Corona

Hilfe für Flüchtlinge – Corona zum Trotz

Im Interview berichten ein Ehrenamtlicher und eine Expertin, wie die Corona-Pandemie die Arbeit in der Flüchtlingshilfe erschwert hat.

Im Landkreis Ludwigsburg sind die entsprechenden Arbeitskreise in den Kommunen im so genannten Forum Asyl organisiert. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben sich vor kurzem erstmals digital ausgetauscht. Wir haben mit Martha Albinger von der Caritas in Ludwigsburg und dort zuständig für das Forum Asyl und Albrecht Bäuerle, dem Leiter des ökumenischen Arbeitskreises Asyl der Stadt Kornwestheim, gesprochen. Die beiden berichten über die Konsequenzen von Corona für ihre Arbeit mit den Geflüchteten und stellen Forderungen an die Politik.

Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie für die Arbeit der Arbeitskreise Asyl vor Ort?

Albinger: Zuerst hat der Shutdown die Ehrenamtlichen überrascht und es herrschte eine lähmende Stille. Viele haben sich gefragt, ob sie nun wirklich von heute auf morgen nicht mehr in die Flüchtlingsunterkünfte gehen dürfen. Ich bot dann sehr schnell eine Telefonsprechstunde an, um offene Fragen schnellstmöglich abklären zu können. Für mich war dieser Service für die Ehrenamtlichen, die bislang so viel geleistet haben, sehr wichtig. Zudem habe ich fleißig Mails mit aktuellen Infos und Anregungen an die Mitglieder unseres Forums geschickt. Inzwischen sind die Flüchtlingsunterkünfte unter den üblichen Abstands- und Hygieneregeln wieder geöffnet und die ersten Arbeitskreis-Asyl-Treffen haben vor Ort unter den erschwerten Bedingungen wieder stattgefunden. Besonders viele und auch ausführliche Rückmeldungen kamen auf meine Anfrage, inwiefern Hausaufgabenhilfe angeboten und was benötigt wird, um diese weiterzuführen und/ oder auf neue Beine zu stellen.

Bäuerle: Im Arbeitskreis Asyl Kornwestheim sind insgesamt 35 Ehrenamtliche aktiv. Wir begleiten Familien und Einzelpersonen zu Behörden und zu Ärzten, unterstützen bei der Arbeitssuche, bereiten sie auf Gerichtsverhandlungen vor usw. Zudem kümmern wir uns um Freizeitangebote für die Kinder der Flüchtlinge und bieten eine Hausaufgabenbetreuung an. Als die Corona-Pandemie ausbrach, hatten wir sowohl Angst um unsere Geflüchteten, die ja in sehr beengten Verhältnissen wohnen, als auch um uns selbst. Wir hatten Zutrittsverbot zu den Objekten. Wir haben, so gut es ging, den Kontakt über Mailings und WhatsApp gehalten, um den Geflüchteten beizustehen. Die meisten Engagementpunkte mussten allerdings vollständig eingestellt werden. Die Geflüchteten selbst sind erstaunlich gut mit der Situation umgegangen und waren auch durch mehrsprachige Aushänge bestens informiert. Wichtig war es aus meiner Sicht, genauso mit den Ehrenamtlichen aus meinem Team umzugehen, sich also durch Mailings und per Zoom-Meetings auszutauschen und aufzumuntern.

Welche Erfahrungen haben sie mit den weiteren Ehrenamtlichen im Landkreis Ludwigsburg gemacht? War hier die Angst vor einer Ansteckung vorherrschend und sind in Folge viele Ehrenamtliche weggebrochen?

Albinger: Viele der Ehrenamtlichen sind schon älter und gehören der Risikogruppe an. Deshalb hatte sicher der ein oder andere Angst um sich und seine Familie – was ja verständlich ist. Konkrete Anrufe dazu haben mich aber nicht erreicht. Vielmehr machten sich die Ehrenamtlichen, wie das auch Herr Bäuerle für Kornwestheim schildert, Sorgen um die Geflüchteten. Sie gingen vor die Wohnheime und nahmen von außen Kontakt auf. Ein schönes Beispiel ist, dass eine unserer Engagierten in Tamm mit einem Akkordeon vor dem Wohnheim der Flüchtlinge spielte, sodass die Geflüchteten wussten, dass die Ehrenamtlichen sich um sie sorgten und sie nicht alleine ließen. Zumal andere aus dem Asylkreis mitgekommen sind und über die Fenster – wie wir es von den Bildern aus den Pflegeheimen kennen – mit den Geflüchteten über ihre Sorgen und Probleme gesprochen haben.

Was für Konsequenzen hat die Pandemie mit den Hygieneauflagen und Kontaktbeschränkungen für die Flüchtlinge selbst? Sind Erwachsene und Kinder – Stichwort Schule – gleich betroffen?

Albinger: Da sich viele Geflüchtete, die Arbeit hatten, in prekären Arbeitsverhältnissen befanden, wurden und werden diese als erstes entlassen. Es fanden keine Integrationskurse statt, sodass auch das Lernen der Sprache stagnierte, vor allem da es ja wenig Kontakt zu Ehrenamtlichen gab. Die Flüchtlingskinder sind wie andere benachteiligte Kinder und Jugendliche in besonderer Weise von den Schulschließungen betroffen. Es fehlte an Technik – angefangen beim WLAN über Laptops bis hin zum notwendigen Knowhow. Die Eltern der Flüchtlingskinder haben häufig wenige Möglichkeiten, diese zu unterstützen, und die engen Wohnverhältnisse schränkten das Homeschooling zusätzlich ein. Wir gehen davon aus, dass  benachteiligte Kinder insgesamt und Kinder und Jugendliche von Geflüchteten in besonderer Weise schulisch abgehängt werden und es einer professionellen, schulischen Förderung und eines starken ehrenamtlichen Engagements bedarf, um diesen Kindern und Jugendlichen bei ihrem schulischen Weiterkommen zu helfen.

Wie gehen Sie mit diesen Auflagen vor Ort um? Welche Lösungen haben Sie in Kornwestheim gefunden?

Bäuerle: Bislang konnten wir mit einigen Punkten unseres Engagements, wie zum Beispiel dem Deutschunterricht oder der Hausaufgabenbetreuung bei Erwachsenen, wieder starten. Während des Lockdowns wurde Einzel-Deutschunterricht für Erwachsene im Park oder an sonstigen Orten draußen abgehalten. Ebenso haben wir im Freien Gespräche geführt und einzelne Geflüchtete beraten und unterstützt. Bei den Erwachsenen wurden die überörtlichen Kurse – also Deutschunterricht, der Integrationskurs und die Berufsvorbereitung – über mehrere Monate hinweg eingestellt und nur zum Teil über Homeschooling weitergeführt. Durch fehlende Laptops und Drucker konnten auch lernwillige Erwachsene dies jedoch nur teilweise erledigen. Bei den Kindern war nur wenig Hilfestellung und Kontrolle möglich, auch hier lag das an fehlenden Endgeräten bzw. an den Eltern, welche bei den Schulaufgaben nicht helfen konnten. Die geflüchteten Kinder sind regelmäßig benachteiligte Kinder, da viele der Eltern das Bildungssystem nur mäßig kennen und nicht helfen können. Zu Beginn der Maskenpflicht hat unser Arbeitskreis Asyl vor den Flüchtlingsunterkünften 200 Masken und eine Erstausstattung an Desinfektionsartikeln ausgegeben. Dies wurde sehr gut von den Geflüchteten angenommen und sie haben dadurch gemerkt, dass sie von uns nicht vergessen werden.

Was würden Sie sich wünschen, um Ihr ehrenamtliches Engagement bestmöglich auch unter Corona-Bedingungen umsetzen zu können?

Bäuerle: Wichtig wäre, dass die Reaktionen und Lösungsansätze der Politik schneller und zielorientierter kommen und nicht das ehrenamtliche Engagement schneller reagiert als die Politik. Lehrkräfte sollten zudem den Flüchtlingskindern generell eine besondere Aufmerksamkeit schenken. Denn hier werden Ressourcen der Kinder aufgrund der erst im Aufbau befindlichen Integration nicht genutzt. Ferner wäre es gut, wenn die Politik neue Lösungsansätze sammeln und veröffentlichen würde, um neue Ideen anzuregen. Das Asylrecht selbst ist zu starr auf das Bleiberecht ausgerichtet. Viele nicht Bleibeberechtigte – also Menschen in Duldung – sind in Arbeit, die Unternehmen möchte diese eingearbeiteten Mitarbeiter nicht verlieren. Diese erhalten nach der jetzigen sehr restriktiven Gesetzeslage eine so genannte Beschäftigungsduldung erst nach geraumer „Wartezeit". In dieser Wartezeit können diese Menschen jederzeit abgeschoben werden und haben keinerlei Schutz, hinzu verliert der Arbeitgeber plötzlich eingearbeitete Mitarbeiter. Ferner können sich Beschäftigte in der Regel selbst versorgen und sind nicht auf Mittel des Staates angewiesen, sondern zahlen Steuern und Sozialabgaben. Durch die Zeit der Angst werden Blockaden vertieft und Kraft und Ausdauer zur Integration behindert. Hier sollten dringend reformierte Gesetze Abhilfe schaffen. Gesetze, welche diesem Personenkreis besseren Schutz bietet.

Albinger: Auch aus meiner Sicht bedarf es der professionellen Unterstützung von benachteiligten Kindern und Jugendlichen, insbesondere von Geflüchteten. Dass auch Familien, die noch im Bezug von entsprechenden Leistungen sind und kein Kindergeld bekommen, den Kinderbonus erhalten. Wir sollten Flüchtlinge zudem nicht nach Afghanistan abschieben und die Bundesrepublik sollte sich, unabhängig davon, ob sich die EU engagiert, was natürlich notwendig ist, für die Seenotrettung einsetzen. Denn auch hier geht es um Menschenleben. Ganz wichtig wäre es auch, unbegleitete Kinder und Jugendliche und andere besonders schützenswerte Menschen aus den Flüchtlingslagern in Griechenland bei uns aufzunehmen.

Hintergrund: Das Ökumenische Forum Asyl im Landkreis Ludwigsburg

Im Forum Asyl haben sich mehr als 50 Arbeits- und Freundeskreise Asyl im Landkreis Ludwigsburg zusammengeschlossen. Die Ehrenamtlichen kümmern sich um rund 3.000 Flüchtlinge in der vorläufigen Unterbringung und viele weitere in der Anschlussunterbringung. Gegründet wurde das Forum als Reaktion auf die Vielzahl an Asylkreisen, die sich in den Jahren 2014 und 2015 gebildet haben. Ein erstes Treffen fand im März 2015 statt. Das Forum Asyl soll die Ehrenamtlichen qualifizieren, vernetzen und für einen Austausch untereinander sorgen. Die Geschäftsführung liegt bei der Ökumenischen Fachstelle Asyl, die von Caritas Ludwigsburg-Waiblingen-Enz und dem Kreisdiakonieverband Ludwigsburg verantwortet wird. Da sich das Forum Asyl aus dem früher landkreisweit tätigen Ökumenischen Arbeitskreis Asyl Ludwigsburg entwickelt hat, sind im Organisationsteam weitere Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche.

Weitere Informationen unter www.fachstelle-asyl.de/forum-asyl/forum-asyl.html.

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