Anlässlich der Verabschiedung von Akademiedirektorin Dr. Verena Wodtke-Werner haben Vertreter aus Kirche und Politik das langjährige Wirken der Theologin an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart gewürdigt. Bei einem Festakt in Stuttgart-Hohenheim verwiesen sie zugleich auf die zentrale Bedeutung der katholischen Akademiearbeit angesichts politischer, gesellschaftlicher und kirchlicher Umbrüche.
"Keine Angst vor dem Fremden"
Als Schwerpunkte des vielfältigen Wirkens Wodtke-Werners hob Bischof Dr. Klaus Krämer die interreligiöse Ökumene, die Rolle der Frau in Kirche und Gesellschaft und den Themenbereich Spiritualität und Glaube hervor, wie es in einer Mitteilung der Akademie heißt. Als langfristig bedeutsam hätten sich besonders das Projekt „Islam im Plural“, der Dialog mit der orthodoxen Theologie und die Vergabe des Alfons Auer Ethik-Preises erwiesen. Hinsichtlich der kirchlichen Partizipation von Frauen würdigte der Bischof unter anderem das „Hohenheimer Theologinnentreffen“ mit Teilnahme der großen Vordenkerinnen feministischer Theologie und die Initiierung zweier großer Kongresse zum Diakonat der Frau. „Sie haben kaum heiße
Eisen ausgelassen und sind hartnäckig an Themen drangeblieben“, lobte der Bischof. Zur Reflexion spirituellen und pastoralen Handelns habe stets auch gehört, „Fehler und strukturelle Schieflagen in Kirche und Gesellschaft zu benennen“, sagte Krämer. Bereits 2010 habe die Akademiedirektorin Vorgänge um den Missbrauch aufgegriffen und in vielfältigsten Veranstaltungsformaten seither thematisiert. Dabei habe Wodtke-Werner „eine Vorliebe für
außergewöhnliche Themen, für außergewöhnliche Menschen und für außergewöhnliche Begegnungen gehabt. Das setzte voraus, dass sie keine Angst vor dem Fremden und Unbekannten hatte und dass sie dem freien Wort viel, wenn nicht alles, zutraute.“
„Räume geöffnet"
Ordinariatsrätin Karin Schieszl-Rathgeb würdigte eine 15-jährige Leitungszeit, die geprägt gewesen sei von „großer Leidenschaft, klarem Profil, intellektueller Wachheit und der Bereitschaft, sich einzumischen.“ Wodtke-Werner habe „Räume geöffnet für Fragen, die uns als Kirche und Gesellschaft bewegen – auch dann, wenn sie unbequem waren. Entscheidend war: Das gemeinsame Anliegen war immer spürbar – die Akademie als Ort des Dialogs und der gesellschaftlichen Verantwortung weiterzuentwickeln.“
Seitens der Mitarbeitervertretung lobte Dr. Johannes Kuber die Fähigkeit der Direktorin, „offen, auf Augenhöhe und mit einem klaren Blick für das Wesentliche transparent zu kommunizieren.“ Intensiv habe sie die Mitarbeitenden in Entscheidungsprozesse einbezogen. Fachlich habe das Kollegium Wodtke-Werner als feministische Theologin geschätzt, „die von Anfang an progressive, machtkritische und diskriminierungssensible Entwicklungen in Theologie und Kirche nicht nur wohlwollend begleitet, sondern oft genug auch selbst auf die Agenda gesetzt hat.“
Zahlreiche Kooperationen
Der Vorsitzende des Kuratoriums der Akademie, Thomas Löffler (Eichenberg, Österreich) erklärte, Wodtke-Werner habe „immer wieder die Würde des Menschen und die Bewahrung der Schöpfung im Kontext des christlichen Wertekanons in den Mittelpunkt ihrer Arbeit gestellt.“ Er verwies auf die zahlreichen Kooperationen, die zum Beispiel bei den Hohenheimer Tagen des Migrationsrechts oder dem Theologisches Forum Christentum – Islam ihren Ausdruck finden. Löffler rief dazu auf, auch künftig die Autonomie der Akademie zu wahren. Die Unabhängigkeit sei „ein zentrales Element akademischer Freiheit und wissenschaftlicher Exzellenz“ und zudem Voraussetzung dafür, um für
außerkirchliche Partner wie zum Beispiel die Landesregierung, Stiftungen oder Unternehmen ein akzeptierter Ratgeber zu sein.
In seinem Festvortrag plädierte der katholische Theologe und Publizist Dr. Thomas Arnold (Dresden) für Akademien als „Orte, in denen wir nicht nur beobachten, woher das Licht kommt, sondern den Himmel öffnen, damit verschiedene Perspektiven auf das Licht möglich werden.“ Dabei müssten die Akademien auch den Mut haben, „den Streit ins eigene Haus zu holen - auch um den Preis, dann Menschen im Publikum zu haben, die nicht mit dem eigenen Denkhorizont übereinstimmen.“ Über die Akademien hinausgehend brauche es in der Kirche der Zukunft Orte, an denen Menschen die Chance bekommen, „ihr Leben aus einer Hoffnungsperspektive zu deuten und wo sich Religiosität in einen
persönlichen Glauben wandelt.“ Von zentraler Bedeutung sei es dabei, herauszukommen „aus der Fixiertheit unserer Kirche auf ihr eigenes Überleben“, erklärte der frühere Direktor der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen und jetziges Mitglied im Leitungsstab des sächsischen Innenministeriums. Die von kirchlicher Seite oft beklagte Enttraditionalisierung der Gesellschaft sei zunächst einmal ein Gewinn an Freiheit und Autonomie, erklärte Arnold. „Alles der Verantwortung des Einzelnen zu überlassen, ist ein wunderbarer Zugewinn an Freiheitsgestaltung und Lebensoptionen. Aber andererseits ist gleichzeitig der Entscheidungsdruck auf Dauer gestellt: Wie will ich leben und wofür entscheide ich mich?“ Die Überforderung der individuellen Freiheit führe dann zu Ohnmachtserfahrungen in einem Staat, der nur sehr beschränkt gesellschaftliche Prozesse der Umgestaltung steuern will, weil er auf Freiheit und Liberalität setzt. Im Sinne einer integrierenden Kraft für die Überwindung wachsender Spannungen bezeichnete Arnold die „katholische Intellektualität als Avantgarde für den Kitt der Gesellschaft“ – so der Titel seines Vortrags.
In ihren eigenen Worten zum Abschied hob Wodtke-Werner hervor, ihr und dem Team sei es stets ein Anliegen gewesen, „Dinge, Sachverhalte, Strukturen, Arbeitsinhalte und Arbeitsformen anders wahrzunehmen, um sie so auch neu denken zu können“. Orientierung geboten habe dabei der Dreiklang von „Nachdenken – Weiter Denken – In die Weite Denken“. Entsprechend ging es „um den sach- und fachgerechten Dialog, um kritisches, unterscheidendes Denken, über das Darüber hinausdenken – über das, was wir schon immer für wahr und richtig gehalten haben – und um ein in die Weite Denken der Existenz“, so die scheidende Direktorin. Möglich sei dies gewesen, weil der Akademie durch den Bischof die entsprechende Freiheit zugesprochen wurde. Wodtke-Werner erinnerte auch daran, dass die kirchlichen Akademien nach dem Zweiten Weltkrieg als Reaktion auf den Faschismus gegründet wurden – „gedacht als ein Ort des intellektuellen und freien Austauschs von Ideen, Konzepten und Meinungen, konnotiert und geleitet vom Geist Christi.“