Betriebsseelsorge

Zeichen für die Solidarität gesetzt

Foto: Alexander Schweda

Ein ganzes Leben für die Solidarität: 37 Jahre lang war Guido Lorenz Betriebsseelsorger in Stuttgart. Ende Januar nimmt er Abschied.

Immer wollte er nahe an den Arbeitnehmern sein, mit ihnen für bessere Strukturen kämpfen und ihr Arbeitsleben für die Gesellschaft sichtbar machen. Ende Januar geht er in Ruhestand, aber Nöte sichtbar machen und ermutigen, Chancen zu ergreifen, das will er weiterhin.

Guido Lorenz hat es gelernt, Zeichen zu setzen. Mit der Fahne der Betriebsseelsorge betritt er sein Büro. In den Nebenräumen ist bereits der Essenstisch für Bedürftige hergerichtet. Auf seinem Schreibtisch liegt das Buch von Papst Franziskus „Die Freude des Evangeliums“.  Hinter seinen runden Brillengläsern funkeln lustige Augen hervor. Guido Lorenz hat Freude an seiner Arbeit, und an seiner ganz eigenen frohen Botschaft. „Betriebsseelsorge heißt Solidarität zeigen“, sagt der 65-Jährige. Ein Zeichen dafür ist seine Fahne. Überall, wo er auftaucht, hat er sie dabei.

Dieser Drang zu den Arbeitern ist ihm offenbar in die Wiege gelegt worden. Nachdem seine Eltern aus Schlesien geflüchtet waren, ist Guido Lorenz mit seiner Familie in Goslar am Harz aufgewachsen. Der Vater Finanzbeamter, die Mutter Verkäuferin im Supermarkt. In dieser Spannung zwischen Staatsdiener und Arbeiterin habe er schon früh gemerkt, was es bedeutet, ausgenutzt zu werden. Weil die Religiosität in seiner Familie selbstverständlich war, zog es Lorenz zum Theologiestudium, er rang auch einige Zeit damit, Augustiner zu werden, und entschied sich dann für Familie. Aber eins war für ihn immer klar: „Ich wollte mit der Arbeiterschicht zu tun haben.“ Seine Frage: „Wie kann man verkündigen, ohne die zu kurz Gekommenen zu verhöhnen?“

Lorenz ist da, wo die Menschen arbeiten

Als er den Betriebsseelsorger in Böblingen kennen lernte, ist bei ihm der Groschen gefallen. Seine Frage lautete nun: „Wie werde ich Betriebsseelsorger?“ Als Pastoralreferent war die Antwort. Also ergriff er diesen Beruf und wurde nach zwei Jahren Assistentenzeit das, was er heute noch ist: Betriebsseelsorger in Stuttgart.

Seither hat sich viel verändert: Mittelständische Betriebe sind verschwunden, die großen sind noch größer geworden und beschäftigen statt 2000 jetzt 14.000 Menschen. Aber Lorenz‘ Standort ist derselbe geblieben: Er orientiert sich nach wie vor daran, wo die Menschen arbeiten und nicht wo sie wohnen. Und seine Zielgruppe sind die Arbeiter und zwar als Gegenbegriff zum Kapital verstanden, also alle abhängig Beschäftigten.

Ohne Gewerkschaften geht es nicht

In den 37 Jahren hat Lorenz erlebt, wie die Bedingungen für Facharbeiter sich wandelten, wie der Dienstleistungssektor unter Druck geriet und Ausbeutung erfuhr und wie die Hartz-Gesetze auf einmal Niedriglöhner, Befristete wider Willen, Teilzeiter wider Willen, Zeitarbeiter und Solo-Selbständige hervorbrachten und „eine Struktur schufen, die kaum noch zu greifen war“. Manche Berufe entwickelten sich vom Gehalt immer negativer. Doch eines bleib immer gleich: Die Menschen brauchten Solidarität.

Guido Lorenz ist deshalb auch überzeugter Gewerkschafter. „Ich kann mir nicht vorstellen, Betriebsseelsorge zu machen, ohne Gewerkschafsmitglied in einer DGB-Organisation zu sein“, sagt er. Solidarität findet für ihn in der Auseinandersetzung über Strukturen statt, und die Gewerkschaft sei eine wichtige Struktur, ohne die Solidarität nicht möglich sei. Nur so könnten faire Verträge ausgehandelt werden und Interessen gewahrt werden. Auch dass Gewerkschaften das Thema Rechtsradikalismus offensiv angehen, sei ein wichtiger Beitrag. „Es ist Gold wert, Orte zu haben, an denen Konflikte ausgetragen werden“, sagt er.

Zupacken und Flagge zeigen

In einer fast vollbeschäftigten Gesellschaft würden Arbeitslose immer mehr ausgegrenzt. Deshalb freut er sich über jede Aktion, in der dies zur Sprache kommt. Er selbst hat 2015 ein Projekt mit Langzeitarbeitslosen und Geflüchteten gemacht. Er drückte beiden Gruppen Fotokameras in die Hand und ließ sie fotografieren, was ihnen Freude macht. Die Fotos hat er dann als Pixel einer Christusikone hinterlegt und nach Rom zu Papst Franziskus geschickt, der zur Solidarität mit Flüchtlingen und Erwerbslosen  aufgerufen hat.

Was jetzt ansteht, ist das große Thema Digitalisierung. „Das erfordert neue Ideen, wie man das thematisieren kann“, sagt Lorenz und fügt hinzu: „Das kann dann mein Nachfolger machen.“ Er selbst hat schon sein Ruhestandsprojekt ausgeguckt: In der Megacity Lagos im westafrikanischen Nigeria will er ein Ausbildungszentrum für junge Afrikaner initiieren, in Zusammenarbeit mit der Industrie. Und auch hier gilt seine Devise: Einzelschicksale als gesellschaftliches Problem sichtbar machen, um den Menschen zu helfen.

Vor 37 Jahren im größten Arbeitskampf der Bundesrepublik um die Trafo Union in Stuttgart konnte der Liebfrauenpfarrer noch zu einer religiösen Methode greifen: Er zog mit dem Fronleichnamszug um den Betrieb herum. Heute braucht es neue Wege und die Bereitschaft zu kooperieren. Guido Lorenz denkt daher schon längst über die Stadtgrenzen hinaus in der Groß-Region Stuttgart. Doch trotz aller regionalen Netzwerke: Zupacken und Flagge zeigen, das müsse man aber immer noch vor Ort, an einem konkreten Standort, sagt Lorenz und rollt seine Fahne wieder ein, um sie seinem Nachfolger Diakon Michael Görg zu übergeben.

 

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