Herr Schmid, Sie waren nach Ihrem Studium schon einmal für längere Zeit in Argentinien. Was fasziniert Sie an diesem Land?
Lateinamerika hat mich schon in meiner Kindheit interessiert, denn ich war in einem Internat der Steyler Missionare in Aulendorf. Dort kamen immer wieder Missionare aus allen Kontinenten zu Besuch, erzählten von ihrem Leben und zeigten Bilder von ihren Missionsgebieten. Das hat mich fasziniert und geprägt. Später im Theologiestudium in Tübingen hatte ich Studenten aus Südamerika kennengelernt und einige Mitstudenten hatten ein Auswärtsjahr in Chile, Brasilien, Mexiko oder Bolivien verbracht. Nach dem Studium wollte ich selbst erleben, was ich nur gehört und in Bildern gesehen hatte. Ich kannte einen Steyler Missionspater aus meiner Internatszeit, der in Argentinien eine große Pfarrei leitete, und dorthin ging ich. Die Pfarrei befand sich im Nordosten Argentiniens, in der Provinz Misiones. Subtropisches Gebiet. Diese Zeit hat mich sehr geprägt: In der Fremde, die Herzlichkeit und Gastfreundschaft der Menschen zu erleben; eine Weltkirche zu entdecken, die in anderen Kulturen den christlichen Glauben lebt und die Caritas praktiziert; Gelassenheit im Alltag anzuwenden, denn vieles funktioniert nicht und man kommt dennoch zurecht. 1992 und 1993 gab es noch kein Internet und keine sozialen Netzwerke. Vieles war einfach nicht möglich und man war dennoch zufrieden.
Kannten Sie die Provinz Santiago del Estero schon, in der Sie jetzt tätig sind?
Nein, die Provinz Santiago del Estero kannte ich nur insofern, dass es eine Partnerschaft zwischen der Diözese Rottenburg-Stuttgart und dem Bistum Santiago del Estero gibt. Beim Zweiten Vatikanischen Konzil entstand die Freundschaft zwischen den damaligen Bischöfen. Es waren seither immer wieder Diözesanpriester in der Diözese Santiago del Estero tätig. Ich kenne einige davon. Ich hatte bei Bischof Gebhard Fürst angefragt, da ich gerne in einem spanisch-sprachigen Land in Südamerika als Priester für eine begrenzte Zeit tätig sein wollte. Da seit einigen Jahren kein Diözesanpriester im aktiven Dienst mehr in Santiago del Estero tätig war, war es ihm ein Anliegen, diese Partnerschaft wieder zu stärken.
Wie steht es um die Situation des Priestermangels in Nordargentinien?
Der Priestermangel im Norden Argentiniens ist genauso spürbar wie in Deutschland. Ein großer Unterschied ist, dass es im Norden schon immer wenige Priester gegeben hat. Vor 20 Jahren waren hier noch viele Missionare aus Europa tätig, deren Nachwuchs stark nachgelassen hat. Sie haben dann die Pfarreien wieder an die Diözese abgegeben. Auf dem Land waren die Pfarreien schon immer sehr groß. In einer vatikanischen Statistik steht, dass auf 7000 Katholiken in Südamerika ein Priester kommt. Zum Vergleich: In Deutschland kommt ein Priester auf etwa 3000 Katholiken. Die Provinz Santiago del Estero hat zwei Diözesen, in der circa 80 Priester und circa 80 Ordensschwestern tätig sind. Übrigens, die Zahl der Ordensschwestern ist noch viel stärker rückläufig.
Welche Auswirkungen hat das konkret?
Der Pfarrer in Mailin hat drei Pfarreien mit circa 20 Kapellen auf einer Fläche von etwa 80 auf 40 Kilometer. In die meisten Kapellen kommt er nur einmal im Monat. Das war schon immer so. Jetzt kommt aber noch dazu, dass die Nachbarpfarrei, die in etwa die gleiche Größe hat, seit zwei Jahren vakant ist. Die italienischen Ordenspriester sind altersbedingt in ihren Orden zurückgekehrt. Es sind einige Pfarreien vakant, es gibt ein paar Pensionäre, die aushelfen. Der Bischof versucht, das Beste daraus zu machen. Die Katholiken versammeln sich vor Ort selbständig. Die Kapelle steht oft auf ‚privatem‘ Besitz und wird von der Gemeinde betreut. Die Gemeinde wird insofern lebendig, wenn es Familien gibt, die sich engagieren. Bei Bedarf kommt der Pfarrer dann dazu und spricht mit den Katechetinnen. Das Patrozinium ist das größte Fest für die Gemeinden. Darauf, wie dies bei noch größeren Pfarreien ermöglicht werden soll, gibt es meines Erachtens keine Antworten. In dieser Zeit der Pandemie dürfen keine Versammlungen wie Gottesdienste stattfinden, daher werden Heilige Messen über soziale Netzwerke live übertragen. Und wir stellen fest, dass sehr viele Menschen in ihren Häusern diese Gottesdienste mitfeiern. Eine neue Form der Verkündigung entwickelt sich da.