Bischof Dr. Gebhard Fürst: „Die Kirche steht besser da, als viele meinen“ 2008

Esslinger Zeitung

Esslingen – Gebhard Fürst, seit 2000 Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, sieht die Kirche nach wie vor und trotz aller Unkenrufe im Zentrum der Gesellschaft. Besonders engagiert ist der katholische Geistliche in Fragen der Ökumene und der Bioethik. Von 2001 bis 2005 gehörte er dem Nationalen Ethikrat an.

Mit Fürst sprachen Thomas Krazeisen und Martin Mezger.

Weniger Kirchgänger, weniger Taufen, weniger Einfluss aufs gesellschaftliche Leben: Welche Zukunft hat das Christentum in Europa, wenn es zur Privatsache einer Minderheit zu verkümmern droht?

Fürst: Den Eindruck des quantitativen und qualitativen Schwindens kann man nicht isoliert stehen lassen. Ein Beispiel: In der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ wurde rmittelt, dass die beiden großen Kirchen rund die Hälfte des gesamten kulturellen Engagements in unserem Land tragen. Das ist ein erstaunliches Ergebnis, denn die Kirchen sind ja zudem im sozialen und diakonischen Bereich sehr aktiv, wirken also in weite Teile der Gesellschaft hinein, die vom gottesdienstlichen Leben nicht mehr erreicht werden. Natürlich kann man andererseits nicht bestreiten, dass Religion verstärkt ins Private abgedrängt wird. Aber insgesamt steht die Kirche als solche und in der Gesellschaft viel besser da, als viele sogar innerhalb der Kirche meinen. Das ist übrigens nicht nur eine Diagnose als Bischof, sondern auch die des eher kritischen Religionssoziologen Michael Ebertz.

Wie kann die Kirche auf ihr Wahrnehmungsproblem reagieren?

Fürst: Darin sehe ich eine enorme Herausforderung. Mit der Entwicklung der elektronischen Medien ändert sich die Situation geradezu revolutionär. Es kommt zu der seit jeher bekannten Fixierung der Medien auf bestimmte Themen noch die Veränderung in der ediennutzung dazu. Das Internet stellt andere Anforderungen als eine Tageszeitung. Die deutsche Bischofskonferenz zum Beispiel hat eine hervorragend gemachte Website – aber deswegen allein wird sie noch nicht massenhaft angeklickt. Das heißt: Wir müssen mehr in die Öffentlichkeitsarbeit investieren, aktiver über unsere Anliegen informieren.

Fehlt es der Kirche an geeigneten Strategien, um nicht immer nur im Zusammenhang mit dem quotenträchtigen Thema Sexualmoral vorzukommen?

Fürst: In der Tat scheint die katholische Kirche massenwirksam vor allem in Zusammenhang mit Fragen des Zölibats und der Sexualmoral von den Medien ahrgenommen zu werden. Dass wir das nicht einfach hinnehmen können, liegt auf der Hand. Aber die Eigengesetzlichkeit der Medien und ihre Marktorientierung stellen für jede denkbare Gegenstrategie eine hohe Hürde dar.

Die Marktgesetze kollidieren auch mit anderen kirchlichen Positionen. Der verkaufsoffene Sonntag ist zum Gottesdienst des Konsumbürgers geworden. Ist der Tag des Herrn noch zu retten?

Fürst: Wir versuchen in zahlreichen Gesprächen, die Politiker, aber auch den Handel und die Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren. In Baden-Württemberg hat man immerhin zu einer gesetzlichen Regelung gefunden, die dafür sorgt, dass die Sonntagsruhe weniger als in anderen Bundesländern aufgeweicht wird. Wir als Kirche müssen klarmachen, dass der arbeitsfreie Sonntag nicht einfach unser „Vereinsfeiertag“ ist, sondern ein Kulturgut. „Ohne Sonntag gibt es nur Werktage“, heißt es auf einem Plakat der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung. Ohne die Zäsur des Sonntags wird alles, die Freizeit wie die Arbeitszeit, zur Dispositionsmasse, die nur noch wirtschaftlichen Interessen dient und Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten unterliegt.

Die Ökonomisierung betrifft inzwischen nicht nur das Leben, sondern auch seinen Ursprung. Kämpft die Kirche auf verlorenem Posten gegen das Geschäft mit der Stammzellenforschung und der Humangenetik?

Fürst: Die Wissenschaft kann sich auch gegen den Menschen richten. Wenn die Kirchen sich für die Schwächsten einsetzen, in diesem Fall die Embryonen, ist das nicht der Ausfluss eines Dogmatismus oder einer Rechthaberei, sondern des Glaubens an die Würde des Menschen, die mit der Zeugung beginnt. Das steht im Einklang mit den Bio- Wissenschaften, die keinen qualitativen Sprung sehen, der einen angeblich vorhumanen Embryo zum Menschen macht. Wir kämpfen bei ethischen Fragen zur Biotechnologie nicht auf verlorenem Posten, wenn es zum Beispiel gelingt, der Öffentlichkeit klarzumachen, was „Genetic engineering“ – also die genetische Manipulation – beim Menschen tatsächlich bedeutet: nämlich die Herabwürdigung des Menschen zum Zuchtwesen. Das wird in der Öffentlichkeit zu wenig reflektiert, da sieht man nur, dass getötete Embryonen vielleicht zur Entwicklung eines Alzheimer-Medikaments führen könnten. In der Gesellschaft stehen dann alle, die keine Tötung von Embryonen wollen, schnell so da, als seien sie unsensibel gegenüber dem Leid vieler Menschen. Da heißt es dann: Die wollen die leidende Kreatur, damit sie ihnen die Erlösung verkünden können.

Entwerfen die Verheißungen der Humangenetik oder auch des Anti-Aging nicht tatsächlich ein ganz anderes Menschenbild als das christliche, das auf Freiheit, Selbstverantwortung und dem Ernstnehmen des menschlichen Leidens gründet?

Fürst: Das ist richtig. Dass die Sterblichkeit, das Leiden und die Endlichkeit des Menschen in der modernen Gesellschaft möglichst geleugnet werden, führt zu Illusionen. Der Mensch ist zu vielschichtig und zu komplex, als dass er sein Leben bis in alle Ewigkeit leidensfrei fristen könnte. Bereits eine normative Festlegung des Guten, Schönen oder Erstrebenswerten nach dem jeweiligen Zeitgeist würde eher aus der Humanität hinaus als in sie hinein führen.

ZumThema Ökumene: Ist sie in den Gemeinden nicht viel weiter fortgeschritten, als die Verlautbarungen der Kirchen glauben machen?

Fürst: Die ökumenische Zusammenarbeit ist in der Tat sehr eng. Der Punkt, an dem wir im Augenblick nicht weiterkommen, ist das unterschiedliche Sakramentsverständnis beim Abendmahl. Aber die große Feindschaft der Konfessionen, die man aus der Vergangenheit kennt, ist in den vergangenen Jahrzehnten verschwunden.

Vom interkonfessionellen zum interreligiösen Dialog: Wie entwickelt sich namentlich das Verhältnis zum Islam?

Fürst: Ich lade regelmäßig Vertreter des Islam ein, die das ganze Spektrum dieser Religion repräsentieren. Der Dialog wird also aktiv geführt. Aber für mich bleibt die bislang unbeantwortete Grundfrage: Wie demokratiefähig und wie demokratiewillig ist der weltweit existierende Islam? Wenn man mit Nein antworten müsste, bin ich skeptisch, ob esgelingt, diese Religion in einem freiheitlich-demokratischen Staat zu verankern. Der andere Punkt ist, dass das Zweite Vatikanische Konzil gegenüber dem Islam eine ausdrückliche theologische Hochachtung ausspricht.

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