3000 Kilometer musste Andreas Natterer (54) aus Kornwestheim marschieren, um sich seinen Traum zu erfüllen: den Jakobsweg zu beenden und in Santiago de Compostela (Spanien) die Pilgermesse zu besuchen. „Als ich das geschafft hatte, habe ich erstmal geweint“, sagt er. Unumwunden und ohne Scham. Denn dafür ist kein Platz in Natterers Leben. Er will es voll und ganz spüren und das Beste aus sich rausholen. Dass ihm das immer wieder aufs Neue gelingt, motivierte ihn vor zwölf Jahren, sich auf den Jakobsweg zu machen. „Ich wollte Gott danken, dass ich trotz meiner Behinderung so weit gekommen bin.“
Seit seiner Kindheit ist Andreas Natterer beinahe blind. Er kann Farben sehen und Umrisse erkennen. Zu wenig, um ein in die Norm gepresstes Leben zu führen. Aber mehr als genug, um die Schönheit der Natur auch mit diesem Sinn wahrzunehmen und aufzunehmen.
Wandern ist sein Hobby
Andreas Natterer wuchs mit drei Brüdern nahe Freiburg auf. In Waldkirch besuchte er die Blinden- und Sehbehindertenschule. Unter der Woche lebte er im Internat. 1985 kam er zur Nikolauspflege, einer Blindenstiftung in Stuttgart, und machte eine Ausbildung zum Korbflechter. „Das lag mir aber nicht besonders“, sagt er. Als sich ihm die Chance bot, schulte er um und arbeitet nun als Bürsten- und Besenmacher im Haus des Blindenhandwerks in Esslingen.
Schon als Kind war Andreas Natterer am liebsten draußen. Seit mehr als 35 Jahren wandert er - auf dem Westweg durch den Nordschwarzwald, über den Kandelhöhenweg durch den Südschwarzwald oder auch auf den Höhenwegen der Schwäbischen Alb.
"Wandern mit Gott"
Und dann also der Jakobsweg. „Wandern mit Gott“ habe er das immer genannt, sagt Natterer schmunzelnd. Jeden einzelnen Kilometer habe er genossen. 3000 Kilometer und kein Jammertal? „Nein. Nie.“ Nur auf den letzten Kilometern vor Santiago, da habe er manchmal genug gehabt. „Da waren so viele Leute unterwegs, das hat schon fast keinen Spaß mehr gemacht.“
Eine Überraschung in Santiago machte das locker wett: „Andy!“ schallte es nach der Pilgermesse über den Platz. „Und dann standen meine Brüder da und haben auf mich gewartet“, erzählt Natterer. „Die sind extra nach Spanien geflogen. Das hat mich sehr gerührt.“ Gemeinsam verbrachten sie einige schöne Tage im Norden Spaniens, fuhren gemeinsam zum Kap Finisterre, wo der Jakobsweg endgültig endet und die Klippen steil ins Meer abfallen. Ließen sich durch die Kathedrale von Santiago führen und besuchten die deutsche Pilgerseelsorge, die seit zehn Jahren von der Diözese Rottenburg-Stuttgart organisiert wird. Im Pilgerzentrum holte sich Andreas Natterer seine Pilger-Urkunde, die Compostela, ab. In zweifacher Ausfertigung: „Einmal für mich und einmal für meine Eltern."
Im Sommer geht's von Gmunden nach Sterzing
„Der Jakobsweg hat mich ein bisschen näher zu mir geführt“, sagt Andreas Natterer. Zu Ende ist sein Weg damit noch lange nicht. Noch immer träumt er davon, Deutschland einmal von Nord nach Süd und von West nach Ost zu durchqueren. Ein anderer Wunsch wird im kommenden Sommer wahr: Im Juni wird Andreas Natterer mit einem Freund die Alpen überqueren und von Gmunden nach Sterzing wandern. „Die leichte Tour.“ Sagt’s und lacht.