Bischof Dr. Gebhard Fürst: Brief an den Vorsitzenden der DBK-Arbeitsgruppe „Wiederverheiratete Geschiedene“ 2013

Rottenburg, Bischofshaus

Lieber Mitbruder im Bischofsamt,

heute wende ich mich an Dich in Deiner Eigenschaft als Vorsitzender der in unserer Herbstvollversammlung eingesetzten Arbeitsgruppe zu einem veränderten Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen.

„Glaubwürdig Kirche leben.“ – Unter diesem Titel startete ich im Jahr 2011 für die Diözese Rottenburg-Stuttgart einen Dialog- und Erneuerungsprozess, der zu vielen Begegnungen und Gesprächen geführt hat. Verbände, Berufsgruppen und Initiativen haben mich zum Gespräch eingeladen oder sind zu mir ins Bischofshaus gekommen. Viele Einzelne, Gruppen und Gemeinschaften haben mir geschrieben. In vier großen Regionalforen im Laufe des Frühjahres diesen Jahres wurden die Themen aufgegriffen, die Menschen in unserer Kirche besonders bedrängen.

Als eines der vordringlichsten Anliegen wurde immer wieder ein veränderter Umgang der Kirche mit den wiederverheirateten Geschiedenen genannt. Der Duktus der Äußerungen schwankt zwischen Empörung, Enttäuschung und allgemeinem Unverständnis. Insbesondere bei diesem Thema wird oftmals die fehlende Orientierung an der „Barmherzigkeit Jesu“ vermisst.

In den vielen Begegnungen und Gesprächen wird konkret spürbar, was Papst Benedikt XVI. im Rahmen des Weltfamilientreffens im Juni 2012 so formulierte: Die Frage nach einem angemessenen Umgang der Kirche mit den wiederverheirateten Geschiedenen ist „eines der großen Leiden unserer Kirche.“ Wir Bischöfe durften es als Ermutigung erfahren, das Papst Benedikt beim gleichen Anlass es als „große Aufgabe einer Pfarrei, einer katholischen Gemeinschaft“ bezeichnete, „wirklich nur alles Mögliche zu tun, damit sie (wiederverheiratete Geschiedene) sich geliebt und akzeptiert fühlen, damit sie spüren, dass sie keine ‚Außenstehenden’ sind“, sondern – auch wenn sie nicht die Absolution und die Eucharistie empfangen können – „vollkommen in der Kirche leben“.

Trotz solcher zugewandter Aussagen fühlen sich wiederverheiratete Geschiedene oftmals nicht als vollwertig in der Kirche akzeptiert oder gar zurückgestoßen. Verständlicherweise. Denn einerseits wird besonders seit dem Zweiten Vatikanum betont, die eucharistische Kommunion sei wirksames Zeichen der Einheit, andererseits wird den wiederverheirateten Geschiedenen (und eigentlich nur ihnen) gesagt, dass keine Notwendigkeit dieses Zeichens bestehe; stattdessen werden sie zur ‚geistlichen Kommunion’ eingeladen. So wird verweigert, was als Zentrum christlich-kirchlicher Existenz gepredigt wird, bei gleichzeitiger Betonung, dass sich die Betroffenen deshalb nicht als von der Kirche getrennt betrachten sollen. Ein unaufgelöster Widerspruch.

Einerseits entspricht das katholische Eheverständnis zutiefst der menschlichen Sehnsucht nach unbedingter Annahme. Jugendstudien belegen, dass Treue und Verlässlichkeit gerade unter jungen Menschen überaus hohe Werte sind. Andererseits ist es ein Faktum, dass jede dritte Ehe in Deutschland, in Ballungszentren sogar jede zweite, geschieden wird. Ca. 25% aller geschlossenen Ehen sind Wiederverheiratungen. Damit ist ein großer Teil der Katholiken de jure vom Kommunionempfang ausgeschlossen. Der Graben zwischen Wunsch und Wirklichkeit ist tiefer geworden, und damit der Graben zwischen kirchlicher Norm und pastoraler Realität und Erfordernis.
Wenngleich Ehenichtigkeitsverfahren kaum die menschliche Problematik lösen, es muss sie auch künftig geben für Menschen, die sie in Anspruch nehmen wollen. Doch reicht der juristische Weg nicht aus.

Ohne die Normvorstellung von ehelicher Bindung und Treue zu verletzen bedarf es einer lebensnäheren Betrachtung der gesellschaftlichen Entwicklungen und der konkreten Situation wiederverheirateter Geschiedener. Statt Verurteilung und Entmutigung braucht es konkrete Hilfestellungen aus dem Glauben und der kirchlichen Praxis. Heilige Schrift und Tradition gewähren Spielräume hierfür.
Es muss im konkreten Gemeindealltag erfahrbar werden, dass auch wiederverheiratete Geschiedene zur Kirche gehören und nicht ausgegrenzt werden. Ziel der Pastoral muss es sein, Menschen auf der Suche nach gangbaren Wegen in die Zukunft zu begleiten. Eine angemessene Einzelfallbetrachtung erscheint mir dabei unerlässlich. Es gibt durchaus Situationen, in denen eine Wiederheirat Geschiedener nicht einfach als fortdauernder Ehebruch zu betrachten ist, sondern als verantwortungsvoller Ausweg. Es versteht sich, dass die Problematik der wiederverheirateten Geschiedenen nicht durch die Bagatellisierung des Scheiterns der ersten Ehe gelöst werden kann. Es gilt vielmehr, die Erfahrungen ebenso ernst zu nehmen wie die Entscheidungen zu Trennung und ziviler Zweitehe.

Die Frage nach der Erteilung der Absolution und der Zulassung zur Kommunion ist auch eine Frage an die kirchliche Botschaft von Schuld, Umkehr und Versöhnung, zugleich eine Frage an das Selbstverständnis von Kirche als Ort der Versöhnung und an das Verständnis von Eucharistie. Als Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart fühle ich mich den Beschlüssen unserer Diözesansynode 1985/86 verpflichtet, die die Glaubensnot vieler wiederverheirateter Geschiedener erkennt und folgendes Votum formuliert:

„Die Synode der Diözese Rottenburg-Stuttgart bittet die Deutsche Bischofskonferenz im Blick auf die Glaubensnot vieler wiederverheirateter Geschiedener und deren zunehmende Abwanderung aus der Kirche, aber auch hinsichtlich der schwierigen Situation der Seelsorger und Gemeinden, nunmehr zehn Jahre nach dem Beschluss der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, auf der Basis der kirchlichen Lehre von der Ehe verstärkt nach einheitlichen pastoralen Wegen zu suchen, wie diesen Ehepartnern in ihrer Situation geholfen werden kann, einschließlich der Teilnahme am sakramentalen Leben der Kirche.“

Aus Verpflichtung gegenüber unserer Diözesansynode, aber auch aus innerer Überzeugung möchte ich diese Bitte erneut unterstreichen und den Mitgliedern der Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz ans Herz legen.

Die weitaus größeren Spielräume haben wir Deutschen Bischöfe hinsichtlich der Gestaltung des kirchlichen Arbeitsrechts. Wir können und müssen nach gangbaren Wegen suchen, die es wiederverheirateten Geschiedenen je nach Situation ermöglichen, in einem kirchlichen Arbeitsverhältnis zu bleiben oder in ein solches einzutreten. Es ist mir ein großes Anliegen, dass wir diese Spielräume nutzen. Sollte es auf der Ebene der Deutschen Bischofskonferenz nicht zu einer einheitlichen Ordnung kommen, erwäge ich die Möglichkeit, für die Diözese Rottenburg-Stuttgart ortskirchliche Regelungen zu treffen.

In allen Diözesen Deutschlands hat der Gesprächsprozess „Im Heute glauben“ Hoffnungen geweckt. Eine zentrale Hoffnung richtet sich auf einen barmherzigeren Umgang der Kirche mit wiederverheirateten Geschiedenen. Tun wir das in unserer Möglichkeit Stehende, Wege zu finden, die dem kirchlichen Eheverständnis und der konkreten Situation und Not wiederverheirateter Geschiedener gleichermaßen gerecht werden.

Mit herzlichen, mitbrüderlichen Grüßen
verbleibe ich

Dein
Bischof Gebhard

Rottenburg, den 21. Juni 2013

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