Auf Lichtsuche von Ljubljana bis Ulm

Marko Dvořák wirkte viele Jahre als pastoraler Mitarbeiter der Slowenischen Gemeinde in Ulm. Der Sprachwissenschaftler gilt als einer der Intellektuellen des Slowenischen Frühlings 1991. Foto: DRS/Jerabek

Von Liebe und Hoffnung handeln die Gedichte des Marko Dvořák. Und vom Licht, das zu suchen sich der slowenische Publizist aus Ulm aufgemacht hat.

Rastloses Suchen, Sehnsucht, oft auch Wehmut atmen die Zeilen, die Marko Dvořák zu Papier bringt, wenn er von der Liebe schreibt. Es ist die Liebe, an der zu ergötzen er sich anschickt – um sogleich auch die Wunden zu spüren, die sie schlägt, wenn sie ohne Widerhall bleibt oder nur noch Erinnerung ist. Doch fast trotzig konjugiert er weiter, weil zu lieben sich immer lohnt. Es ist der Trotz eines im Herzen jung und rastlos gebliebenen katholischen Intellektuellen, in dessen bewegtem Leben sich der kulturelle Reichtum Europas widerspiegelt, Aufbruch und Niederlage, die Existenz im „konstanten Provisorium“, und auch das Ringen eines Kontinents um seine Identität und seine Werte.

Ein Glas Montepulciano bestellt sich Marko Dvořák, wenn er im lauschigen Biergarten der „Zill“ im Ulmer Fischerviertel Platz nimmt. Wenn es nicht regnet, die Gesundheit mitspielt und "Corona" es (wieder) zulässt, ist er auch bei kühlen Temperaturen hier mittags anzutreffen, parliert mit seinem Sohn Boštjanund anderen Stammgästen oder lauscht der Großen Blau, die auf ihren letzten Metern vor der Mündung in die ruhigere Donau viel zu „erzählen“ weiß. „Wir mögen das Wasser, und weil wir weit weg sind vom großen Gewässer, das unsere Heimatstadt Piran umgibt, sind wir gern an der Blau“, erklärt Boštjan Dvořák.

Einige Kilometer flussaufwärts, in Blaustein, begann Mitte der Achtzigerjahre Marko Dvořák als Pfarrhelfer bei der Slowenischen Katholischen Mission (Slowenische Gemeinde) zu arbeiten. Ein Vierteljahrhundert wirkte er als pastoraler Mitarbeiter, organisierte kulturelle Veranstaltungen, half Landsleuten mit Rat und Tat. Nach den Worten von Pfarrer Roman Kutin, slowenischer Ausländerseelsorger im Bistum Augsburg, der auch für die Region Ulm zuständig ist, war Dvořák die rechte Hand des Pfarrers“. In den Räumen der Slowenischen Katholischen Mission, die erst in Blaustein und dann in Ulm in der Olgastraße angesiedelt war und 2005 muttersprachliche Gemeinde in der Seelsorgeeinheit Ulmer Westen wurde, gab er Religionsunterricht, lehrte Kinder die Muttersprache der Eltern und mit der Sprache auch die Kultur der selbstbewussten Nation in Zentraleuropa.

Herkunftskultur nicht "wegwerfen"

Nicht nur mit Blick auf die verstreut lebenden Slowenen sieht Dvořák die Pflege der Herkunftskultur als Voraussetzung für eine gelingende Integration an: „Integrieren kann sich nur derjenige, der in diese Integration etwas mitbringt, und nur derjenige kann etwas mitbringen, der etwas hat, und nur derjenige kann wieder etwas haben, der dasjenige, was er besitzt, nicht wegwirft und vernichtet, sondern in seiner Treue aufbewahrt und je nach Möglichkeit sogar weiter entwickelt“, schrieb er einmal. Ein „Assimilant“, also jemand, „der sich bequem, passiv und nach Prinzip des kleinsten Widerstandes der Assimilation ergibt“, sei hingegen „immer eine schwache, unverlässliche und schwankende Person, und jeden Augenblick in jeder Hinsicht unberechenbar…“

So ein „Assimilant“ wollte und konnte Marko Dvořák nie sein – kulturell nicht und auch nicht politisch. Geboren 1942 im damals vom faschistischen Italien annektierten Ljubljana (Laibach), erlebte Marko schon als kleiner Junge, wie sehr sich doch Regime in ihren Methoden ähneln, wenn Menschen sich ihrer Ideologie widersetzen und – wie Alexander Solschenizyn formulierte – „nicht mit der Lüge leben“: Der Vater, der eben noch gegen die italienischen und später deutschen Besatzer gekämpft hatte, fand sich gleich nach der „Befreiung“ im Mai 1945 in einem monatelangen Gerichtsarrest wieder, weil für ihn auch der Kommunismus „eine Okkupation und genauso verbrecherisch sei wie der Faschismus oder der Nazismus“.

Marko Dvořák blieb eine solche Erfahrung zunächst erspart; trotz seiner „bourgeoisen“ Herkunft und auch „unter dem ewigen Bild des Genossen Tito“ seien die Jahre von der ersten Grundschulklasse bis zum letzten Diplom an der philosophischen Fakultät in Ljubljana „voller Licht“ gewesen, erinnert er sich. Eine wunderbare Karriere als Hochschullehrer schien dem begabten jungen Slawisten, der sich 1968 in Prag in Sprach- und Theaterwissenschaft promovierte, über Mundarten forschte und alle südslawischen Sprachen beherrscht, vorbestimmt zu sein.

Ein großer Reichtum

Seine kulturelle „Doppeltheit“ – „nach meinem Vater bin ich Tscheche und nach meiner Mutter und meinem Willen Slowene“, sagt der Träger des berühmten tschechischen Namens – sah Marko Dvořák immer als einen großen Reichtum an, auch wenn diese „Andersartigkeit“ so manches Mal auch ziemlich anstrengend gewesen sei. „Aber vielleicht rettet mich ja eben dies schon allezeit vor dem giftig bequemen Ertrinken in der Masse und vielleicht inspiriert mich eben dies zu der Suche nach dem einmaligen, unersetzbaren und unverfälschbaren Menschen in einem jeden Menschen.“

Die gewaltsame Niederschlagung des Prager Frühlings durch die Armeen des Warschauer Paktes führte Dvořák zurück nach Slowenien. Ein paar Jahre arbeitete er als Verleger, gab christlich inspirierte Kalender und Literatur heraus. „Dann fingen große Schwierigkeiten an“, erinnert sich der 78-Jährige. Sein beruflicher Erfolg mit christlicher Literatur, aber auch seine Einstellung und sein Glaube seien den Machthabern „ein Dorn im Auge“ gewesen. „Einfache Leute durften in die Kirche gehen, aber als Intellektueller war das eine Provokation“, erklärt Dvořák. „Sie haben fast täglich Verhöre veranstaltet, haben gedroht…“ Sohn Boštjan erinnert sich: „Da habe ich schon als kleiner Junge verstanden, dass es meinem Vater nicht gut ging.“

Ich suchte Licht

Ich suchte Licht
in dunkler Nacht. -
Ich hab‘ nur Leid gefunden.
Ich fand auch nicht,
wie ich gedacht,
den Weg – nur Sehnsuchtswunden.

Ich suchte Brot
für diese Welt,
den Trank, auf dass sie Kraft erhält –
doch fiel ich mitten auf dem Weg
mit meiner Nase in den Dreck
und lag im Blut am Wegesrand.
Die Welt zog dort an mir vorbei,
trat gegen mein geschundenes Gesicht
und hat es nicht erkannt.

Ich suchte Gift
gegen den Schmerz,
den Trank gegen den üblen Graus -
doch dieses Gift trank ich nicht aus,
getötet hab‘ ich nur das Herz!

Marko Dvořák

Im Jahr 1975 kam Marko Dvořák nach Deutschland. Er arbeitete zeitweise als Dozent für südslawische Sprache und Literatur, erst in Frankfurt, dann in Gießen, ehe er zur Slowenischen Mission nach Blaustein und später Ulm kam. Erst ein paar Jahre später siedelte auch seine Frau mit den Kindern nach Deutschland über. In Dvořáks gefühlvollen Gedichten klingen Sehnsucht ob dieser räumlichen Trennung an und Schmerz nach dem Verlust seiner großen Liebe, die vor zehn Jahren starb. Außerdem publizierte er über Persönlichkeiten der slowenischen Geistesgeschichte wie den protestantischen Prediger und Begründer des slowenischen Schrifttums, Primož Trubar (1508-1586), der fast 20 Jahre in Tübingen wirkte. An die vielversprechende Karriere, die in Ljubljana und in Prag begonnen hatte, konnte Dvořák aber nicht mehr anknüpfen.

Es verwelkte eine Rose

Es verwelkte eine Rose –
doch der Garten blühte weiter wie bisher.

Eine Liebe ist gestorben -
doch die Menschen liebten sich auch hinterher.

Ich aber geh‘, diese vergessne Rose aufzuheben,
um sie mir ans Herz zu drücken,
um mich dorthin zu begeben,
weit, weit, wo der Himmel und das Meer zusammenrücken,
sich berühren Tränen und Entzücken,
und ein stilles Liedchen anzustimmen -
zum Andenken an die Liebe, die es nicht mehr gibt.

Marko Dvořák

Seinen beruflichen Werdegang hat Marko Dvořák einmal als die „Geschichte meiner Umzüge“ beschrieben, „von den immer neuen Anfängen von Null auf, dem Einleben in immer neue Umgebungen, neue Verhältnisse, neue Arbeitsaufgaben. Die Geschichte vom bestialisch anstrengenden konstanten Provisorium.“ – Ist das der Preis, den derjenige zahlen muss, der „den Kurs seines Gewissens einhalten“ will? Für einstige Mitläufer in totalitären Regimen, die ihre Parteimitgliedschaft mit dem Hinweis auf kaum verhüllte Drohungen gegen das berufliche Fortkommen zu rechtfertigten suchen, hat Marko Dvořák kein Verständnis. „Ich bin doch auch ohne diese teuflische Partei über die Runden gekommen“, lässt er sich selbst in einem literarisch aufbereiteten Streitgespräch mit einem dieser Mitläufer sagen. Und fast trotzig fügt er an, „obwohl ich weder Staatspräsident noch Minister noch Uniprofessor noch Pädagoge noch Verleger noch irgendein Erfolgsprotz mit einer glänzenden Karriere, einem beachtlichen Vermögen und einem vollen Bankkonto bin, sondern nach wie vor ein ganz gewöhnlicher Mensch ohne Perspektive: Ich weiß, dass ich recht habe – für ein ganz anderes Heute und für ein ganz anderes Slowenien. Für ein gewisses Licht und für eine gewisse Liebe“, die nur jemand spüren oder erblicken könne, „der durch sich selbst hindurch zu schauen in der Lage ist – und der es will“.

Wo Licht zu finden ist

Zeitlebens stritt Dvořák für ein freies, selbstständiges und demokratisches Slowenien, gilt als Inspirator und als einer der Intellektuellen des slowenischen Frühlings 1991. Doch auch hier habe er mitansehen müssen, „wie die Leute, die früher verbissene Kommunisten waren, sich um 180 Grad gewendet haben“.

„Ich suchte Licht“ heißt einer der Gedichtbände von Marko Dvořák, den er unter Pseudonym Anton Slavic herausgebracht hat. Wie lautet die Bilanz seiner Suche? „Ich habe es gefunden“, sagt er abweichend vom gleichnamigen Gedicht. „Das, woran ich glaube, die Ideale des Gottvertrauens und der Wahrheit, das sind Fundorte des Lichtes. Und das Licht leuchtet, wo jemand allen Widrigkeiten zum Trotz konjugiert: Er liebt, du liebst, ich liebe…“

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