Jubiläum

Barmherzigkeit zum Gedächtnis und als Auftrag

Zum 100-Jahr-Jubiläum der Ulmer Elisabethenkirche hat Künstlerin Marianne Hollenstein Bilder zu den 7 Werken der Barmherzigkeit geschaffen. Unser Bild zeigt sie im Gespräch mit dem gewählten Vorsitzenden des Kirchengemeinderats, Dr. Ulrich Mehling, über „Die Durstigen tränken". Foto: drs/Jerabek

Brücken zwischen Kontemplation und Aktion, zwischen Geschichte und Gegenwart schlagen Marianne Hollensteins Bilder zum „Hundersten" von St. Elisabeth.

Bilder zu den 7 Werken der Barmherzigkeit hat die drittälteste katholische Kirchengemeinde in der Ulmer Innenstadt zum 100-jährigen Bestehen der Kirche St. Elisabeth in Auftrag gegeben. Marianne Hollenstein, die mit ihren Installationen und Projekten in Ulm immer wieder interessante Akzente setzt, hat sechs Gemälde geschaffen, in denen sich das Charisma der Kirchenpatronin, die historischen Umstände des Kirchenbaus sowie das Selbstverständnis und der Anspruch der Gemeinde widerspiegeln. Die farbgewaltigen Bilder wollen zur Ruhe kommen lassen und zugleich aktivierend sein im Sinne einer diakonischen Spurensuche.

Der Bau der Elisabethenkirche vor 100 Jahren sollte die Stadtpfarrkirche St. Michael zu den Wengen angesichts der sprunghaft steigenden Zahl der Katholiken im einst gänzlich evangelischen Ulm entlasten. Schon um die Jahrhundertwende hatte die Wengenkirche durch den Zuzug katholischer Beamten, Soldaten und Arbeiter und die zunehmende Besiedlung der Weststadt die Gläubigen nicht mehr fassen können. Den Plan der Kirche im neuklassizistischen Stil entwarf der Stuttgarter Architekt Hugo Schlösser, der bereits die Salvatorkirche in Aalen und die Villa Reitzenstein in Stuttgart gebaut hatte (später plante er unter anderen auch die Marienkirche in Heidenheim und die St.-Clemens-Kirche in Stuttgart-Botnang und leitete den Umbau sowie den Wiederaufbau der Eberhardskirche in Stuttgart). Zwar fiel der Bau angesichts großer wirtschaftlicher Not und extremer Geldentwertung in eine denkbar schwierige Zeit, doch - so vermerkt die Festschrift - „Bauherr und Baumeister hatten das Rennen gegen die immer stärker einsetzende Inflation gewonnen, die Bausumme von 2 Millionen Mark war bei der Fertigstellung bezahlt".

Barmherzigkeit als christliche Antwort

Ihr Patronat erhielt die Elisabethengemeinde von der heiligen Elisabeth von Thüringen; es soll an die im Jahre 1347 erstellte Elisabethenkirche des Deutschordens in der Bahnhofstraße in Ulm erinnern. Eingeweiht wurde das Gotteshaus am 21. Juni 1923 als Krieger-Gedächtniskirche, nach dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg in„Gefallenen-Gedächtniskirche“umbenannt. Als solche soll St. Elisabeth das Andenken an die Toten beider Kriege bewahren und ihrer im Gebet gedenken. Als christliche Antwort auf die unvorstellbaren, schrecklichen Ereignisse - Gefangenschaft, Verwundung, Tod - bieten sich hier die leiblichen Werke der Barmherzigkeit an, für die Elisabeth von Thüringen steht: die Hungrigen speisen, die Gefangenen trösten, die Kranken pflegen, die Toten begraben...

„Die Werke der Barmherzigkeit", sagt Dr. Ulrich Mehling, gewählter Vorsitzender des Kirchengemeinderats von St. Elisabeth, „sind eine uralte Aufzählung 'guter Werke', die bis auf Jesus zurückgeht - und die heute noch genau so aktuell ist. In manchem, wie 'Fremde beherbergen' oder 'Trauernde trösten', ist das in unserer unmittelbaren Umgebung aktuell, in anderem, wie 'Hungernde speisen' oder 'Nackte bekleiden', gilt es zumindest ebenso sehr, wenn wir so weltweit denken wie unsere Kirche es ist."

Streifen wie Tränen und Pinselstriche der Hoffnung

Als „einen Prozess, in dem ich mich zunächst mit dem Thema beschäftige" - hier mit Elisabeth von Thüringen und den sieben Werken der Barmherzigkeit, so beschreibt Marianne Hollenstein ihr Schaffen: Intuitiv, spontan und mit viel Freude an Farbe „fange ich einfach an"; als Inspiration habe ihr ein kleines Büchlein mit barocken Darstellungen zu diesen Themen gedient. Rot als Farbe des Blutes und des Leidens, als Farbe, die auch mit Krieg und Kampf in Verbindung gebracht wird, prägt etwa das Bild „Die Gefangenen trösten": Schwarze Streifen fließen wie Tränen über die Leinwand. Wie Balsam auf die verletzte Seele oder Glanz der Hoffnung wirken hingegen die weißen Pinselstriche und zart schimmernden hellen Stellen. In der Farbe der Kräftigung und Freundlichkeit stehen die orangenfarbenen Winkel und Klammern, die vielleicht manches zusammenhalten in existenzieller Not...

Zwischen den Zeilen des Lebens

„Ihr müsst die Bilder in Ruhe auf euch wirken lassen - die Farben, die Formen, die Linien - und ihr kommt auf eine Idee, was es sein könnte", sagt die Künstlerin. Auf jeden Fall sollen die Bilder „uns als Gemeinde immer wieder begleiten" - erinnernd an die Geschichte der Kirche und der Gemeinde in 100 Jahren, an Leid und Freud, an Vernichtung und Aufbau, wie Ulrich Mehling formuliert; sie sollen aber auch inspirierend wirken für die Herausforderungen der Gegenwart, für das Leben als Christinnen und Christen. Nach und nach wird jeweils eines von ihnen einen Gottesdienst thematisch prägen, kündigt Philipp Kästle, Leitender Pfarrer der Seelsorgeeinheit Ulmer Westen, an. Damals wie heute gilt: „Barmherzigkeit geschieht zwischen den Zeilen des Lebens."

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