Missbrauch und Prävention

Betroffenenbeirat nimmt Arbeit auf

Bischof Fürst (li.) überreicht den beiden Vorsitzenden der Aufarbeitungskommission (AK DRS), Professor Dr. Jörg Eisele (mi.) und Thomas Halder (re.), eine Zusammenstellung der Informationen über den aktuellen Stand der Aufarbeitung und Aufklärung der Fälle sexuellen Missbrauchs in der DRS. Auch die insgesamt acht Aktenordner, die die Geschichte der KsM – beispielsweise die zur jeweiligen Tatzeit geltenden Gesetzte, Regularien und Statuen usw. enthalten – sind den Kommissionsmitgliedern zugänglich. Bild: Diözese Rottenburg-Stuttgart / Jochen Wiedemann

Weiterer wichtiger Schritt zur Aufarbeitung, Intervention und Prävention getan. Aktuelle Informationen zum Stand der Aufarbeitung.

In der Diözese Rottenburg-Stuttgart (DRS) (Mitgliederzahl 2021: 1,7 Millionen) hat sich der unabhängige Betroffenenbeirat am 30. Juli 2022 konstituiert. Dieser besteht aus sieben Personen und vertritt die Interessen der Missbrauchsopfer bei der Aufarbeitung von Fällen des sexuellen Missbrauchs in der Diözese. „Damit sind wir einen weiteren wichtigen Schritt im Dreiklang aus Prävention, Intervention und Aufarbeitung gegangen“, sagt Bischof Dr. Gebhard Fürst. Die Strukturen gemäß der „Gemeinsamen Erklärung über verbindliche Kriterien und Standards für eine unabhängige Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland“ („Gemeinsame Erklärung“), die der damalige Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, und die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) beschlossen haben, seien somit in der DRS komplett umgesetzt.

Der Betroffenenbeirat begleitet sämtliche Aufarbeitungsprozesse der bereits Ende vergangenen Jahres konstituierten Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs durch kirchliche Beschäftigte in der Diözese Rottenburg-Stuttgart (AK DRS).


Betroffenenbeirat ist unabhängig und arbeitet nach Regeln der „Gemeinsamen Erklärung“

Gemäß der „Gemeinsamen Erklärung“ wirken zwei Mitglieder des Betroffenenbeirats in der Aufarbeitungskommission (AK DRS) mit. Die insgesamt sieben Mitglieder des Betroffenenbeirats, darunter fünf Männer und zwei Frauen, wurden von Bischof Fürst formal in dieses Amt berufen. Ausgewählt wurden die Mitglieder von einem eigenständigen Gremium, nachdem der Bischof alle der Diözese mit Adresse bekannten Betroffenen in einem persönlichen Brief angeschrieben und um ihre Bereitschaft gebeten hat, im Beirat mitzuwirken.

Der Betroffenenbeirat arbeitet entsprechend der Maßgaben in der „Gemeinsamen Erklärung“ und damit völlig unabhängig von der Diözese. Dementsprechend ist er in seiner internen Arbeitsorganisation frei und gibt sich seine Geschäftsordnung selbst. Die Mitglieder sind für drei Jahre in ihr Amt berufen. Sie möchten in der Öffentlichkeit derzeit anonym bleiben. Eine Verlängerung der Amtszeit ist möglich.

Aufarbeitungskommission (AK DRS) kann alle Akten einsehen

Die Aufarbeitungskommission (AK DRS) hat bereits vor rund einem dreiviertel Jahr ihre Arbeit aufgenommen. Auch diesem Gremium gehören zwei Frauen und fünf Männer an und auch die Aufarbeitungskommission (AK DRS) arbeitet unabhängig von der Diözese. Den Mitgliedern hat Bischof Fürst nun, da mit der Konstituierung des Betroffenenbeirats alle Strukturen zur Aufarbeitung entsprechend der „Gemeinsamen Erklärung“ stehen, eine Zusammenstellung von aktuellen Informationen über den Stand der Aufklärung und Aufarbeitung der Fälle des sexuellen Missbrauchs in der DRS durch die Kommission sexueller Missbrauch (KsM) übergeben. Die KsM wurde 2002 durch Bischof Fürst gegründet und hat im Jahr 2003 ihre Arbeit aufgenommen. Die Aufarbeitungskommission (AK DRS) wird auch die Fragen nach möglichen Vertuschungen in der Zeit von 1946 bis heute untersuchen, wie es in der Aufgabenbeschreibung für die Kommission in der „Gemeinsamen Erklärung“ festgelegt ist.

Drei Experten, die in der Kommission vertreten sind, wurden von der baden-württembergischen Landesregierung vorgeschlagen – darunter die beiden Vorsitzenden, Professor Dr. Jörg Eisele, Professor für Strafrecht an der Universität Tübingen, und der frühere Ministerialdirektor des Kultus- und des Sozialministeriums Thomas Halder, sowie die  Kinder- und Jugendpsychiaterin Professorin Dr. Renate Schepker. Sie stehen für die Bereiche Justiz, Verwaltung und Medizin.

Alle vorhandenen Personalakten, Dokumente, Sitzungsprotokolle der KsM, Vernehmungs- und Anhörungsprotokolle stehen der Aufarbeitungskommission (AK DRS) zur Verfügung. Dafür sorgen zwei Kirchenrechtler der Diözese, die ebenfalls Mitglieder in der Kommission sind.

KsM nimmt seit 2003 Hinweise zu Missbrauchsfällen entgegen und berät eine qualifizierte Empfehlung für die Entscheidung des Bischofs

Die Diözese Rottenburg-Stuttgart setzt sich bereits seit zwei Jahrzenten mit der Aufklärung und Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch auseinander. Bischof Fürst richtete als erster Bischof in Deutschland im Jahr 2002 die unabhängig arbeitende KsM ein. Diese wird seit 2014 von Dr. Monika Stolz, der früheren Arbeits- und Sozialministerin Baden-Württembergs und Kinderschutzbeauftragten des Landes, geleitet.

In der „Gemeinsamen Erklärung“ des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) der Bundesregierung und der DBK wurde vereinbart, dass die in einer Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs auf Ebene der Diözese bereits erfolgten Ergebnisse der Aufklärung und Aufarbeitung berücksichtigt werden. In der DRS betrifft dies die Arbeit der KsM.

In einem Verständigungsprozess zwischen der Diözese und der UBSKM wurde deshalb erörtert, dass die KsM den in der Erklärung genannten Kriterien von Unabhängigkeit, Transparenz und Partizipation von Betroffenen in gleichwertiger Art entspricht. Deshalb wurde nun der Aufarbeitungskommission (AK DRS) die aktuellen Informationen über den Stand der Aufklärung und Aufarbeitung der Fälle des sexuellen Missbrauchs in der DRS durch die KsM übergeben.

Die KsM ist eine interdisziplinäre Kommission, die mehrheitlich mit ehrenamtlichen Personen besetzt ist, die nicht im Dienstverhältnis zur Diözese stehen oder standen. Nur Mitglieder, die nicht bei der Diözese arbeiten, sind hier stimmberechtigt. Die Kommission nimmt Hinweise zu Missbrauchsfällen entgegen, geht diesen nach und spricht dem Bischof gegenüber eine Empfehlung aus, wie mit Betroffenen und Beschuldigten bzw. Tätern umgegangen werden soll. Diesen Empfehlungen hat Bischof Fürst stets entsprochen.

Im Unterschied zur MHG-Studie aus dem Jahr 2018, die nur sexuellen Missbrauch durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige untersucht hat, nimmt die KsM auch Hinweise auf Missbrauch durch Laien und weibliche Ordensangehörige auf und geht diesen nach. Dies ist zur Einordnung der nachfolgenden Zahlen von Betroffenen und Beschuldigten zu beachten.


389 Betroffene von 1946 bis heute bekannt geworden – im gleichen Zeitraum 175 Beschuldigte

So sind für den Zeitraum von 1946 bis 1. August 2022 – also in rund 75 Jahren – in der DRS 389 Betroffene bekannt geworden.

Im gleichen Zeitraum sind 175 Beschuldigte bekannt geworden.

  • Darunter befinden sich 102 Priester, Diakone und männliche Ordensleute mit Gestellungsvertrag mit der DRS.
  • Bei 17 der Beschuldigten handelt es sich um Ordenspriester ohne Gestellungsverhältnis zur DRS.
  • Bei 36 der Beschuldigten handelt es sich um Laien.
  • Hinzu kommen 20 beschuldigte Ordensschwestern in Orden bischöflichen Rechts in der Diözese; diese Beschuldigungen beziehen sich überwiegend auf Taten, die vor den 1980er Jahren geschehen sind.

Gemäß der MHG-Studie, die nur Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige untersucht hat, wären es in der DRS 119 Beschuldigte.

Die Diözese war für die Erstellung der MHG-Studie aufgefordert, die Personalakten im Meldezeitraum von 2000 bis 2014 zur Verfügung zu stellen.

Derzeit leben in der DRS noch 13 Priester, die zu Tätern geworden sind. Neun davon befinden sich mit Auflagen versehen im Ruhestand oder sind ganz von jeder Ausübung priesterlichen Dienstes suspendiert. Vier Täter arbeiten unter ihren Straftaten entsprechenden engen Auflagen in nicht leitenden Positionen in pastoralen Diensten.

Künftig werden in einer halbjährlichen Aktualisierung die Informationen über die Aufklärung, Aufarbeitung und Prävention von sexuellem Missbrauch in der DRS auf der Internetseite https://praevention-missbrauch.drs.de veröffentlicht.

Die aktuellen Informationen zum Stand der Aufarbeitung (Stand 01.08.2022) finden Sie auf der angegebenen Webseite. Die darin erfassten Angaben geben die Anzahl der von sexuellem Missbrauch an minderjährigen Betroffenen sowie der Täter und Täterinnen wieder, die der KsM seit 2003 gemeldet und von ihr bearbeitet wurden. Sie stützen sich zudem auf in der MHG-Studie erhobene Zahlen.

Anerkennungszahlungen in Höhe von rund 1,6 Millionen Euro geleistet

178 Anträge auf Anerkennung des Leids wurden seit Beginn des Antragsverfahrens im Jahr 2011 gestellt. Die Höhe der geleisteten Anerkennungszahlungen beträgt insgesamt 1,6 Millionen Euro. Die Höhe der zusätzlich durch die Diözese übernommenen Therapiekosten beläuft sich auf rund 182.500 Euro. Die Zahlungen werden grundsätzlich nicht aus Kirchensteuern finanziert, sondern aus dem Vermögen der Ortskirche von Rottenburg-Stuttgart.

Jede Betroffene und jeder Betroffene, die bzw. der um ein persönliches Gespräch mit dem Bischof nachgesucht hat, konnte ein solches Gespräch – teilweise auch mehrere – führen.

1.600 pastorale Mitarbeitende und 15.000 weitere Beschäftigte präventiv geschult

Die verschiedenen Präventionsaktivitäten der Akteure in der DRS werden seit Dezember 2012 von der Stabsstelle Prävention, Kinder- und Jugendschutz koordiniert und fachlich unterstützt.

Alle 1.600 pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden von 2014 bis 2016 im Rahmen von 40 dezentralen Veranstaltungen in den Dekanaten fortgebildet. Seit 2019 bis 2024 sind flächendeckende Basis-Fortbildungen für alle weiteren etwa 15.000 Beschäftigten sowie mehrere Tausend ehrenamtlich Mitarbeitende in den vielfältigen Arbeitsbereichen durchgeführt. Trotz Corona haben bis Juli 2022 in der ganzen Diözese in Präsenz oder online bereits mehr als 270 Basis-Fortbildungen mit mindestens 4.000 Teilnehmenden stattgefunden.

In allen 28 katholischen Schulen wurden bisher 2.300 Mitarbeitende fortgebildet. Das Bischöfliche Jugendamt bzw. der BDKJ schult die ehrenamtlichen Gruppen- und Freizeitleitungen in ihren Gruppenleiterkursen bereits seit 2009 standardmäßig zum Thema Kinderschutz. Einrichtungen und Träger, darunter die Kirchengemeinden, arbeiten an institutionellen Schutzkonzepten.

Internetportal bündelt Informationen zu Beratung, Prävention und Aufarbeitung

Umfassende Informationen zu Beratung, Prävention und Aufarbeitung finden sich auf dem gemeinsamen Internetportal der Kommission sexueller Missbrauch (KsM) und der Stabsstelle Prävention, Kinder- und Jugendschutz unter https://praevention-missbrauch.drs.de. Hier können Sie auch Missbrauch melden.

Bilder finden Sie in unserem Medienpool.

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