?
Mieth: Ist Menschenwürde mit individueller Freiheit gleichzusetzen? Wie kann die Prävention von Suizid gegenüber dem wachsenden Angebot auf Sterbehilfe aufrecht erhalten werden? Die Suizidalität in unserer Gesellschaft wächst nämlich und wird durch bestimmte Faktoren beeinflusst.
Unterliegt nicht auch die Selbstbestimmung, die laut Urteil nicht behindert werden sollte, solchen Einflüssen?
Mieth: Ja, dazu zählt etwa eine Patientenverfügung. Es kommt auch darauf an, wie lange die Situation, die den Sterbewunsch auslöst, andauert und wie intensiv sie ist.
Selbstbestimmung beim Sterben ist wichtig, aber Selbstbestimmung zum Sterben hat etwas Unumkehrbares und ist daher problematisch.
Welche Prinzipien und Argumente gilt es da aus theologischer Sicht gegeneinander abzuwägen?
Mieth: Viele sprechen in diesem Zusammenhang von der Menschenwürde. Das Bundesverfassungsgericht hat sie zwar erwähnt, aber "Freiheit" gleichwertig daneben gestellt. Dies ist eine unklare und angreifbare Position. Menschenwürde meint mehr. Aus theologischer Sicht ist darüber hinaus zu fragen, ob und wie ein Anspruch auf eine Hilfe zum Sterben sich mit der Frage nach Gottes Willen verträgt.
Wie ist da die bisherige katholische Position?
Mieth: Bisher wird nur eine nicht intendierte Nebenwirkung leidvermindernder Medikamente akzeptiert.
Eine kirchliche "Option für das Leben" stellt ein gutes Motiv in den Mittelpunkt, das auch der Menschwürde entspricht. Diese Option muss im Kontext der Lebensverlängerung als Leidensverlängerung neu diskutiert werden. Es geht dabei nicht nur um Verbote sondern auch um Erlaubnisse.
Sie haben über das Sterben Ihrer Frau ein Buch mit dem Untertitel "Selbstbestimmung bis zuletzt" geschrieben. Wie sehen Sie persönlich das "Recht auf selbstbestimmtes Sterben"?
Mieth: Für mich bedeutet Selbstbestimmung in einer Krankheit, die den Tod ermöglicht und auf ihn zusteuert, auf Maßnahmen zu verzichten, die das Leben umstandlos durch Eingriffe erhalten. Ich sehe es als Hilfe auf dem Weg, nicht als Hilfe, die den Weg aktiv verkürzt. Dabei muss auch unsere Sprache moralisch verantwortlich bleiben. Von "Sterbemedikamenten" zu reden ist meines Erachtens widersinnig.
Konnten Sie in der Kirche durch ihre wissenschaftliche Arbeit in den vergangenen Jahrzehnten etwas bewegen - auch beim Thema Sterbehilfe?
Mieth: Das Thema Sterbehilfe hat die theologisch-ethische Debatte mitbewegt. Dabei stand die Prävention von Lagen, die zum Suizid veranlassen, im Vordergrund.
Die Möglichkeiten einer autonomen Ethik werden diskutiert, aber mit "Autonomie" ist dabei - wie übrigens bei Kant - nicht freie Wahl, sondern freie, aber verantwortliche Selbstverpflichtung gemeint.
Diese moralische Perspektive wird durch Rechtsetzungen nicht aufgehoben.