Kirchenmusik

„Unvergleichlich schön“

Orgelprospekt Obermarchtal

Die Holzhey-Orgel im Münster Obermarchtal ist eines der bedeutendsten Kulturdenkmäler Oberschwabens. Foto: DRS/Jerabek

Es klingt nach Liebe, wenn er über sie spricht, und es ist Leidenschaft, wenn er sie spielt: Gregor Simon ist Kustos der Holzhey-Orgel im Münster Obermarchtal.

„Diese Orgel ist ein vollendetes Kunstwerk. Jedes Register ist traumhaft schön – wie ein gut gemaltes menschliches Antlitz.“ Seine Augen leuchten, wenn Gregor Simon das sagt – auch nach sieben Jahren, seit er von der Diözese Rottenburg-Stuttgart als Kustos der berühmten Orgel eingesetzt wurde. In dieser Funktion ist er „Wächter“, wie das lateinische Wort übersetzt heißt, pflegt und wartet das Instrument, bietet Führungen und Konzerte an. Außerdem ist er Organisator einer etablierten Konzertreihe, der Obermarchtaler Münsterkonzerte, deren Höhepunkt der „Internationale Orgelseptember Obermarchtal“ ist.

Ein Meisterwerk

Transparent und markant, charaktervoll und charmant, raffiniert in den farblichen und dynamischen Abstufungen – so präsentiert sich diese Orgel. Sie gilt als ein Meisterwerk von Johann Nepomuk Holzhey (1741-1809), der zusammen mit Joseph Gabler und Karl Joseph Riepp zu den berühmtesten Orgelbauern Süddeutschlands des 18. Jahrhunderts zählt. Als solches galt sie wohl schon im 18. Jahrhundert, wenn man dem Bibliothekar Johann Nepomuk Hautinger vom Stift St. Gallen glauben darf: Als „unvergleichlich schön“ beschrieb er 1784 in seinem Tagebuch das Instrument, „und die Zungen und die Flötenwerke darin mögen wohl ihresgleichen suchen“.

Die Orgel krönt das imposante Münsterdes ehemaligen Prämonstratenser-Reichsstifts Obermarchtal. Das weitläufige Anwesen in der gleichnamigen Gemeinde im Alb-Donau-Kreis, etwa 15 Kilometer südwestlich von Ehingen gelegen, zählt zu den bedeutendsten barocken Klosteranlagen Süddeutschlands. Die 1701 geweihte Kirche war zunächst mit kleineren Instrumenten ausgestattet worden, ehe die Stiftsherren 1777 den Ottobeurer Orgelmacher Holzhey mit dem Bau von gleich zwei Orgeln beauftragten: einer (heute nur noch in Teilen erhaltenen) Chororgel und einer großen Orgel auf der Westempore.

Holzheys edle Klangwelt

Diese Obermarchtaler Hauptorgel war Holzheys erstes Instrument mit drei Manualen. Sie verfügt über 41 Register und insgesamt rund 2700 Pfeifen. Ihre edle Klangwelt beruht auf einer individuellen Verbindung süddeutscher und französischer Orgelbautradition. Denn bevor Holzhey sich 1767 in Ottobeuren als Orgelbauer selbstständig machte, arbeitete er als Geselle an Orgelprojekten des renommierten deutsch-französischen Orgelbauers Karl Joseph Riepp (1710-1775) mit.

Der ebenfalls aus der Nähe von Ottobeuren stammende Riepp hatte seine Werkstatt nämlich im französischen Dijon eingerichtet und kehrte für Aufträge in Ottobeuren und Salem in die Heimat zurück. Die von ihm gepflegte Synthese aus Klangidealen der klassischen französischen Orgel und der oberschwäbischen Barockorgel prägte auch Holzhey, dessen Akzent jedoch deutlicher schwäbisch war. Er ließ Instrumente entstehen, „die in ihrer klanglichen Vielgestaltigkeit zu jener Zeit in Süddeutschland einmalig waren“, wie der Ravensburger Musikwissenschaftler und Holzhey-Experte Dr. Ulrich Höflacher formulierte. Etwa 27 Instrumente hat Holzhey neu gebaut, bei 13 weiteren – so der Stand der Forschung – führte er große Reparaturen und Umbauten aus.

Hörprobe

Charmante Stilmischung

Am Spieltisch sind beide Einflüsse sichtbar, wie Gregor Simon interessierten Besuchern gerne zeigt: „Ein Teil der Registernamen ist französisch, was auch der Frankreich-Begeisterung jener Zeit geschuldet ist“, erklärt der diplomierte A-Kirchenmusiker. „Aber es gibt eben auch das typisch schwäbische Hörnle.“ Überhaupt zeichne sich die Orgel durch eine sehr originelle und charmante Stilmischung aus, die schon in die Frühromantik weise. Simon hat diesem Brückenschlag zwischen Barock und Romantik, zwischen Johann Sebastian Bach und Felix Mendelssohn Bartholdy deshalb auch den thematischen Schwerpunkt des „Internationalen Orgelseptembers Obermarchtal“ der vergangenen sieben Jahre gewidmet.

Der kommende Siebenjahreszyklus beschäftigt sich mit der (Orgel-)Musik als einem Ausdruck von „Beziehungen“: zum Wesen des Lebens und zur Ewigkeit, zu Gott und zum Mitmenschen. Zudem sind es Gesprächskonzerte: 50 Minuten Musik und 15 Minuten Gespräch mit dem Gastkünstler über den Bezug seiner gespielten Orgelwerke zur Thematik. 2020 lautet diese: „Orgelmusik – Brückenschlag zur Ewigkeit“.

8. Internationaler Orgelseptember Obermarchtal

Es konzertieren:

13. September: Gregor Simon (Obermarchtal)
Werke von A. Guilmant, F. Liszt, G. Simon

20. September:  Ekaterina Kofanova (Basel)
Werke von G. Muffat, G. Homilius, L. Marchand, J. Rheinberger, F. Lizst

27. September:  Prof. Michael Radulescu (Wien)
Orgelwerke von J. Brahms

Dass die Obermarchtaler Holzhey-Orgel heute weitgehend im Originalzustand erklingt, verdankt sie einer umfassenden und sorgsamen Restaurierung in den Jahren 2011/2012. Bei diesen Arbeiten durch die Werkstatt des Orgelbaumeisters und –restaurators Johannes Rohlf aus Neubulach (Landkreis Calw) konnte die reichhaltige Palette an Klangfarben wiederhergestellt werden.

Dringend nötig geworden war diese Restaurierung nicht nur wegen eines Befalls durch Nagekäfer, sondern vor allem, weil bei einer „Renovierung“ in den 1960er Jahren – gemäß dem damaligen Fortschrittsgedanken – viel Originalsubstanz vernichtet worden war. „Man dachte, man könnte die Orgel verbessern“, erzählt Simon. „Wenn ich aber ein vollendetes Kunstwerk verändere, wird es schlechter.“

Originale Konstruktion als Ziel

Das Ziel der Restaurierung von 2011/2012 war deshalb „die Wiederherstellung der durch Holzhey vorgegebenen Orgelkonstruktion, die letztlich in allen ihren Details auf die Klangerzeugung wirkt“, wie es Orgelbaumeister Rohlf in der Festschrift zur Vollendung der Arbeiten beschreibt. Dies galt vor allem für die Bälge und die Windführungen von den Bälgen zu den Windladen und weiter von den Laden zum Pfeifenwerk, insbesondere auch für das linguale Pfeifenwerk (also die Zungenstimmen).

Dieses war völlig verloren gegangen, konnte aber durch das Studium der Vorgaben bei anderen Holzhey-Orgeln rekonstruiert werden. Auch der Spieltisch mit den Klaviaturen, von dem nur das Gehäuse erhalten war, wurde in Material und Machart so gut wie möglich wiederhergestellt.

Einzigartiges Zeugnis

Durch die jüngste Restaurierung sei die Orgel, dieses „einzigartige Zeugnis oberschwäbischer Klosterkultur, aus dem Dornröschenschlaf erweckt worden“, sagt Gregor Simon. „Hier verbindet sich das Genie Holzheys mit der Expertenerfahrung Rohlfs.“

Und so freut sich der Konzertorganist und Orgellehrer jedes Mal, wenn er Besuchern die Orgel zeigen kann: „Es ist faszinierend zu beobachten, wie auch Menschen, die vielleicht erst nur mäßig interessiert scheinen, nach der Führung strahlend das Münster verlassen, beeindruckt davon, wie das Rieseninstrument Orgel aufgebaut ist, wie es funktioniert, welche Vielfalt an Klangkombinationsmöglichkeiten sie hergibt und wie faszinierend sie zu spielen ist.“

Vor allem aber freut sich Simon, wenn die Holzhey-Orgel von Obermarchtal, die unter Organisten weltweit zu den begehrtesten Konzertinstrumenten zähle, für Gottesdienst- und Kirchenbesucher zum Klingen kommt – um, wie Bischof Gebhard Fürst zur vollendeten Restaurierung schrieb, „Gottes Größe zu loben und die Herzen der Menschen zu Gott empor zu heben“.

Hörprobe

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