Pilgern

„Heute bin ich glücklicher als vor meiner Pilgerreise“

Bernhard Weihermüller ist nach rund drei Monaten auf dem Jakobsweg am Atlantik angekommen. Bild: DRS

Bernhard Weihermüller ist nach rund drei Monaten auf dem Jakobsweg am Atlantik angekommen. Bild: DRS

Auf dem Jakobsweg unterwegs: Bernhard Weihermüller pilgerte in 80 Tagen von Ammerbuch-Entringen nach Santiago de Compostela.

 Im Interview beschreibt der 50-Jährige, was die Erlebnisse auf dem Jakobsweg für ihn bedeuten und weshalb er seine Erfahrungen weitergeben möchte.  

Herr Weihermüller, wann genau kamen Sie auf die Idee, rund 2500 Kilometer von Entringen nach Santiago de Compostela zu pilgern?

Die Idee zu pilgern, ist über Jahre gereift. Immer wieder gab es Impulse, die den Reifeprozess beschleunigt haben. Auf die Idee, von zuhause loszupilgern, kam ich ein bis zwei Jahre vor dem Beginn der Pilgerreise.

Wie lange hat es gedauert?

Die Pilgerreise von zuhause über Vézelay, Saint Jean-Pied-de-Port auf dem Camino Frances nach Santiago de Compostela dauerte rund 80 Tage.

Wie groß war das Volumen des Rucksacks, den Sie dabei hatten?

Mein Rucksack ist variabel auf ein Volumen von 40 bis 50 Liter ausgelegt. Allerdings ist für das Pilgern über lange Strecken eher das belastende Gewicht des Rucksacks entscheidend. Aufgrund der Strecke und mangelnder Erfahrung hatte ich – obwohl im Vorfeld schon stark reduziert – immer noch viel zu viel unnötigen Ballast dabei. Mit der Zeit habe ich gelernt, mit wenig auszukommen, zumal der Jakobsweg dem Pilger stets das gibt, was er braucht.

Für viele Menschen ist es schwer vorstellbar, sich eine so lange Auszeit zu nehmen und die damit verbundenen Einschränkungen zu akzeptieren. Wie sehen Sie das?

Mit dieser Auszeit waren – außer, dass ich in dieser Zeit meine Frau nicht gesehen habe – keine wesentlichen Einschränkungen verbunden. Im Gegenteil. Ich habe mich in dieser Zeit so frei wie selten in meinem Leben gefühlt – eine Zeit ohne irgendwelche Zwänge oder Verpflichtungen.

Sie sagen, dass das Pilgern für Sie ein Geschenk war. Was meinen Sie damit?

Kennen Sie das Gefühl, wenn Sie ein wunderbares Geschenk bekommen, welches Sie nicht ansatzweise erwartet haben? Ich bin mit wenigen Erwartungen losgepilgert. Den Effekt, mal wirklich Zeit zu haben, den im wahrsten Sinne des Wortes wundervollen Weg durch halb Europa, die Begegnungen mit unzähligen großartigen Menschen und letztlich die Ankunft in Santiago de Compostela, hatte ich in dieser Intensität nicht ansatzweise erwartet.

Viele historische Orte mit prächtigen Sakralbauten säumen den Jakobsweg. Ist Ihnen da etwas in besonders guter Erinnerung?

Jede Kapelle oder Kirche auf dem Weg hat ihren speziellen Platz und ist einen Besuch wert. Die Abtei in Flavigny-sur-Ozerain, in der ich übernachten durfte, die Basilika in Vézelay sowie die großen Kathedralen von Burgos und León und die kleinen einfachen Kirchen in Rabanal del Camino und in O Cebreiro waren für mich echte Highlights. Und natürlich die Kathedrale in Santiago de Compostela – die durch den von der deutschen Pilgerseelsorge kostenlos angebotenen spirituellen Rundgang für mich die Krönung des Weges war.

Sicher haben Sie unzählige schöne Erlebnisse gesammelt, von denen Sie berichten können. Würden Sie uns bitte ein kleines Beispiel geben?

Auf dem Weg von Saint Jean-Pied-de-Port in Frankreich über die Pyrenäen nach Roncesvalles in Spanien kommt man dem Himmel schon sehr nahe. Wir sind im Sonnenaufgang durch die Wolken gestiegen und sahen alsbald vom Gipfel hinunter die Provinz Navarra – ein unvergessliches Erlebnis.

In Ihrem Vortrag verarbeiten Sie auch Ton- und Filmaufnahmen von unterwegs. Hatten Sie schon von Beginn an geplant, einen Vortrag zu halten oder hatte diese Dokumentation einen anderen Anlass?

Da ich für mich gelaufen bin, hatte ich zunächst nicht daran gedacht, anderen über meine Reise groß zu berichten. Als ich von meiner Pilgerreise zurückkam, baten mich Familie, Freunde und Kollegen von meinen Erlebnissen zu erzählen, oder diese gar im örtlichen Kulturverein vorzustellen. Zuerst dachte ich mir, ich bin ja für mich gepilgert und vieles ist zu persönlich. Schließlich bin ich aber zu dem Schluss gekommen, dass das Pilgern für mich ein großes Geschenk war, welches ich mit anderen Menschen durchaus teilen kann. Und damit war die Idee, einen Vortrag zu machen, geboren.

Die bei Ihrem Vortrag in Entringen gesammelten Spenden haben Sie zur Hälfte an die Pilgerseelsorge in Santiago weitergeleitet. Wie kam es dazu?

Viele Pilger kommen in Santiago an und stellen plötzlich fest, dass die großartige Zeit des Pilgerns sich dem Ende zuneigt. Die von der Pilgerseelsorge angebotenen Pilgertreffen zum Erfahrungsaustausch, Einzelgesprächen und die deutschsprachigen Gottesdienste als Ergänzung zu den internationalen Gottesdiensten leisten einen großen Beitrag dazu, in Santiago anzukommen und die Pilgerreise abzuschließen. Darüber hinaus bietet die Pilgerseelsorge mit dem spirituellen Rundgang eine großartige Gelegenheit, den Aufbau und die vielen Facetten der Fassade der Kathedrale kennenzulernen. All diese Angebote sind kostenlos und verdienen es, unterstützt zu werden. 

Werden Sie auch in Zukunft Vorträge über das Pilgern anbieten?

Solange das Interesse besteht, ist es mir eine Herzensangelegenheit, Vorträge über das Pilgern anzubieten.

Pilgern ist in unserer Zeit auch zu einem großen Trend geworden. Woran, denken Sie, liegt das?

Die meisten Menschen suchen nach Sinn im Leben und oder haben Veränderungen, wie zum Beispiel Berufswahl, Midlife-Crisis, Trennungen, Renten-Eintritt et cetera 
zu meistern. Der Weg bietet viele Möglichkeiten, Antworten auf die damit verbundenen Fragen zu erhalten.

Ist das Pilgern auch ein guter Weg, dem Glauben und der Kirche nahe zu kommen?

Hier möchte ich auf das Zitat eines Pilgers zurückgreifen: ‚Wer Gott auf dem Weg sucht, der findet ihn – wenn er denn will –, Gelegenheiten dazu gibt es zur Genüge.‘

Wie haben Sie das bei anderen Pilgern, die Sie getroffen haben, erlebt?

Die Pilger, die fest im Glauben stehen, nutzen meist die Gelegenheit, Pilger-Gottesdienste zu besuchen und einen Pilger-Segen zu empfangen. Etliche Pilger, die gar nicht oder  weniger gläubig sind, beobachten dies und besuchen dann doch mal einen Gottesdienst oder eine Andacht. Da kommt bei dem einen oder anderen etwas in Bewegung.

Wie war es nach Ihrer Rückkehr? War es da schwer, sich wieder in den Alltag einzufinden?

In der Tat war es für mich nach dieser langen Reise in den ersten Wochen eine Herausforderung, mich wieder im Alltag zurechtzufinden. Ich hatte mich und meine Sicht auf das Leben etwas verändert. Nun galt es, Dinge zu verändern und die damit verbundenen Herausforderungen zu meistern. Heute bin ich zufriedener und glücklicher als vor meiner Pilgerreise.

Zur Person

Bernhard Weihermüller ist gebürtiger Tübinger. Er ist verheiratet und betreibt in seiner Freizeit gerne Laufsport und Gartenarbeit. Vor wenigen Jahren ist er in die katholische Kirche eingetreten. „Im Grunde war ich schon immer ein gläubiger Mensch. Zeitweilig dachte ich aber, dass es dafür keiner Kirche bedarf“, sagt der 50-Jährige. In dem Maße, in dem er älter und vielleicht auch reifer wurde, habe er seine Einstellung zur Kirche jedoch geändert. In Entringen habe er eine lebendige katholische Gemeinde gefunden, in der er sich sehr wohl fühlt.

Hinweise

Sollten Veranstalter Interesse daran haben, Bernhard Weihermüller für einen Vortragsabend über das Pilgern auf dem Jakobsweg zu kontaktieren, können sie ihn über die E-Mail-Adresse Pilger(at)Weihermueller.com erreichen. 

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