Stuttgart
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, liebe Schwestern und Brüder im christlichen Glauben!
Hier in St. Eberhard, der Konkathedrale der Diözese Rottenburg-Stuttgart begrüße ich Sie sehr herzlich - auch im Namen von Landesbischof Fischer und der bei unserem Gottesdienst mitwirkenden kirchlichen Vertreter. Zum Beginn der parlamentarischen Arbeit im 14. Landtag von Baden-Württemberg einen gemeinsamen ökumenischen Gottesdienst zu feiern, entspricht einer guten und langen Tradition. Es ist gut, dass wir uns bei einem solchen Einschnitt, wie es die Konstituierung des neugewählten Landtags ist, vergewissern und uns darüber vor Gott und vor einander Rechenschaft geben, aus welchen Wurzeln wir selbst leben, wo die je eigene Verantwortung verankert ist und mit welchen Grundorientierungen wir unsere alltäglichen Aufgaben und Entscheidungen angehen.
Der Geist einer Demokratie und das Zusammenleben in Staat und Gesellschaft werden geprägt durch das Selbstverständnis der darin lebenden Menschen. Der Stellenwert, den Eigenverantwortung und Solidarität, Gerechtigkeit und Gemeinsinn, Ehrfurcht und Respekt in einer Gesellschaft haben, ist abhängig vom Bild, das die Menschen von sich und ihren Mitmenschen in sich tragen. Ob Menschen sich als autark definieren oder als Selbst aus Begegnung mit dem Du, ob sie sich als geschöpflich-geschenkte Existenz verstehen oder als self made; ob die Menschen von Angst bedrückt werden oder mit Hoffnungs- und Gestaltungskraft erfüllt in die Zukunft blicken. All das bestimmt ihr Handeln, all das prägt ihre Entscheidungen. Auch wonach sich Menschen sehnen, wo sie ihr Glück und ihr Heil suchen, welchen Sinn sie in ihrem Leben finden oder nicht finden, bestimmt maßgeblich das Leben und den Geist einer Gesellschaft, eines Staates.
Das Bild, das Menschen von sich als Mensch haben, bestimmt die Bereitschaft, das Leben in die eigene Hand zu nehmen, sich für andere solidarisch einzusetzen, Anteil zu nehmen am Schicksal der Mitmenschen, Gesellschaft mitzugestalten, oder eben nicht und nur von ihr zu leben. Das Bild vom Menschen, und Werte und Handlungen, die daraus folgen, entscheiden über den Respekt vor der unantastbaren Würde und Unverfügbarkeit eines jeden Mitmenschen, ob geboren oder ungeboren, ob behindert oder unbehindert, ob bei Kräften oder völlig angewiesen auf andere.
Wir kennen den Satz von Ernst-Wolfgang Böckenförde: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Ich meine, dieser Satz hat logische Auswirkungen, die bedacht werden müssen. Weil der Staat ‚von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann’, bedürfen diese Voraussetzungen der Pflege.
Verantwortungsträger in Gesellschaft und Staat müssen überlegen, wie sie dazu beitragen können, dass diese Voraussetzungen, von denen unser aller freiheitliches Zusammenleben letztlich lebt, selbst lebendig sind und bleiben. Wie können wir je auf unterschiedliche Weise dafür sorgen, dass die Kraft dieser Voraussetzungen erhalten bleibt, dass die Quellen, die das Feld bewässern, nicht austrocknen, dass die „Voraus-Setzungen“ nicht verdampfen, wegschmelzen oder unter der Hand zu Voraussetzungen mutieren, von denen der freiheitliche Rechtsstaat und eine pluralistische Gesellschaft eben nicht mehr leben können, sondern womöglich geschwächt, verletzt oder gar zerstört werden.
Der ökumenische Gottesdienst zur Eröffnung der Arbeitsperiode des Landtages von Baden-Württemberg ist ein Ort, an dem diese Quellen: Gott, sein Wort an uns, und unsere verantwortungsvolle Arbeit, aus denen und von denen wir in unserem Gemeinwesen leben, bedacht und gefeiert werden.
Die Erinnerung an den guten Gott Jesu Christi und die Kraft seines belebenden Geistes möge Sie alle in Ihren kommenden Aufgaben begleiten.
Und so lasst uns Gott, der uns heute hier zusammengeführt hat, loben und preisen.