Sehr geehrte Damen und Herren,
es liegt über drei Jahre zurück, dass die katholische Kirche in Deutschland in eine große Krise gerissen wurde. Nach dem Bekanntwerden von Fällen des Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen in katholischen Einrichtungen stand nichts weniger als die Glaubwürdigkeit der Kirche auf dem Spiel. Um das Zurückgewinnen von Vertrauen ging es, als ich gemeinsam mit dem Diözesanrat und dem Priesterrat im Januar 2011 unter dem Leitwort „Glaubwürdig Kirche leben“ einen dialogischen Erneuerungsprozess für die Diözese Rottenburg-Stuttgart ins Leben rief.
Die erste Phase war mit dem Motto „Zeit zu hören“ überschrieben. Sie bedeutete für mich eine sehr intensive Zeit der Begegnung in Kirchengemeinden, Seelsorgeeinheiten, Dekanaten, Gremien, Verbänden, Berufs- und Initiativgruppen. Viele schrieben mir oder suchten in anderer Weise mit mir das Gespräch. In rund 80 Dialogveranstaltungen, an denen ich selbst teilnahm, berichteten mir viele Menschen von ihrer Zuversicht, ihrer Sorge, aber auch von ihrer Enttäuschung und Ungeduld. Sämtliche Briefe und Dokumente und nicht zuletzt die aktive Beteiligung an den vier großen Regionalforen in diesem Frühjahr zeugen vom großen Engagement der Gläubigen und zeigen, wie sehr sie um die Kirche ringen.
Lassen Sie mich auf dieser Basis etwas zu den einzelnen Handlungsfeldern sagen:
Prävention gegen sexuellen Missbrauch
Bereits seit 2003 – lange vor dem öffentlichen Bekanntwerden der Missbrauchsfälle – untersucht die unabhängige Kommission sexueller Missbrauch (KsM) Hinweise auf sexuellen Missbrauch an Minderjährigen durch Kleriker, Ordensangehörige oder andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im kirchlichen Bereich. Im Februar 2011 habe ich das „Bischöfliche Gesetz zur Vermeidung von Kindeswohlgefährdungen im Umgang mit Kindern und Jugendlichen im Bistum Rottenburg-Stuttgart“ unterzeichnet. Danach müssen Beschäftigte, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, mit einem erweiterten polizeilichen Führungszeugnis nachweisen, dass sie nicht wegen einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, körperliche Unversehrtheit oder persönliche Freiheit verurteilt wurden. Weiterhin fordern sämtliche Träger im Jugendbereich bei der Einstellung neuer hauptberuflicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein polizeiliches Führungszeugnis. Um das Bewusstsein für Missbrauch jedweder Art zu schärfen und Präventivmaßnahmen zu erarbeiten, wurde im vergangenen Jahr die direkt beim Generalvikar angesiedelte Stabsstelle „Prävention, Kinder- und Jugendschutz“ eingerichtet.
Jugendarbeit
Ein weiteres Projekt, das ebenso bereits vor Beginn des diözesanen Dialog- und Erneuerungsprozesses begonnen hat , ist das vom Bischöflichen Jugendamt organisierte [jugendforum]³. Gestützt von Erfahrungen in der Jugendarbeit legte die Jugend bereits Ende 2010 der Diözesanleitung 60 Empfehlungen vor. In einem „Update“ im März des laufenden Jahres wurden folgende Themenfelder angegangen: Kooperation von kirchlicher Jugendarbeit und Schulen, bessere Verzahnung von Jugendarbeit und Firmkatechese, Schaffung und Ausweitung von jugendspirituellen Zentren bzw. die Definition von Standards für diese neuen Orte der Jugendarbeit, die Formulierung von spezifisch regionalen Konzepten der Jugendpastoral sowie die Qualifizierung von Mitarbeitern im Bereich der digitalen Medien. Bis Herbst 2013 wird es in praktisch allen Dekanaten ein Konzept für Jugendpastoral geben. Im Bereich der innerkirchlichen Laufbahn haben wir für Jugendreferenten/-innen die Möglichkeit eröffnet, sich durch entsprechende Maßnahmen für den Beruf des Gemeindereferenten, der Gemeindereferentin zu qualifizieren. Dadurch erreichen wir zugleich eine Vermehrung der Zahl der Gemeindereferent/-innen und somit eine bessere Versorgung der Kirchengemeinden und Seelsorgeeinheiten mit diesem pastoralen Dienst.
Projekt „Gemeinde“
Das bis Ende 2014 anberaumte Projekt „Gemeinde“ soll die Seelsorge vor Ort stärken und weiter entwickeln. Grundlage wird der Blickwechsel von der „lebendigen Gemeinde zur aktiven Kirche im Ort“ sein. Kirchengemeinden werden in ein pastorales Netzwerk eingebunden sein, zu dem andere Kirchengemeinden einer Seelsorgeeinheit oder auch die Einrichtungen großer kirchlicher Sozialträger zählen.
Ein entscheidender Schritt zur Entlastung der leitenden Pfarrer wird die verstärkte Beteiligung haupt- und ehrenamtlicher Laien an der Gemeindeleitung sein. Ich werde dabei die gesamten Spielräume des Kirchenrechts und der Kirchengemeindeordnung unserer Diözese ausnutzen. Mitte und Ziel des kirchlichen Lebens vor Ort ist und bleibt die Feier der Eucharistie. Alle Priester im aktiven Dienst sind angehalten, am Sonntag, einschließlich der Vorabendmesse, drei Eucharistiefeiern vorzustehen. Dort, wo keine Eucharistiefeier am Sonntag angeboten werden kann, ist es in unserer Diözese gute Tradition, dass sich die Gemeinde zur Wortgottesfeier, gerne verbunden auch mit einer Kommunionspendung, in der Kirche versammelt. Diese Praxis begrüße ich ausdrücklich und werde sie weiterhin aktiv fördern. Dies erfordert eine intensivere Fort- und Weiterbildung der Priester und aller hauptamtlichen pastoralen Dienste. Hier brauchen wir in unserer Diözese eine neue Kultur. Deshalb startet im ersten Halbjahr 2015 eine Fortbildung, an der alle Priester und pastoralen Dienste teilnehmen werden.
Im kommenden Jahr werden zwei Gemeindeforen im Juli und Oktober zur Implementierung der Ergebnisse des Projekts „Gemeinde“ stattfinden. Ein großer Kongress zum Ehrenamt und seiner Förderung wird im November 2014 stattfinden.
Frauen in der Kirche
Bereits zu Beginn des Dialog- und Erneuerungsprozesses kündigte ich an, mich für ein gerechtes Miteinander von Frauen und Männern in der Kirche einzusetzen. Als hauptamtliche Mitarbeiterinnen arbeiten Frauen in sämtlichen Bereichen der Seelsorge und der Verwaltung. In der Sitzung des Bischöflichen Ordinariats sind derzeit bereits vier Frauen vertreten. Somit sind 25 Prozent derer, die in höchster leitender Verantwortung stehen, Frauen. Bereits im vergangenen Jahr sicherte ich zu, mehr Führungspositionen für qualifizierte Frauen zu öffnen. Die Gleichstellungsbeauftragte griff mein Anliegen auf und erarbeitete zusammen mit der diözesanen Frauenkommission Vorschläge zur Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen. Auf Grundlage dieser Vorschläge nahm im vergangenen April das Projekt „Frauen in Führungspositionen 2020“ seine Arbeit auf. Wenn Sie noch mehr über die vielen Frauen in leitender Verantwortung unserer Ortskirche wissen möchten, so darf ich Sie auf die Dokumentation „Perspektiven einer dialogischen Kirche“ und zwar auf die Seiten 175 und 176 hinweisen.
In den zahlreichen Gesprächen, die ich in den letzten Jahren führte, wurde immer wieder deutlich, wie sehr sich insbesondere Frauen, aber auch viele Männer, den Zugang für beide Geschlechter zu den kirchlichen Weiheämtern wünschen. Den Ausschluss von Frauen vom Priesteramt und dem Diakonat empfinden insbesondere engagierte Frauen als persönliche Verletzung. Ich weiß sehr wohl, dass es hier nicht um eine pauschale Gleichstellung von Männern und Frauen, sondern um die Frage der Berufung geht. Deshalb nahm ich dieses Thema bewusst mit in den Dialogprozess hinein.
Dennoch: Die Zulassung zur Weihe von Frauen liegt nicht im Bereich der Selbstbestimmung der Ortskirche, sondern in der Letztverantwortung der Universalkirche. Einen Sonderweg der katholischen Kirche in Deutschland oder gar einer einzelnen Diözese kann es meines Erachtens nicht geben. Die Einführung eines speziellen Diakonenamts für Frauen sui generis halte ich nicht für zielführend. Allerdings können und müssen die deutschen Diözesen die Stellung der Frau in den anderen Diensten und Ämtern noch erheblich verbessern und steigern und hier eine Vorreiterrolle übernehmen. Dies unterstütze ich nachdrücklich!
Wiederverheiratete Geschiedene
Ein weiteres Thema, an dem wir im Rahmen des Dialog- und Erneuerungsprozesses intensiv gearbeitet haben, ist der Umgang mit den wiederverheirateten Geschiedenen. Nach kirchlichem Recht ist eine gültig geschlossene sakramentale Ehe unauflöslich. Dennoch ist es mir wichtig festzustellen, dass Menschen, deren Beziehung gescheitert ist, in die Mitte der Kirche gehören. Eine Scheidung schließt weder von den Sakramenten, noch von anderen Rechten in der Kirche aus. Auch Menschen, die nach einer gescheiterten Ehe mit einem neuen Partner eine ernsthafte Gemeinschaft eingehen und vielleicht sogar gemeinsame Kinder haben, gehören zur Kirche.
Das stellt die Unauflöslichkeit der Ehe nicht infrage, berücksichtigt aber das Scheitern von Beziehungen. Die Geschichte jeder Ehe und auch ihres Scheiterns ist individuell. Dem wollen wir im intensiven seelsorgerlichen Gespräch gerecht werden.
Doch trotz dieser Bemühungen und Zusagen fühlen sich wiederverheiratete Geschiedene oftmals nicht als vollwertig in der Kirche akzeptiert oder fühlen sich gar zurückgestoßen. Hauptgrund dafür ist die Nichtzulassung zur Kommunion. Als Bischof setze ich mich für einen sensiblen und differenzierten Umgang mit der individuellen Situation der wiederverheiratet Geschiedenen ein.
Dennoch ist es nicht möglich, dass jede Diözese einzelne Regelungen trifft. Deshalb habe ich einem Brief an die von der Deutschen Bischofskonferenz eingesetzte Arbeitsgruppe von sechs Bischöfen geschrieben, der sensible Lösungen nachdrücklich anmahnt. Ich erwarte auch, dass die Arbeitsgruppe der Bischofskonferenz zum Arbeitsrecht die Möglichkeit eröffnet, dass wiederverheiratete Geschiedene in einem kirchlichen Arbeitsverhältnis stehen können.
Konfessionsverbindende Ehepaare und Familien
Der Umgang mit Menschen in konfessionsverbindenden Ehen und Familien hat in unserer Diözese hohe Brisanz. Ich wünsche die Möglichkeit des Kommunionempfangs für evangelische Ehepartner in bestimmten Fällen, falls sie das katholische Eucharistieverständnis mittragen können. Die Priester und Verantwortlichen in der Pastoral vor Ort bitte ich um eine sensible Wahrnehmung der Situation konfessionsverbindender Paare. Die Position, in konfessionsverbindenden Ehen im Einzelfall nach bestimmten Kriterien den evangelischen Partner zur Kommunion zuzulassen, habe ich ebenfalls in einem Brief in die Bischofskonferenz eingebracht.
Fazit
Wie Sie sehen, hat sich in der Diözese vieles bewegt. Wir sind dialogischer aus dem bisherigen Prozess herausgekommen, als wir in ihn eingetreten sind. In einigen Bereichen haben wir bereits Lösungen erreicht, andere Themen sind noch auf dem Weg. Sicherlich konnten wir nicht alle Erwartungen erfüllen. Dennoch meine ich, dass wir auf der Ebene unserer Diözese weitreichende und zukunftsweisende Veränderungen angestoßen haben. So markiert der formale Abschluss des Dialogprozesses nicht nur einen Endpunkt, sondern zugleich einen Doppelpunkt. Er symbolisiert den Beginn der Phase „Erneuerungsprozess konkret“. Wir werden an Umsetzung und Schärfung der Themen weiterarbeiten.
Bischof Dr. Gebhard Fürst, 21. Juni 2013