Bischof Dr. Gebhard Fürst: Ansprache im Vespergottesdienst zur Eröffnung des Priesterjahres

Stuttgart, Konkathedrale St. Eberhard

Schrifttext: Ez 34, 11-16

Liebe Mitbrüder im priesterlichen Dienstamt, liebe Schwestern und Brüder,

zu einem der Texte des Konzils, die bis heute viel zu wenig in seiner Bedeutung erkannt sind, gehört das ‚Dekret über Dienst und Leben der Priester’. Denn hier finden sich Sätze, Ausführungen, ja Visionen, die in die Mitte der priesterlichen Existenz führen. Da heißt es:

„Die Priester werden [also] ihrem Leben eine einheitliche Linie geben, wenn sie sich mit Christus vereinigen im Erkennen des väterlichen Willens und in der Hingabe für die ihnen anvertraute Herde.

Wenn sie so die Rolle des Guten Hirten übernehmen, werden sie gerade in der Betätigung der Hirtenliebe das Band der priesterlichen Vollkommenheit finden, das ihr Leben und ihr Wirken zur Einheit verknüpft. Diese Hirtenliebe erwächst am stärksten aus dem eucharistischen Opfer. Es bildet daher Mitte und Wurzel des ganzen priesterlichen Lebens, so dass der Priester in seinem Herzen auf sich beziehen muss, was auf dem Opferaltar geschieht.“ (OT 14)

Liebe Brüder, das sind Sätze des II. Vatikanischen Konzils, die uns neu herausfordern, uns mit unserer Berufung und mit unserer Existenz als Priester auseinander zu setzen. Uns immer wieder neu dem großen Adsum zu stellen, das zu Beginn unseres Weges, bei der Weihe wie ein Eingangsportal errichtet wurde. Es ist dies aber ein Portal, das zugleich den bleibenden Horizont umreißt, in den wir eingeladen sind, unser Leben hineinzustellen und es entsprechend zu gestalten.

Ich weiß sehr wohl, liebe Brüder, dass dieser Horizont im Vielerlei des Alltagsgeschäfts zuweilen untergeht, verdrängt und bedroht wird, ja dass er manches Mal sogar zur schieren Überforderung und bedrückenden Last werden kann. Doch gerade darum möchte ich Euch allen heute ein kräftiges Wort der Solidarität und der Ermutigung zurufen, wenn wir in dieser feierlichen Vesper das Jahr der Priester auch in unserer Diözese Rottenburg-Stuttgart offiziell eröffnen. Ich glaube und hoffe, dass dieses ausdrückliche Priesterjahr uns allen eben dazu auch Möglichkeit geben wird, uns diesem Ruf und der Mitte unserer priesterlichen Existenz neu zu stellen. Darum können wir Papst Benedikt sehr dankbar sein für die Initiative zu diesem Priesterjahr, das sich für mich auch sehr stimmig an das Ende des Paulusjahres anschließt und dessen missionarische Impulse gewissermaßen aufgreifen will.

Ich lade Euch alle herzlich ein, den Anstoß und den gegebenen Kairos dieses Jahres aufzunehmen, damit wir uns gemeinsam neu und vertieft auf den Weg machen, zu gestalten, was denn die Mitte unserer priesterlichen Existenz ausmacht. Was lässt uns leben als Priester in der Katholischen Kirche, wozu sind wir berufen und gesandt?

Denn jeder von Euch weiß das nur zu gut: von allen Seiten werden wir bedrängt, gefordert, gerufen, die Hetze von Termin zu Termin reibt uns auf, die Sitzungen scheinen kein Ende zu nehmen: Verwaltungsaufgaben, Repräsentationspflichten, Personalführung, usw. usw. Wer als Priester all dem nachkommen will, der brennt auf die Dauer aus und verliert sein Profil im Allerlei, das bald wie Einerlei wirkt: die priesterliche Tätigkeit steht in Gefahr, auf die Funktion eines bloßen Aktivisten reduziert zu werden. Vermutlich hängt das auch zusammen mit einem unangemessenen Verständnis von christlicher Gemeinde: Sie ist kein Aktivistenverband, sondern für Menschen ein Lebensraum aus dem Glauben. Der Theologe Rolf Zerfaß formuliert das scharf: „Viele Seelsorger und Pastoraltheologen bemerken es mit zunehmender Deutlichkeit: Die Menschen suchen heute nicht so sehr Pfarrgemeinden, in denen etwas los ist, sondern Räume in denen man zu sich finden und Mensch sein darf. Die Tragik besteht darin, dass sie auf Priester und pastorale Mitarbeiter treffen, die die Gemeinde nicht als Lebensgemeinschaft, sondern als Arbeitsgemeinschaft verstehen, (die) nicht Menschen, sondern Mitarbeiter suchen, d.h. genau jene menschenverachtende Allüre an den Tag legen, die das heutige Wirtschaftsleben prägt.“

Darum bedarf es bei uns allen der ständig neuen Bemühung um eine geistliche Mitte des priesterlichen Dienstes. Erst durch die nachhaltige und permanente Verankerung in dieser Mitte entgehen wir der schleichenden Vergiftung, bloß noch funktionieren zu sollen. Um nochmals jene Sätze des Konzilstextes zu zitieren: „Die Priester werden also ihrem Leben eine einheitliche Linie geben, wenn sie sich mit Christus vereinigen im Erkennen des väterlichen Willens und in der Hingabe für die ihnen anvertraute Herde. Wenn sie so die Rolle des Guten Hirten übernehmen, werden sie gerade in der Betätigung der Hirtenliebe das Band der priesterlichen Vollkommenheit finden, das ihr Leben und ihr Wirken zur Einheit verknüpft.“ Die Konzilsväter lenken unseren Blick auf die Vereinigung, die uns mit Christus zusammenführt, und sie wählen dafür mit Bedacht das Bild des Hirten, der für seine Herde sorgt. Das ist das Entscheidende:

Wir sind eingeladen und herausgerufen, mit Mut zum Wesentlichen den Hirtendienst Christi sichtbar zu machen – und uns nicht im Vielerlei anfallender Aufgaben zu verlieren. Wir sind eingeladen und herausgerufen, mit Mut zur geistlichen Mitte immer authentischer zu dem zu werden, was wir sind; wir sind eingeladen und herausgerufen, mit Mut zur Konzentration bewusst zu gestalten, dass Christi Lebensstil immer mehr der unsere wird. Kaum ein Bild kann uns hier wohl mehr als Leitbild prägen als das Bild des Hirten, wie es uns eben auch so intensiv in der Schriftlesung begegnete.

Nirgendwo sonst findet sich in der Heiligen Schrift eine so sorgfältige Beschreibung dessen, was einen Guten Hirten ausmacht als bei Ezechiel: Die Sätze des Propheten entwickeln schon beim Hören eine solche Kraft, dass wir ihnen Glauben schenken, uns in ihnen geborgen fühlen.

In ihnen fallen unsere Sehnsüchte und die Verheißung, unsere Wünsche und der prophetische Ausblick zusammen. Wer von uns findet sich nicht in der Zustandsbeschreibung wieder, wer hat solche Situation nicht schon kennengelernt, erlebt sie womöglich derzeit: man hat sich verirrt, ist einem Irrtum aufgesessen, einen Irrweg gegangen, droht irre zu werden an Welt und Menschen, an sich selbst und, ja auch das, auch an Gott. Man hat sich, wie der Prophet es beschreibt, ‚an all den Orten am dunklen, düsteren Tag zerstreut.‘ Und nun gibt Gott die Zusage, selber ‚zu suchen und sich zu kümmern‘. Gott selbst will wie ein Hirt antreten, ‚die Schafe auf die Weide führen und sie ruhen lassen.‘ Was für eine heilsame Perspektive auch für uns, liebe Brüder!

Aber Ezechiel geht dann noch einen wichtigen Schritt weiter, indem er ganz konkret beschreibt, wie dieses Heil sich verwirklichen wird:

‚Die verlorengegangenen Tiere will ich suchen, die vertriebenen zurückbringen, die verletzten verbinden, die schwachen kräftigen, die fetten und starken behüten.‘

Liebe Mitbrüder, liebe Schwestern und Brüder, diese Prophetie des Ezechiel ist in Jesus von Nazareth Wirklichkeit geworden. Wenn Jesus zur Beschreibung des Reiches Gottes vom Schaf erzählt, dem der gute Hirt wieder und wieder nachgeht, bis er es wiederfindet, dann schließt er an Ezechiel an und bezieht die Vorhersage auf sich selbst. In Jesus ist die Verheißung, als verlorenes Schaf gesucht, wiedergefunden und geborgen zu sein, Wirklichkeit geworden. Das Bild vom Hirten und vom Schaf ist oft missverstanden und missbraucht worden: Fremdbestimmung, Gängelei und Missachtung der dummen Schafe. Das ist nicht gemeint. Wir sind tagtäglich aufgefordert, in der Nachfolge Jesu unser Leben für die anderen einzusetzen: ‚die Verlorengegangenen suchen, die Vertriebenen zurückbringen, die Verletzten verbinden, die Schwachen kräftigen und auch die Fetten und Starken behüten.‘

Liebe Mitbrüder im priesterlichen Dienst, in diese Geschichte des Guten Hirten sind wir hineingenommen, hier liegt die eigentliche Mitte unserer Berufung und der konkrete Maßstab unseres Handelns. Den Hirtendienst Christi werden wir immer mehr sichtbar machen durch unser Leben: durch Verkündigung des Wortes Gottes, durch die Feier der Sakramente und durch dienende Hingabe. Indem durch unsere Existenz der Hirte Jesus Christus für die Menschen sichtbar und erfahrbar wird. Durch eine solche Konzentration wächst unserem Dienst eine ganz neue Kraft zu, die die Menschen erreichen kann und sie spüren lässt: Da ist ein Hirte, der sorgt und nachgeht und so in unserer Zeit heilsam wirkt. Ein Hirte, der durch die Kraft seiner Sendung wirkt und so die Menschen erreicht, dass er glaubwürdig handelt; ein Hirte, der durch die Gestalt seines Lebens überzeugt, weil in ihm spürbar Botschafter und Botschaft zusammen fallen.

Liebe Brüder, der Kirche ist vom Herrn nicht Selbsterhaltung aufgetragen, sondern ein missionarisches Zeugnis in der Welt. Darum wird auch der Priester in Zukunft auf jeden Fall missionarisch sein. Er wird missionarisch anstiftend wirken, weil er als Hirte da ist für seine Herde, weil er als Hirte den vielen Verlorenen nachgeht, weil er diesen Hirtendienst das wesentliche Moment seiner priesterlichen Existenz sein lässt. Dies hat nicht nur Auswirkungen nach außen, nein, es betrifft auch unser eigenes Leben.

Denn lassen Sie es mich zugespitzt so formulieren: Priesterlich verwalten wird dauerhaft frustrieren und ausbrennen, priesterlich missionarisch wirken als guter Hirte schenkt auch selbst Freude. Weil er aus dieser Bindung an Christus selbst seine Kraft schöpft.

Ich bin überzeugt, dass in dieser konzentrierten Perspektive unser Weg als Priester in die Zukunft liegt. Und damit schließe ich nochmals bei jenem kurzen Text des Konzils an, der auch diese entscheidende Perspektive aller priesterlicher Existenz formulierte. Es hieß: „Diese Hirtenliebe erwächst am stärksten aus dem eucharistischen Opfer. Es bildet daher Mitte und Wurzel des ganzen priesterlichen Lebens, so dass der Priester in seinem Herzen auf sich beziehen muss, was auf dem Opferaltar geschieht.“ Das priesterliche Leben als Hirte kommt nicht aus uns selbst, nein, es wächst uns zu aus Christus selbst, am dichtesten in der Feier der Eucharistie. Sie ist darum der Höhepunkt allen kirchlichen Lebens und der zentrale Bezugs- und Ankerpunkt für unser Leben als Priester. ER ist der Einladende in der Eucharistie, ER ist das Opfer, der sich selbst Hingebende, ER ist der eigentliche Priester: Und ihn durch unser Leben und Handeln zum Vorschein zu bringen, ist unsere Berufung.

So wird der Priester zum Medium, zum Mittler, zu dem Weg, durch den hindurch Christus sprechen und handeln will. Hier ist die letzte Mitte unserer Existenz und zugleich der erste Anfang, der uns als Priester trägt und leben lässt. Der Priester handelt „in persona Christi“, er bringt, am dichtesten in jeder Feier der Eucharistie, durch seine Person die Person Christi zum Klingen. Er repräsentiert Jesus Christus, vergegenwärtigt ihn: den Hirten Jesus Christus zum Heil der Menschen unserer Zeit.

Amen.

 

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