Bauprojekt

Ein Titel als Ehre und Auftrag

Münsterbauhütte Schwäbisch Gmünd: "Kompetenzzentrum" rund um den Stein. Foto: Johannes Zimmermann

Die Münsterbauhütte ist ein Kompetenzzentrum beim Erhalt des Heilig-Kreuz-Münsters. Jetzt ist sie auch Kulturerbe.

Vielfach sind die Kathedralen, Dome und Münster Wahrzeichen ihrer Städte, Stein gewordener Ausdruck christlich-europäischer Kultur. Doch was wären die Großkirchen ohne die Bauhütten, die sie errichtet haben und die maßgeblich an ihrer baulichen Erhaltung beteiligt sind? Die Unesco hat deshalb das Bauhüttenwesen in das Register Guter Praxisbeispiele zum Erhalt Immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Die UN-Kulturorganisation würdigt damit den internationalen Modellcharakter der Bauhütten, die als fest eingerichtete Werkstätten seit Jahrhunderten für den Erhalt von Großbauten sorgen und dabei traditionelles Handwerk mit neuester Technik verbinden.

Verpflichtung für die Zukunft

Hocherfreut über den verliehenen Titel und auch stolz ist man deshalb in Schwäbisch Gmünd: „Das ist eine große Auszeichnung für die Münsterbauhütte und die Kirchengemeinde Schwäbisch Gmünd“, sagt Adelheid Maria Weber, Leiterin der Münsterbauhütte. „Es ist aber auch eine Verpflichtung gegenüber der Vergangenheit und Zukunft, so ein wichtiges Kulturgut zu erhalten.“ Münsterarchitekt Paul Waldenmaier sprach von einem besonderen Weihnachtsgeschenk, als kurz vor den Feiertagen die Entscheidung des zwischenstaatlichen Ausschusses der Unesco zum Immateriellen Kulturerbe verkündet wurde. Auch für ihn ist die Auszeichnung aber mit einem „Anspruch an uns selber“ verbunden, "die handwerklichen Traditionen zu pflegen und das Wissen an jüngere Generationen weiterzugeben".

Achtzehn Bauhütten aus Deutschland, Frankreich, Norwegen, Österreich und der Schweiz hatten sich für den Antrag auf Aufnahme des Bauhüttenwesens in das internationale Register Guter Praxisbeispiele zusammengeschlossen. Die kleine Gmünder Münsterbauhütte stand darin ebenbürtig neben den großen Dombauhütten von Köln, Straßburg und anderen. Außer in Bayern sind die deutschen Dombauhütten in kirchlicher Trägerschaft. Einziges säkulares Bauwerk im Bewerberverbund ist der Dresdner Zwinger.

Wechselvolle Geschichte

Die Münsterbauhütte Schwäbisch Gmünd hat eine wechselvolle Geschichte. Wie viele andere Bauhütten war sie nicht durchgehend in Betrieb, sondern wurde je nach Bedarf (und finanzieller Lage) eingerichtet bzw. reaktiviert und dann auch wieder stillgelegt. Aus den vergangenen zwei Jahrhunderten sind besonders die aufwendige Chorsanierung 1848-1883 und die Sanierung des Langhauses 1887-1891 zu nennen, in denen die Münsterbauhütte in Erscheinung trat. 1923 wurde die Bauhütte an ihrem jetzigen Standort am Münsterplatz 3 eingerichtet. Das Team um Bauhüttenmeisterin Adelheid Maria Weber besteht aus zwei Steinmetzen, einem Restaurierungshelfer und einem Auszubildenden und ist für sämtliche Steinmetz- und Steinbildhauer- sowie Steinrestaurierungsarbeiten am Heilig-Kreuz-Münster sowie weiterer Kirchen und Gebäude in Schwäbisch Gmünd zuständig: die Johanniskirche, die Wallfahrtsstätte St. Salvator sowie mehrere Kapellen und andere historische Bauwerke.

Initiative der Ulmer Bauhütte

Den Stein ins Rollen gebracht hatte übrigens die Ulmer Münsterbauhütte, vertreten durch den Dekan der Evangelischen Gesamtkirchengemeinde Ulm, Ernst-Wilhelm Gohl: Im Rahmen eines dreigliedrigen Verfahrens stellte sie 2015 beim baden-württembergischen Kultusministerium den Antrag auf Eintragung in das Register Guter Praxisbeispiele zur Erhaltung Immateriellen Kulturerbes, dem sich zwei Jahre später ein um die Bauhütten Freiburg und Köln erweiterter Antrag in das bundesweite Register anschloss. Großen Anteil an diesen Bemühungen hatte auch der im April 2020 verstorbene Ulmer Münsterarchitekt Michael Hilbert. Dem 2019 bei der Unesco eingereichten internationalen Antrag schlossen sich 18 Bauhütten an. Der volle Name der Bewerbung lautete: „Das Bauhüttenwesen der Großkirchen Europas – Weitergabe, Dokumentation, Bewahrung und Förderung von Handwerks­techniken und -wissen“.

Gerade in dieser Kontinuität, einem „nachhaltigen, langfristigen Blick auf das Bauwerk“ liege der besondere Wert der Bauhütten, erklärt die Gmünder Bauhütten-Leiterin Adelheid Maria Weber: „altes Wissen erhalten und die Tradition fortführen und dabei neue Technologien einfließen lassen“. Ohne das von Generation zu Generation weitergetragene Bauhüttenwissen wäre es über die Jahrhunderte wohl kaum gelungen, die kulturprägenden Bauwerke in so gutem Zustand zu erhalten.

Identitätsstiftende Komponente

Ein wichtiges Kriterium für die Unesco-Anerkennung als Gutes Praxisbeispiel sind unter anderem eine nachweisbare Lebendigkeit und eine identitätsstiftende Komponente. „Die Münsterbauhütte ist über die Kirchengemeinde in der Gesellschaft vernetzt, so mit dem Münsterbauverein, den Salvatorfreunden e.V., der Volkshochschule, dem Arbeitskreis Alt-Gmünd, dem Geschichtsverein und der europäischen Kirchenmusik“, schreibt Münsterarchitekt Paul Philipp Waldenmaier in dem kürzlich erschienenen Buch „Europäische Bauhütten: Immaterielles Kulturerbe der Menschheit“. Darin sind die einzelnen Bauhütten vorgestellt. Es ist unter anderem beim Münsterpfarramt am Münsterplatz 5 erhältlich.

Vernetzung gibt es aber auch in Bezug zu benachbarten Gewerken und durch länderübergreifenden Austausch, etwa im Rahmen der jährlich stattfindenden Internationalen Tagung der Dombau-, Münsterbau- und Hüttenmeister. Eva-Maria Seng, Professorin für Materielles und Immaterielles Kulturerbe an der Universität Paderborn, resümiert in dem Buch "Europäische Bauhütten": "Das Hüttenwesen kann so auch als ideale europäische Idee gesehen werden, weil es regional verortet ist, überregional ausstrahlt und international modellhaft in der Europäischen Vereinigung der Dombaumeister, Münsterbaumeister und Hüttenmeister vernetzt ist."

Das Heilig-Kreuz-Münster in Schwäbisch Gmünd ist die erste große Hallenkirche Süddeutschlands und das Ausgangswerk der Baumeisterfamilie Parler. Dieses Kulturdenkmal von europäischem Rang zu erhalten und zu pflegen, ist Aufgabe der Münsterbauhütte.

Fortbildung gestalten, Förderer gewinnen

Adelheid Maria Weber, die seit einem Jahr Leiterin der Münsterbauhütte ist - der einzigen Einrichtung ihrer Art in der Diözese Rottenburg-Stuttgart -, hat sich viel vorgenommen: Mit einer kontinuierlichen Fortbildung der Mitarbeiter will sie das Leistungsspektrum der Bauhütte vertiefen und erweitern und damit mittelfristig auch Einsparpotenziale erzielen. Im vergangenem Jahr wurde ein auf elf Jahre angelegter Sanierungsplan am Heilig-Kreuz-Münster gestartet. Insgesamt 4,8 Millionen Euro sollen investiert werden. Die gute Vernetzung der Münsterbauhütte in der Gmünder Stadtgesellschaft soll weiter gestärkt werden, um weitere Partner und Spender für wichtige Projekte zu gewinnen. Auch eine eigene Internetseite ist in Arbeit.

HINTERGRUND

Zum Immateriellen Kulturerbe zählen lebendige Traditionen aus den Bereichen Tanz, Theater, Musik, mündliche Überlieferungen, Naturwissen und Handwerkstechniken. Seit 2003 unterstützt die Unesco den Schutz, die Dokumentation und den Erhalt dieser Kulturformen. Bis heute sind 180 Staaten dem Unesco-Übereinkommen zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes beigetreten. Deutschland gehört dem Vertrag seit 2013 an.

Einzelne Elemente aus den nationalen Verzeichnissen der Vertragsstaaten können für eine von drei Unesco-Listen des Immateriellen Kulturerbes vorgeschlagen werden. Dazu gehören bereits der Tango aus Argentinien und Uruguay, die traditionelle chinesische Medizin, Reggae aus Jamaika und der Blaudruck in Deutschland, Österreich, Tschechien, der Slowakei und Ungarn. Auch Orgelbau und Orgelmusik sind als Immaterielles Kulturerbe der Menschheit anerkannt.

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