Bischof Dr. Gebhard Fürst: Bioethik, Sprache und Weihnachten 2001

Stuttgart, SWR 2 - Wort zum Tag

Die Frage der Menschenwürde wird langsam und unauffällig mit der nach dem Wert eines Menschen vertauscht.

Während der Sitzungen des Nationalen Ethikrates machte mich neben allen inhaltlichen Diskussionen eine Erfahrung besonders nachdenklich. Immer wieder ging mir durch den Kopf, wie durch unterschiedlichen Gebrauch der Sprache bereits erhebliche inhaltliche Vorentscheidungen getroffen sind.

Ich beginne mit einer scheinbaren Kleinigkeit: Da wird von menschlichen Embryonen gesprochen, nicht aber von embryonalen Menschen. Bemerken Sie die fast feine Akzentverlagerung? Auf dem Weg einer sprachlichen Vertauschung verliert der Embryo seine Haupteigenschaft, 'Mensch' im vollen Sinne zu sein. Ähnlich verhält es sich bei der Bezeichnung 'werdender Mensch' für den Embryo. So wird allein schon sprachlich suggeriert, dass ein Embryo eben noch nicht ganz Mensch ist. Unabhängig von der inhaltlichen Frage, ob es denn überhaupt sinnvoll und vor allem human ist, zwischen 'ganz' Mensch und 'noch nicht völlig' Mensch zu unterscheiden, wird hier doch schon auf der sprachlichen Ebene eine Vorentscheidung getroffen. Und wie dringend diese Aufmerksamkeit erforderlich ist, zeigt mein letztes Beispiel, bei dem verharmlosend von verbrauchender Embryonenforschung gesprochen wird. So wird -rein sprachlich- verschleiert, dass es sich schlichtweg um die Tötung menschlichen Lebens zu Forschungszwecken handelt.

Wir feiern in einer Woche Weihnachten. Vielleicht fragen Sie sich, warum ich Ihnen an diesem Morgen mit einem solchen Thema in Ihre Wohnung komme. Aber ganz so weit scheinen mir Thema und bevorstehendes Fest nicht auseinanderzuliegen, im Gegenteil:

Eine Religion, die in ihrem Grundtext stehen hat 'Im Anfang war das Wort', ist radikal und ständig dazu aufgerufen, höchst aufmerksam mit der Sprache umzugehen. Tendenzen einer unmerklichen Aushöhlung oder gar Verschleierung in der Alltagssprache sind dabei wahrzunehmen. 'Im Anfang war das Wort - und das Wort ist Fleisch geworden': Das heißt eben als weihnachtliche Botschaft auch, dass Sprache immer an den Menschen gebunden ist, ihm und seinem Heil zu dienen hat. Wo ein bestimmter Sprachgebrauch aber der Unmenschlichkeit Vorschub leistet, ist gerade aus christlichen Gründen Widerstand zu leisten.

Weihnachten ist das Fest der Menschwerdung Gottes. Gott wird Mensch, damit auch der Mensch ganz Mensch werden kann. Wie ist aber die gegenwärtige Situation? Durch aktuelle Entwicklungen in Wissenschaft und Gesellschaft wird der Mensch zum Spielball seiner eigenen Experimente. In einer Zeit, in der alles reproduzierbar ist, sind wir nun beim sich selbst produzierenden Menschen angekommen. So wird der Mensch zum austauschbaren, x-beliebigen Ding, zu einer Ware. Die Frage der Menschenwürde wird langsam und unauffällig mit der nach dem Wert eines Menschen vertauscht. Ein Wert aber hängt von Bewertungen und Kriterien ab, er kann sich verändern und - gegen Null tendieren. Würde dagegen kommt einem Menschen zu, eben weil er Mensch ist.

Lassen wir uns zu Weihnachten neu eine konsequent wert-lose Wahrheit sagen und von ihr in die Pflicht nehmen. Gott wird Mensch, das heißt: Menschenwürde ist nicht teilbar, nicht kalkulierbar und nicht nach Katalog bewertbar.

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