Zeichen der Hoffnung für ein schwer geprüftes Land

Bischof Gebhard Fürst nach zehn Tagen Pastoralreise durch die Ukraine „tief beeindruckt von der Dynamik und vom Engagement der Menschen“

Die „Revolution der Würde“ im Frühjahr 2014 auf dem Kiever Maidan hat nicht nur das Selbstbewusstsein der Ukrainer gegenüber dem ungeliebten Nachbarn im Osten gestärkt – sie hat auch die Kirchen wieder stärker ins Bewusstsein der Menschen dort gerückt. Es waren Priester aller Konfessionen, die in der ersten Reihe standen und den bis zu 50.000 Demonstranten Mut machten mit Worten und Gebeten. Ganz besonders aktiv dabei: die Vertreter der katholischen Kirche aus der Westukraine. Während der Anteil der römisch-katholischen Gläubigen landesweit nur bei etwa zwei Prozent liegt und jener der griechisch-katholischen Kirche der Ukraine bei acht Prozent, kommt letztere in Lemberg/Lviv, der Metropole des einstigen Galizien, auf über 50 Prozent, in der Erzdiözese Ivano-Frankivsk sogar auf 74 Prozent. Bei seiner zehntägigen Pastoralreise, die ihn und eine kleine Delegation neben der Westukraine auch nach Kiev und in die Hafenstadt Odessa im Süden führte, zeigte sich der Rottenburg-Stuttgarter Bischof Gebhard Fürst „beeindruckt von der inneren Dynamik, vom Engagement und der starken Hoffnung unter den Menschen, in der Zukunft eine gute Kirche und eine gute Gesellschaft gestalten zu können“. 
Zur Delegation aus dem Schwabenland gehörten außer Bischof Fürst der Leiter der Rottenburger Hauptabteilung Weltkirche, Domkapitular Dr. Heinz Detlef Stäps, die Osteuropa-Referentin Sylvia Frank, Bischofssekretär Peter Hohler und Mediendirektor Thomas Brandl. Die Reise führte durch insgesamt sieben Diözesen der beiden katholischen Kirchen und zu einer Vielzahl von Förderprojekten der letzten Jahre vom Priesterseminar über Kirchenbauten und Kindergärten bis hin zum katholischen Gymnasium und zur Mission für Seeleute. Einige davon wurden gemeinsam mit dem Osteuropa-Hilfswerk der Katholischen Kirche in Deutschland, Renovabis, von „Kirche in Not“, der Caritas und anderen Diözesen in Europa und Übersee ermöglicht. 
Während die katholische Kirche des lateinischen Ritus‘ noch immer als die „polnische Kirche“ angesehen wird und eine große Zahl Priester von dort in ihren Reihen hat, ist die ukrainische griechisch-katholische Kirche (UGKK) mit Rom uniert, folgt aber dem Byzantinischen Rhythmus. Ihre Priester sind – wie die orthodoxen - fast ausnahmslos verheiratet. Während der Sowjetzeit war die UGKK von 1947 bis 1989 verboten. Heute präsentiert sie sich als eine Kirche im Aufbruch mit etwa vier Millionen Mitgliedern in 3.600 Gemeinden mit Schwerpunkt im Westen des Landes. In Ivano-Frankivsk, das zu Zeiten der Habsburger Monarchie Stanislau hieß, bereiten sich derzeit fast 200 Seminaristen in der überdiözesanen Ausbildungsstätte auf den Priesterberuf vor. Die 380 Pfarreien der Erzdiözese werden von 500 Priestern betreut, und im einzigen katholischen Gymnasium der Ukraine – stilvoll im einstigen, von Kaiser Franz Joseph 1905 gestifteten Priesterseminar untergebracht – sehen 280 Kinder und Jugendliche jeden Tag, wie Zukunft geht. 
„Sie sollen Fremdsprachen lernen, Mathematik und Informationstechnologie, zum Studium ins Ausland reisen, um danach mit einem christlichen Menschenbild an der Zukunft unseres Landes mit zu arbeiten“, sagt Bischofsvikar und Ökonom Mykhailo Klapkiv. Der 39-Jährige hat selbst in Deutschland studiert und treibt seit seiner Rückkehr die Diözese voran. Die Migration zu stoppen (derzeit leben etwa zwölf Millionen Ukrainer im Ausland), werde nur gelingen, „wenn wir unseren jungen Menschen eine Zukunftsperspektive geben können“. Erzbischof Volodymyr Vijtishin, einst als Untergrundpriester von den Sowjets verfolgt, unterstützt die dynamische Aufbauarbeit des jungen Teams um Klapkiv: Pfarrer Markian Bukatchuk als Leiter der Abteilung Fortbildung ist 27, sein Kollege Bogdan Tachynskiy, Leiter der Projektentwicklung, nur ein Jahr älter. In Ivano-Frankivsk scheint man auf dem Weg, längerfristig Unabhängigkeit von westlichen Geldgebern zu erlangen, wesentlich weiter als anderswo. Ein kleines Hotel und eine medizinische Ambulanz sorgen für  stabile Einnahmen, für den Unterhalt der kirchlichen Gebäude und Pensionsansprüche werden kontinuierlich Rücklagen gebildet. Bis in etwa zehn Jahren, so der Plan, soll die Diözese finanziell weitgehend auf eigenen Beinen stehen. 
Während die Ukraine gegen Armut, Korruption und die Herrschaft der Oligarchen kämpft, während  im Donezbecken im Krieg gegen die russischen Aggressoren - vom Westen weitgehend unbemerkt - weiterhin jede Woche ukrainische Soldaten sterben, die ihr Land verteidigen, versuchen die Kirchen den Menschen Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu vermitteln. So wie der römisch-katholische Bischof Stanislav Szyrokoradiuk, der gemeinsam mit der Caritas Spes in Bortnytschi bei Kiev ein Familienhaus für Kinder aus schwierigen Verhältnissen aufgebaut hat: Mit viel Liebe betreut dort Schwester Svetlana mit zwei Kolleginnen zehn Buben und Mädchen im Alter zwischen fünf und 15 Jahren wie eigene Kinder. Zur Begrüßung des Besuches aus Deutschland spielen sie konzertreif auf dem Akkordeon – bis Nesthäkchen Ruslan mal wieder alle durcheinander bringt… Der siebenjährige Ilja kam taubstumm zur Welt. Seit einer Operation letztes Jahr in Italien kann er hören. Die beiden Zwillinge Andrij und Sasha (15) leben seit 2011 in der Großfamilie. Warum sie sich dort sichtbar wohl fühlen? – „Weil man uns hier liebt – das war zuhause nicht so.“ Bewegende Momente. 26 solcher Familienhäuser gibt es inzwischen in der Ukraine, allein fünf davon hat der  Bischof und Kinderfreund Bischof Stanislav über die Jahre hinweg aufgebaut. „Eigentlich hab‘ ich sogar schon acht Enkel inzwischen“, strahlt Szyrokoradiuk, der seit langem auch enge Beziehungen in die Diözese Rottenburg-Stuttgart pflegt. 
In einem Land, in dem der durchschnittliche Monatsverdienst bei 250 Euro liegt, dessen Wirtschaft seit der Unabhängigkeit kaum gewachsen- und dessen neuer Präsident politisch ein unbeschriebenes Blatt ist, stehen viele Fragezeichen vor einer guten Zukunft. Dennoch: Die Kirchen sind voll, allein in der römisch-katholischen Kathedrale von Lemberg werden jeden Sonntag sieben Messen gefeiert – auf Ukrainisch, Polnisch, Lateinisch und Englisch. 
Überall wird gebaut in der Ukraine, es entstehen neue Fabriken, Läden, Geschäfte, und auch der Tourismus nimmt langsam Fahrt auf. Die Stadt Odessa mit ihrem kosmopolitischen Gepräge war schon zur Zarenzeit eine beliebte Destination. Das Tor der Ukraine zur Welt ist noch wichtiger geworden seit der Annexion der Krim durch Russland 2014. Odessa kämpft aber auch mit vielfältigen Problemen: kaputte Familien, Menschenhandel, viele Flüchtlinge aus dem Donbass im Osten des Landes und die höchste HIV-Rate der ganzen Ukraine. 
Vom Nahe des Hafens gelegenen Haus Stella Maris aus kümmert sich die „Apostleship of the Sea“ mit Pfarrer Oleksander Smerechynsky an der Spitze, bislang nicht von Rottenburg-Stuttgart gefördert, um das Seelenheil der Seeleute, die in Odessa vor Anker liegen oder der ukrainischen Marine angehören - und hat eigens für sie sogar eine App entwickelt. Der passende Name: "Sea Prayer". Im Zentrum von Odessa hat die Hauptabteilung Weltkirche der Diözese Rottenburg-Stuttgart mit insgesamt 140.000 Euro "The Way Home" unterstützt, ein Kinderhaus mit Notunterkunft, psychosozialer Beratung, medizinischer Hilfe und umfangreichen Betreuungsangeboten. 
Bei ihrer Reise durch die Ukraine konnte sich die Rottenburger Delegation um Bischof Gebhard Fürst davon überzeugen,  dass die in den vergangenen 27 Jahren ausgeschütteten Fördergelder in Höhe von 5,6 Millionen auf fruchtbaren Boden gefallen sind. Mit insgesamt 666 Einzelprojekten war die Ukraine das wichtigste Förderland in Osteuropa. Die Menschen dort hoffen natürlich darauf, dass die Hilfe aus Deutschland anhält – so wie Pfarrer Vitaliy Herasymiv aus Kiev, der in der Trabantenstadt Troieschdyno mit ihren 300.000 Einwohnern die erste katholische Kirchengemeinde aufbaut. Etwa 100 Gläubige sind innerhalb von sechs Monaten zusammen gekommen und treffen sich jeden Sonntag zum Gottesdienst in der Cafeteria eines Kriegsveteranenheimes. Dessen Leiterin Ludmila Bogdashevska und Pfarrer Herasymiv haben einen gemeinsamen Traum: Irgendwann möchten sie eine kleine Kirche bauen für ihre junge Gemeinde – Zeichen der Hoffnung auf eine gute Zukunft für die Ukraine.

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