Bischof Dr. Gebhard Fürst bei der Pressekonferenz zum „95. Deutschen Katholikentag Ulm 2004“ 2003

Stuttgart

„Leben aus Gottes Kraft“ - Eine theologische Hinführung

Das Leitwort des Katholikentages in Ulm „Leben aus Gottes Kraft“ nimmt Bezug auf den 2. Korintherbrief des Apostels Paulus. Dort heißt es mit Blick auf den gekreuzigten und auferstandenen Christus: „Auch wir sind schwach mit ihm, aber wir werden zusammen mit ihm vor euren Augen aus Gottes Kraft leben“ (2 Kor 13,4). Menschliche Schwäche angesichts des Todes und all seiner Erscheinungsformen und göttliche Kraft, die den Tod überwindet und die Fülle des Lebens schenkt - beides kommt im österlichen Geheimnis des Kreuzes in den Blick.

1 In zeitlicher Nähe zum Pfingstfest

Der Katholikentag 2004 in Ulm findet vom 16. bis 20. Juni und damit in zeitlicher Nähe zum Pfingstfest (30. Mai) statt. Im alten Pfingsthymnus „Veni Creator Spiritus“ singt die Kirche: „Komm, heiliger Geist, der Leben schafft, erfülle uns mit deiner Kraft.“ Und weiter: „Komm, Tröster, der die Herzen lenkt, du Beistand, den der Vater schenkt, aus dir strömt Leben, Licht und Glut, du gibst und Schwachen Kraft und Mut.“ In der vierten Strophe heißt es schließlich: „Entflamme Sinne und Gemüt, dass Liebe unser Herz durchglüht und unser schwaches Fleisch und Blut in deiner Kraft das Gute tut.“ Das Gute aus der Kraft des Geistes Gottes tun - dazu möchte letztlich das Leitwort des Katholikentages hinführen. Bevor ich diese gewissermaßen „ethischen“ Implikationen des Leitwortes entfalte, gestatten Sie mir zuvor noch einige theologische Überlegungen.

Pfingsten, die Ausgießung des Geistes Gottes, gilt als das „Geburtsfest“ der Kirche. In der Kraft des Geistes Gottes verkündet die junge Kirche die Botschaft von der Auferstehung des Gekreuzigten, des "Urhebers des Lebens" (Apg 3,15). Kraft (griech. dynamis) ist Mittel zur Veränderung, zur Gestaltung und zur Verwandlung. Sie bringt uns in eine Dynamik aufeinander und miteinander auf ein gemeinsames Ziel zu.

Vom Geist geführt legt die frühe Kirche die biblischen Schriften so aus, dass ihre innere Mitte in Christus und Gottes kraftvolles Wort in Erscheinung tritt (vgl. Lk 24,25-27; Apg 8,26-40; Hebr 4,12). In der Kraft des ausgegossenen Geistes werden Menschen wieder zu Propheten (vgl. Apg 2,17 f), die Gottes kraftvolle Taten erfahren und verkünden. In der Kraft des Geistes werden die vielen Völker zu der einen Kirche Gottes zusammengeführt.

Mit dem Motto „Leben aus Gottes Kraft“ wollen wir in zeitlicher Nähe zum Pfingstfest an diese geist- und kraftvolle Grunderfahrung der frühen Kirche anknüpfen. Wir tun dies nicht so, als ob wir die seither vergangenen fast 2000 Jahre Kirchen- und Weltgeschichte überspringen könnten, aber doch so, dass wir uns von der Last dieser Geschichte nicht erdrücken lassen, sondern auch darin nach Spuren der Kraft Gottes suchen.

Solche Spuren der Kraft Gottes in der Geschichte finden sich vor allem im Leben von Heiligen. Sie sind gleichsam die Propheten für eine jeweilige Zeit. Ein herausragendes Beispiel hierfür aus jüngster Zeit ist etwa die letzten Sonntag selig gesprochene Mutter Teresa von Kalkutta, die sich in der Kraft des Geistes Jesu den Ärmsten und Schwächsten der Gesellschaft zuwandte, um ihnen zu dienen. Schwäche, Unvollkommenheit, Krankheit und Tod müssen nicht "vitalistisch" ausgeblendet, sondern können vom Kreuz her angenommen werden. Zu verweisen wäre auch auf die beiden kürzlich heilig gesprochenen Steyler Missionare, auf den Ordensgründer Arnold Janssen und den China-Missionar Joseph Freinademetz. Auch sie sind herausragende Beispiele für das kraftvolle, Freiheit eröffnende Wirken des Geistes Gottes in unserer Zeit.

2 Drei Themenbereiche auf dem Katholikentag

Das Motto „Leben aus Gottes Kraft“ wird auf dem Katholikentag in drei Themenbereichen näher entfaltet: „Den Grund des Lebens erfahren“, „Das Geschenk des Lebens bewahren“, „Das Zusammenleben gestalten“.

Ihrem Leben auf den Grund gehen Menschen dort, wo sie in der Tiefendimension ihrer Existenz erfahren, dass Gottes Geist jeden Menschen trägt und ihn in seiner Schwachheit stärkt, das Gute zu tun. Auch in den anderen christlichen Konfessionen und den anderen Religionen wirkt in der Tiefe Gottes Geist, was die Grundlage für den ökumenischen und den interreligiösen Dialog ist. Dem nachzuspüren wird eine der Aufgaben im ersten Themenbereich des Katholikentages sein.

Wo Gottes Geist wirkt, da wird das Leben auch immer als Geschenk erfahren und bewahrt. Dem widmet sich der zweite Themenbereich, der die heutige Gefährdungen des Lebens in den Blick nimmt: von der Umweltzerstörung über ungerechte Weltwirtschaftsstrukturen und den weltweiten Terrorismus bis hin zur aktiven Sterbehilfe und zur bioethischen Herausforderung eines verfügenden Umgangs über die Anfänge menschlichen Lebens. Dabei soll in der „Wissenschaftsstadt“ Ulm nicht einem platten Wissenschaftsskeptizismus das Wort geredet werden, sondern es sollen Wissenschaft und Weisheit zusammen kommen.

Im dritten Themenbereich schließlich geht es um die Gestaltung des Zusammenlebens nach ethischen Grundprinzipien, wie sie die katholische Soziallehre formuliert hat. "Leben" wird also nicht nur individuell und personal, sondern auch gemeinschaftlich und sozial verstanden. Zur Debatte stehen dabei die heute viel diskutierten Fragen nach der sozialen Sicherheit, nach dem Arbeitsmarkt, nach Migration, Bildung, Partnerschaft in Ehe und Familie, Kinder und Generationenverantwortung. Dies soll nicht nur im Hinblick auf Deutschland, sondern auch im Hinblick auf das erweiterte Europa bedacht werden.

3 Auf der Suche nach einer tragfähigen Spiritualität

Insgesamt will die Kirche auf dem Katholikentag deutlich machen, dass Gottes Geist auch heute kraftvoll wirkt und Leben in Fülle schenkt. Auch heute sind die Quellen von Gottes Kraft nicht versiegt: Gottes Wort in der Verkündigung und geistlichen Auslegung der Kirche, die Feier der Liturgie und der Sakramente, das Beispiel der Heiligen in der Kirchengeschichte und das persönliche wie gemeinschaftliche Gebet.

Freilich leben wir in einer säkularen Situation, die durch den Verlust des Transzendenzbezugs in breiten Kreisen der Bevölkerung gekennzeichnet ist. Gegenüber dieser Situation hat die Kirche, die ja der Gesellschaft nicht ihren Glauben aufzwingen will und kann, "eine ganz neue Aufgabe, die man vielleicht als prophetisch qualifizieren könnte" (Karl Rahner). Es gilt, die säkulare Gesellschaft davor zu bewahren, sich in einen rein immanenten Säkularismus einzuschließen und damit von den wichtigsten Lebensquellen abzuschließen, und zwar durch einen konstruktiven Dialog mit der christlichen Religion und ihrem Hoffnungs- und Handlungspotenzial.

Ein solcher Dialog erscheint heute wieder möglich, weil gleichzeitig zur Säkularisierung auch die Suche nach einer lebendigen Religion und kraftvollen Spiritualität in unserer Gesellschaft neu aufgebrochen und in vielen Bereichen spürbar ist. Erst in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift "Psychologie heute" (Novemberheft) wird die "vergessene Tugend" der Dankbarkeit wieder entdeckt und aufgezeigt, dass dankbare Menschen "zufriedener und gesünder" leben. Dankbarkeit bzw. Danksagung ist aber das deutsche Wort für das griechische "eucharistia" als Mitte der christlichen Liturgie.

Diese zunehmende Suche nach einer tragfähigen Spiritualität für heute, letztlich nach einem gelingenden Leben und dem ewigen Heil, muss die katholische Kirche begleiten. Sie muss versuchen, aus ihren eigenen ungehobenen Schätzen: ihren mystischen Traditionen und geistlichen Erfahrungen eine Antwort zu finden und zu formulieren, die der heutigen Zeit gemäß ist, ohne sich dem "Zeitgeist" anzubiedern. Es wäre schon viel erreicht, wenn der Katholikentag in Ulm einen Schritt hin zu einer solchen zeitgemäßen Antwort bei der zeitgenössischen Suche nach einem "Leben aus der Kraft" machen könnte, die den Menschen übersteigt.

4 Der Beitrag der Diözese Rottenburg-Stuttgart

Als gastgebendes Bistum beteiligt sich die Diözese Rottenburg-Stuttgart auf vielfältige Weise an der Vorbereitung und Durchführung des Katholikentags in Ulm. In aller gebotenen Kürze möchte ich nur vier Punkte nennen:

Nach der offiziellen Eröffnungsveranstaltung am 16. Juni stellen sich beim "Abend der Begegnung" sechs Regionen der Diözese mit eigenen Veranstaltungen und kulinarischen Angeboten vor, so die Regionen Hohenlohe/ Franken, Stuttgart/ Mittlerer Neckarraum, Schwarzwald, Schwäbische Alb, Oberschwaben und Ulm/ Neu-Ulm. Auf der Kirchenmeile sind diözesane Einrichtungen und Verbände vertreten, ebenso beim Katholikentagsprogramm mit eigenen Veranstaltungen. Schließlich engagieren sich die Ulmer Christen und die Kirchengemeinden bei der Bereitstellung und Betreuung von Privat- und Gemeinschaftsquartieren sowie von Veranstaltungsorten.

Ein fünfter Punkt betrifft die diözesane Aktion "Buch des Lebens", die gewissermaßen eine Brücke zwischen unserem 175-Jahr-Jubiläum in diesem Jahr und dem Ulmer Katholikentag im kommenden Jahr schlagen soll. Dies werde ich auf einer Pressekonferenz im November näher erläutern.

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