Advent

An Heiligabend tanzt die ganze Familie

Für Familie Kraft, deren Wurzeln nach El Salvador und ins Remstal reichen, mischen sich zentralamerikanische und deutsche Bräuche.

Die muttersprachlichen Gemeinden in Stuttgart sind für viele Menschen eine wichtige Gemeinschaft – in der sie ihre religiöse Herkunft leben und ihre Traditionen pflegen. Für Familie Kraft, deren Wurzeln nach El Salvador und ins Remstal reichen, sind Advent und Weihnachten vor allem eines: eine fröhliche Zeit, in der sich zentralamerikanische und deutsche Bräuche mischen. Ein wichtiger Bestandteil des Heiligabends ist neben dem Abendessen mit Freunden und dem Gottesdienst denn auch der Anruf bei der Familie in El Salvador, die in großer Zahl im elterlichen Haus in San Salvador versammelt ist.

Morena und Arne Kraft leben seit fünf Jahren in Fellbach, der Heimat des 38 Jahre alten Marketingleiters. Zuvor hat das Ehepaar gemeinsam neun Jahre lang in San Salvador verbracht, wo der achtjährige Sohn Santiago geboren ist. Seine beiden jüngeren Geschwister Maximilian und Maya kamen in Deutschland zur Welt. „Das Leben in El Salvador mit Kindern erschien uns zu gefährlich, deshalb sind wir nach Deutschland gezogen“, sagt Arne Kraft. Die Kriminalitätsrate in dem kleinen zentralamerikanischen Land ist hoch, Gewalt unter Jugendlichen auf der Straße keine Seltenheit.

Bei dem achtjährige Santiago sind die Erinnerungen an die Weihnachtszeit in El Salvador schon verblasst, aber eins hat er noch deutlich vor Augen: die vielen Jesuskinder, die in einer Krippe oder einfach auf Kissen liegend, überall im Haus der Großeltern zu finden sind. Wie viele der salvadorianischen Bräuche ist auch das Jesuskind auf einem Kissen mit nach Fellbach gekommen: dort liegt es jetzt auf einem Hocker mitten im Wohnzimmer. In El Salvador sind nicht nur die Krippen und die Jesuskinder schon im November in den Häusern zu finden, sondern üppig geschmückte Plastik-Weihnachtsbäume. Den freilich sucht man bei Familie Kraft vergeblich: „Ein Weihnachtsbaum aus Plastik, das geht nicht“, sagt Arne Kraft, der mit der Nordmanntanne die Tradition seiner Eltern weiterführt, allerdings mit einem wesentlichen Unterschied: Der Baum steht viel länger. „Beim ersten Baumverkauf in Fellbach sind wir da und suchen uns einen aus, der dann bis Ende Januar stehen bleibt.“

Morena Mercado de Kraft genießt den Advent in Deutschland, sie mag es, über die Weihnachtsmärkte zu bummeln, die es in El Salvador nicht gibt. Sie mag die Gottesdienste in der spanischsprachigen Gemeinde in St. Fidelis im Stuttgarter Westen, wo sie viele liebgewonnene Menschen trifft. An den Feiertagen selbst aber verspürt sie dann doch die Sehnsucht nach den fröhlichen Feiern und den offenen Häusern ihrer alten Heimat am Pazifik. „An Heiligabend besuchen sich Nachbarn, Verwandte, Bekannte den ganzen Tag über. Alle Häuser sind offen und jedem Besucher wird ein kleines Geschenk überreicht“, erzählt sie. Abends kommt dann die ganze Familie im elterlichen Haus zusammen, es wird gegessen, geredet, viel gelacht – und irgendwann dann auch zusammen „La Bala“ getanzt. „Mit Weihnachten hat das Lied nichts zu tun, aber es ist Brauch, an Heiligabend und bei Hochzeiten darauf zu tanzen und zu singen“, sagt die studierte Marketingfrau. Zu „La Bala“ gehört es, zu hüpfen, die Arme zu schwingen und Küsschen zu verteilen – eben das zu tun, was der Text einem vorgibt. „Alle machen mit, die Kinder genauso wie die Großeltern“, sagt Arne Kraft, der sich an die eher ernsten Heiligabende in seiner Familie erinnert. „In El Salvador wird viel weniger Wert auf Äußerlichkeiten gelegt, da muss die Serviette nicht richtig gefaltet sein, sondern da tut es auch an Heiligabend mal ein Pappteller.“ Und an Mitternacht gehen dann alle gemeinsam zur Christmette in die Kirche.

La Bala tanzen werden die Krafts an diesem Heiligabend nicht, aber sie werden Freunde zu Gast haben und sie werden zusammen in den Gottesdienst gehen. Auf den Tisch kommt an Heiligabend vielleicht Tamales, in Bananenblätter eingewickeltes Fleisch mit Gemüse, vielleicht aber auch Truthahn oder Ente. „In den ersten Jahren in El Salvador tat ich mich schwer mit Tamales, ich musste immer die dreifache Menge Weißbrot dazu essen, inzwischen habe ich das Nationalgericht lieb gewonnen“, sagt Arne Kraft. Nach dem Abendessen, wenn die Kinder im Bett sind, wird Morena Mercado de Kraft ihre Familie anrufen, alle werden da sein, ein paar tausend Kilometer entfernt in dem kleinen Land am Pazifik. „Als Kind war das schönste an Weihnachten immer der erste Weihnachtsfeiertag, an dem wir alle zusammen an den Strand gefahren sind, um dort den Tag zu verbringen.“ 

Ob als Text-Bild-Reportage, als Video oder Podcast: Unter der Rubrik "Mein Advent" sammeln wir an dieser Stelle besondere Geschichten aus einer ganz besonderen Zeit.

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