Missbrauch

"Ein reifes Handeln, das sich zuständig weiß"

Claudia Droysen von Hamilton von der Fachberatungsstelle gegen sexuelle Gewalt des Landkreises Heidenheim (rechts) informierte in der Dekanatskonferenz über Prävention sexuellen Missbrauchs. Mit Dekanatsreferentin Gabriele Kraatz (links), die zugleich Dekanatsbeauftragte für Prävention ist, besteht ein enger Austausch in diesem wichtigen Bereich. Foto: DRS/Jerabek

Die Sensibilisierung für ein nach wie vor drängendes Thema, die Prävention sexuellen Missbrauchs, stand im Mittelpunkt der Dekanatskonferenz.

„Wenn ich ein Kind wäre, so bräuchte ich sehende Mitmenschen, ich bräuchte offene Ohren und zugeneigte Herzen und ein reifes Handeln, das sich zuständig weiß.“ – Dieses Zitat stand gleichsam als Motto über dem Vortrag von Claudia Droysen von Hamilton von derFachberatungsstelle gegen sexuelle Gewalt des Landkreises Heidenheim. Dekan Prof. Sven van Meegen und Dekanatsreferentin Gabriele Kraatz hießen dieDiplom-Sozialpädagoginim Gemeindesaal von St. Maria in Heidenheim willkommen, um über das so wichtigeThema Prävention im Kreis der Vertreterinnen und Vertreter aller hauptberuflichen pastoralen Dienste zu sprechen. Die regelmäßigen Treffen zur Dekanatskonferenz dienen dem Austausch über seelsorgliche oder andere Themen, die die Kirche im Dekanat betreffen, und um sich fortzubilden.

Das Thema Prävention noch mehr ins Bewusstsein zu rücken und eine Idee davon zu vermitteln, was dieses „reife Handeln ist, das sich auch zuständig weiß“, das sei deshalb so wichtig, „weil man präventiv sehr viel machen kann und weil es sich lohnt, Präventionsarbeit zu leisten“, betonte die Referentin. Jeder sei gefragt, alle müssten wissen, was Missbrauch ist, wie Täter und Täterinnen vorgehen, welche Signale Kinder aussenden und an wen man sich bei Vermutung und Verdacht wenden kann. Sehr viel Information zu diesen Fragen biete die Internetseite der Diözese Rottenburg-Stuttgart https://praevention.drs.de/, aber auch eine Reihe weiterer Webseiten wie „Anrufen-hilft.de“ sowie Anlaufstellen wie die „Nummer gegen Kummer“ 116 111, das „Hilfetelefon Sexueller Missbrauch“ und andere mehr. Auch Menschen, die für sich spüren, dass sie im Begriff sind, eine sexuelle Grenzverletzung zu begehen, finden Hilfe im Internet, etwa „bevor-was-passiert.de“.

Oft schwierig, eindeutige Signale zu erkennen

„Es geht darum, sensibel zu werden, eigene Hemmnisse zu kennen, aufmerksam zu sein und eine Kultur der Achtsamkeit zu schaffen im Umgang mit Kindern und Jugendlichen von klein auf an“, in den Familien, im Umgang mit Konflikten, mit Grenzen, mit dem Körper und mit Sexualität, sagte Droysen von Hamilton. Mit der Thematik umzugehen, bedeute Worte zu finden und sich auch immer wieder die Wege des Handelns klar zu machen. Neben wichtigen Begriffserklärungen – was ist sexueller Missbrauch, sexualisierte Gewalt? Worin besteht eine Grenzverletzung? – erläuterte die Referentin auch problematische Entwicklungen der letzten Jahre wie die Zunahme des Konsums von Missbrauchsabbildungen unter Jugendlichen und dass Bildmaterial per Handy verschickt wird und Kinder verstört.

„Die meisten der Kinder erleben die Formen der sexualisierten Gewalt durch Personen, die ihnen sehr vertraut sind, mit denen sie quasi in Beziehung stehen, die zur Familie gehören oder zum unmittelbaren Umkreis der Familie“, so Droysen von Hamilton. Dabei befinde sich der Täter oder die Täterin in einer Macht- oder Autoritätsposition, nutze Vertrauen aus, übe Druck aus, um den Missbrauch geheim zu halten.

Das mache es oft schwierig, sexualisierte Gewalt zu erkennen. Eindeutige Signale oder spezifische Symptome gebe es nicht, sagt die Expertin. Wenn Kinder auffällig sind, könne das ein Hinweis auf sexualisierte Gewalt sein, müsse es aber nicht. Ein weiteres Problem ist Droysen von Hamilton zufolge, wenn Mütter ihren Töchtern keinen Glauben schenken; das sei für die weiblichen Opfer eine sekundäre Traumatisierung.

Als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begreifen

Dabei rechne man – weil das Dunkelfeld groß ist – mit einer hohen Zahl Betroffener: repräsentative Studien mit retrospektiven Befragungen lassen den Schluss zu, dass jeder siebte bis achte Erwachsene in seiner Kindheit eine Erfahrung mit sexualisierter Gewalt gemacht hat. „Das zeigt, wie nah das Thema an uns ist“, sagte Droysen von Hamilton. Man könne im Grunde fast davon ausgehen, „dass jeder von uns wahrscheinlich ein Kind kennt, das von sexualisierter Gewalt betroffen war oder ist“. Eindrücklich schilderte die Referentin Beispiele aus ihrer Arbeit in der Fachberatungsstelle und wies auf das jüngst vomUnabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), Johannes-Wilhelm Rörig,vorgestellten Positionspapier, in dem er die Bundes- und Landespolitik zum resoluten Handeln aufruft. Darin fordert Rörig eine bessere Zusammenarbeit verschiedener Ministerien und anderer Akteure, eine auf Dauer angelegte Aufklärungs- und Sensibilisierungsinitiative, eine Stärkung der polizeilichen Ermittlungsmöglichkeiten, den weiteren Ausbau der therapeutischen Versorgung Betroffener und eine bessere personelle Ausstattung der spezialisierten Fachberatungsstellen. „Wenn wir den Schutz von Kindern und Jugendlichen ernst nehmen, müssen ALLE den Kampf gegen sexuellen Missbrauch als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begreifen und aktiv führen“, heißt es in dem Positionspapier.

Wie kann jeder und jede Einzelne dazu beitragen, dass weniger Kinder und Jugendliche Opfer von sexualisierter Gewalt werden? Dazu sei, so erläuterte Claudia Droysen von Hamilton, eine angemessene erzieherische Grundhaltung nötig: jedes Kind müsse die Möglichkeit haben, Nein zu sagen; Kinder müssten ermutigt werden, ihren Gefühlen zu vertrauen und dass sie unheimliche Geheimnisse weitererzählen dürfen. „Du hast ein Recht auf Hilfe; keiner darf dir Angst machen und du bist nicht schuld“, das sind wichtige Botschaften an die Kinder.

Ruhe bewahren und überlegt vorgehen

Was zu tun sei im konkreten Fall, wenn ein Verdacht auf sexuellen Missbrauch besteht, auch dazu gibt die Stabsstelle Prävention der Diözese wichtige Hinweise und Hilfestellungen, bietet einen Ablaufplan bzw. Leitfaden; auch die Dekanatsreferentin Gabriele Kraatz, die zugleich Dekanatsbeauftragte für Prävention ist, könne Hilfesuchende weiterlotsen. „Ich glaube, da sind Sie gut aufgestellt“, sagte Droysen von Hamilton. Ein wichtiger Rat sei: Ruhe bewahren, überlegt vorgehen und immer im Interesse des Opfers keine Alleingänge!

Das neue Präventionskonzept des Dekanats, das die jüngsten bischöflichen Vorgaben umsetzt, stellte im Anschluss die Dekanatsreferentin vor: Neben der Sensibilisierung der Verantwortlichen und deren Schulung sowie die Ausarbeitung eines Schutzkonzeptes für jede Gemeinde geht es auch um die Stärkung der Kinder in den Jugendgruppen und Kindergärten. „Starke Kinder können eher Nein sagen oder sich Hilfe holen“; dies gelte es zu unterstützen, erklärte Gabriele Kraatz. Hier besteht eine enge Zusammenarbeit mit Dekanatsjugendreferentin Carolin Christmann und mit Claudia Droysen von Hamilton von der Fachberatungsstelle gegen sexuelle Gewalt des Landkreises Heidenheim.

HINTERGRUND

Besserer Schutz vor sexuellem Missbrauch

Seit 2012 gibt es die Stabsstelle Prävention, Kinder- und Jugendschutz als dauerhafte Stelle im Bischöflichen Ordinariat. Sie vertritt im diözesanen Auftrag die kirchliche Sorge, dass Kinder, Jugendliche und erwachsene Schutzbefohlene besser und effektiver vor sexualisierter Gewalt bewahrt werden und ihre Menschenwürde geschützt wird. Trotzdem bleibt die Weiterentwicklung und Intensivierung der Prävention sexuellen Missbrauchs eine große Hauptaufgabe der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Mit einem neuen Gesetz und vielen Ressourcen hat die Diözese ein Programm gestartet, mit dem viele tausend haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitende, die für Kinder und Jugendliche sowie für schutz- oder hilfebedürftige Erwachsene verantwortlich sind, über sexuellen Missbrauch und Präventionsmöglichkeiten fortgebildet werden. Das neue Bischöfliche Gesetz über Fortbildungen zur Prävention von sexuellem Missbrauch, das am 4. November 2019 in Kraft getreten ist, regelt die Anforderungen, Zuständigkeiten und Ressourcen genau. Unter Corona-Bedingungen haben bereits die ersten Fortbildungen stattgefunden und werden weitere geplant. Ziel der Präventionsarbeit ist eine Kultur des achtsamen Miteinanders und der Verantwortung für sich selbst und für andere.

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