Pastoralreise

Biogemüse als Vorzeigeprojekt

Bischof Gebhard Fürst zeigt großes Interesse am Nazareth Training Centre in Balihati. Foto: DRS / Tobias Döpker

Die indische Organisation Seva Kendra Calcutta setzt sich für biologischen Gemüseanbau und die Rechte von Frauen ein. Ein Besuch.

„Wer Biogemüse anbaut, muss sich um den Absatz keine Gedanken machen. Die Nachfrage nach Bioprodukten steigt in Kolkata gerade rasant an“, sagt Ajoy Lhandhuri. Er ist Projektberater von Seva Kendra Calcutta, der Hilfs- und Entwicklungsorganisation der Erzdiözese Kalkutta in Indien. Stolz zeigt Lhandhuri Bischof Gebhard Fürst den Hof des „Nazareth Training Centre“ in Balihati, einem kleinen Ort rund zwei Autostunden westlich von Kolkata. „Alles, was hier angebaut wird, ist zu 100 Prozent Bio“, sagt der Projektberater und zeigt auf saftig grüne Reisfelder. In den Beeten davor wachsen Auberginen, Chili, Gurken und verschiedene Obstsorten. 

Während der Corona-Pandemie mit Geldern aus der Diözese Rottenburg-Stuttgart gebaut, konnte das Training Centre erst im vergangenen Jahr seine Arbeit aufnehmen. „Wir haben den Bau mit 40.000 Euro finanziert, weil wir von dem inhaltlich breit angelegten und in die Zukunft gewandten Konzept überzeugt sind“, sagt Wolf-Gero Reichert, der geschäftsführende Referent der Hauptabteilung Weltkirche in der Diözese Rottenburg-Stuttgart. 

Klimawandel macht Ertrag unsicher

Doch was leistet das Training Centre? „Bei uns kann man ökologischen Ackerbau erlernen“, sagt Ruth Roy, eine der Projektmanagerinnen der Einrichtung. Darüber hinaus möchte das Training Centre eine Plattform sein, auf der sich Bauern über den Anbau von Obst und Gemüse austauschen können. Denn der Klimawandel macht die Arbeit auf dem Feld immer unsicherer. Wie viele indische Bundesstaaten hat auch Westbengalen in diesem Jahr mit einer eher schwachen Regenzeit zu kämpfen. Es ist zwar nicht so schlimm wie beispielsweise im Süden des Subkontinents, wo im Bundesstaat Kerala knapp 50 Prozent weniger Regen gefallen ist als im Monsun des Vorjahres – aber es reicht, um den Bauern in Balihati die Sorgenfalten auf die Stirn zu treiben. Deshalb setzt das Training Centre auch auf klimaresiliente Pflanzen. So können Bauern in der Einrichtung Saatgut bekommen, welches nicht so anfällig für Klimaschwankungen ist als das oft genveränderte und hochgezüchtete Saatgut großer Konzerne. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Bauern das Saatgut von Seva Kendra selbst reproduzieren können. „Damit machen wir sie unabhängig von den global agierenden Konzernen, die den Markt beherrschen und die Preise diktieren“, sagt Projektmanagerin Ruth Roy. 

In einem anderen Projekt fördert Seva Kendra das Anlegen nachhaltiger Biogärten. „Damit steigern wir die Ernährungssicherheit der Menschen und generieren ein zusätzliches Einkommen für Familien, wenn überschüssiges Gemüse auf dem Markt verkauft werden kann“, sagt Ruth Roy. Mehr als 2.700 Haushalte haben seit Start des Nazareth Training Centre im vergangenen Jahr einen Nutzgarten für Bio-Gemüse angelegt. „Insgesamt haben wir zu knapp 10.000 Familien in den fünf westlich von Kalkutta gelegenen Distrikten Kontakt“, sagt die leitende Projektmanagerin zufrieden. Bischof Gebhard Fürst zeigt sich begeistert von dem Projekt: „Wir sind tief beeindruckt von der Arbeit, die Sie machen. Als Partner auf Augenhöhe in der Weltkirche sind wir heute auch hier, um von Ihnen zu lernen.“

Seva Kendra entstand infolge des Separationskrieges

Ursprünglich liegen die Wurzeln von Seva Kendra, was in Bengali so viel wie „Service Center“ heißt, in der akuten Nothilfe. Gegründet vor genau 50 Jahren ist die Hilfsorganisation eine direkte Folge des 1971 ausgebrochenen Separationskrieges von Ost-Pakistan, dem heutigen Bangladesch. Damals flohen rund zehn Millionen Menschen aus dem Kriegsgebiet nach Indien – die meisten davon ins nahe gelegene Kolkata. „Die Erzdiözese stand vor der Herausforderung, diese Menschen zu versorgen, ihnen Nahrung und ein Dach über dem Kopf zu geben“, sagt Father Antony Rodrick, der Direktor von Seva Kendra. Zur Koordination der Hilfe hat die Erzdiözese 1973 Seva Kendra gegründet. Auf dem Gelände der Zentrale in Kolkata stehen noch heute die Baracken, in denen die Lebensmittel für die Flüchtlinge gelagert wurden. 

Doch diese haben schon lange eine andere Verwendung gefunden, denn in den vergangenen fünf Jahrzehnten hat sich Seva Kendra weiterentwickelt, ohne die eigenen Wurzeln aus dem Blick zu verlieren. „Wir kümmern uns auch heute noch um Menschen, die nichts haben“, sagt Antony Rodrick. Dabei sind aus akuter Not- und Soforthilfe in die Zukunft gewandte und nachhaltige Projekte geworden.

Ein Arbeitsschwerpunkt sind die auch im Nazareth Training Centre angebotenen Schulungsprogramme in ökologischer Landwirtschaft, um damit die Auswirkungen des Klimawandels für die Kleinbauern zu reduzieren. Darüber hinaus sensibilisiert Seva Kendra die Menschen in und um Kolkata auch zum sparsamen Umgang mit den Ressourcen der Erde. 

Eigenes Einkommen für Frauen

Im Nazareth Training Centre trägt Moven Domiengo eine koffergroße Metallkiste in den Konferenzraum und stellt sie vor den Gästen aus Rottenburg auf den Boden. In der Kiste sind zwei große Metallringe verbaut, die bis an ihren oberen Rand reichen. „Dies ist die Gussform für einen klimafreundlichen und Ressourcen sparenden Ofen“, sagt der Projektmanager. Damit kann man ohne viel Aufwand einen Ofen aus Lehm bauen, der aufgrund seiner speziellen Bauweise und die Wärme speichernden Materialien beim Kochen rund 80 Prozent weniger Holz verbraucht und somit auch entsprechend weniger Emissionen ausstößt als herkömmliche Öfen aus Metall. 

Weitere Arbeitsgebiete von Seva Kendra sind unter anderem die Bildungsarbeit mit Kindern – zum Beispiel in der Drogen- und Gewaltprävention – sowie Projekte, die gezielt die Stellung von Frauen stärken und diese befähigen, am Einkommenserwerb der Familien teilzuhaben. 

Die Stärkung der Rolle von Frauen ist auch im Nazareth Training Centre ein Thema. Im ersten Stock des Gebäudes ist eine Näherei untergebracht, in der Frauen Taschen aus Baumwolle nähen. „Der Erlös aus dem Verkauf der Taschen hilft, die Existenz von Familien zu sichern, wenn die Ernte durch Unwetter oder andere Umwelteinflüsse teilweise oder ganz ausfällt“, erklärt Ruth Roy. Neben Taschen produzieren die Frauen in Balihati auch Solarlampen. „Damit ersetzen wir die mit Kerosin betrieben Leuchten. Dies reduziert die Kosten und gleichzeitig auch die Emissionen, die durch das Verbrennen von Kerosin entstehen“, sagt die Projektmanagerin. 

Bischof pflanzt Mangobaum

Nach dem erfolgreichen Start der Einrichtung sollen in einer zweiten Phase Programme und Workshops starten, die den klimafreundlichen und ökologischen Ackerbau nachhaltig in der Bevölkerung verankern. Dafür werden aktuell rund um das Training Centre Versuchsfelder angelegt, auf denen landwirtschaftliche Methoden und Techniken praktisch vermittelt und eingeübt werden können. „Nach diesem Training wollen wir in die Familien gehen, um vor Ort unsere Arbeit optimal an die jeweiligen individuellen Bedingungen und Voraussetzungen anzupassen“, sagt Ajoy Lhandhuri. Auf diese Weise sollen auch Familien vernetzt und Frauen und Kinder in die Schulungsprogramme einbezogen werden. Die zweite Entwicklungsphase des Nazareth Training Centre startet Ende 2023 und wird von der Diözese Rottenburg-Stuttgart mit knapp 17.000 Euro unterstützt. 

„Wenn man sich Ihre Arbeit der vergangenen 50 Jahre anschaut, erkennt man gelebtes Christentum, das den globalen Herausforderungen begegnet. Wir als Diözese Rottenburg-Stuttgart sind froh und stolz, Ihre wichtige Arbeit schon seit vielen Jahren unterstützen zu können“, sagt Bischof Gebhard Fürst. Zum Abschluss des Besuchs in Balihati pflanzen Bischof Gebhard Fürst und jedes Mitglied der Rottenburger Delegation einen Mangobaum im Garten der Einrichtung. „Wenn der Klimawandel es zulässt, tragen Ihre Bäume nach zwei Jahren zum ersten Mal Früchte“, sagt Direktor Antony Rodrick mit einem Lächeln im Gesicht. 

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