Bischof Dr. Gebhard Fürst: Fastenpredigt

Ulm

Schriftstelle: Jes 40, 26-31

Liebe Schwestern und Brüder,

„Die aber dem Herrn vertrauen, schöpfen neue Kraft, sie bekommen Flügel wie Adler.“ (Jes 40,31b) – das ist der entscheidende Satz in der Lesung aus dem Propheten Jesaja. Er spricht mich sehr an und ich glaube, er spricht jeden in seinem Innersten an!

Flügel werden wir bekommen, Flügel wie Adler – nichts weniger als das verheißt dieser Vers aus dem Propheten Jesaja. Jesaja spricht gerne in Bildern. Bilder vermögen auszudrücken, was uns mit Begriffen und Definitionen nicht möglich ist. Der auf dem Boden hüpfende Adler bietet ein kraftloses Bild. Breitet er aber seine Flügel aus und schwingt sich auf, wird er zum König der Lüfte! Vermutlich haben sie dieses Bild vor Augen: Der mit seinem Flügelschlag sich in die Höhe erhebende und von seinen Flügeln hoch getragene Adler. Der Adler, der getragen von seinen Flügeln in großer Ruhe in der Luft schwebt und kraftvoll seine Kreise zieht. Bei solchem Anblick befällt uns eine Sehnsucht: wer möchte nicht so seine Kreise ziehen. So getragen, so kraftvoll ruhig möchte ich leben!

Genau das – kraftvolles Leben - soll erschöpften Menschen zu teil werden: in welcher Lebenssituation auch immer. Diese Zuversicht will Jesaja in den Menschen wieder erwecken. Jesaja will das Feuer der Kraft in verzagten Menschen neu entfachen. Die Kraftlosen, die Verzagten, Verschüchterten und Niedergeschlagenen werden zu neuem Schwung finden, ihnen wird neue Hoffnung, neue Ausdauer verliehen werden: Neue Kraft wird in den Müden und Matten lebendig werden – wer fühlt sich da nicht angesprochen.

Wie soll das geschehen? Vieles ist ja hier denkbar: allerlei Praktiken, Wunderrezepte, gar Powerdrinks: Red Bull verleiht Flügel! Die Werbung weiß, dass wir manchmal flügellahm sind und was wir uns dann wünschen!

Jesaja weiß einen anderen Weg, will uns einen anderen Weg führen. Der Prophet denkt nicht an Wunderrezepte oder Kraftelixiere! Jesaja setzt nicht auf fremdartige Heilungswege, neue Kräfte zu wecken. Jesaja setzt ganz auf Gott: von ihm weiß er: „Der ewige Gott gibt dem Müden Kraft, dem Kraftlosen verleiht er große Stärke.“ Jesaja wird uns hier zum Zeugen seiner Lebens- und Glaubenserfahrung, seiner Lebensgeschichte mit Gott. Getragen vom Vertrauen in Gott, wirst du kraftvoll die Kreise deines Lebens ziehen. Das anzunehmen will Jesaja erreichen!

Der gesamte Text, den wir gehört haben, handelt er von einer regelrechten Wende von der Niedergeschlagenheit hin zu neuer Lebenszuversicht. „Die aber dem Herrn vertrauen schöpfen neue Kraft, sie bekommen Flügel wie Adler.“ (Jes 40,31b)

Das sagt er nicht billig einfach so daher. Er spricht nicht in solchen Tagen, die mit billigem Trost bestanden werden können. Er spricht hinein in eine Zeit in der der Bestand des Volkes Israel auf dem Spiel steht!

Jesaja redet in der Zeit des Exils und der Gefangenschaft in Babylon

Vergegenwärtigen wir uns die Situation, in die hinein Jesaja spricht: Israel ist aus der Heimat vertrieben. Der Tempel, der Ort der Gegenwart Gottes ist zerstört. Israel ist in der Fremde, im Exil, in Gefangenschaft. Vielen der im 6. Jahrhundert vor Chr. nach Babylon deportierten Israeliten ist der Glaube an Gott abhanden gekommen, viele drohen Gott zu vergessen, andere wenden sich, wenn es hoch kommt in ihren Gebeten nur noch klagend an Gott. Sie sind der Meinung: Gott hat uns heute im Stich gelassen. Woher sollen wir also Lebenszuversicht und den Mut für die Gestaltung der Zukunft nehmen? Lasst uns also heute unseren Spaß haben, denn morgen ist eh alles vorbei! Ist die Situation zur Zeit Jesajas nicht unserer ähnlich?

Worauf gründet die Hoffnung, die Menschen in schweren Zeiten nach vorne schauen lässt? Woher kommt uns Kraft?

Jesaja steht auch in unserer Zeit auf und uns spricht zu uns. – Seine Worte sind ein Zeugnis seines Glaubens für uns. Seine ihm zugewachsene Glaubensüberzeugung spricht er aus und gibt uns weiter, was er erfährt, was ihn lebendig werden lässt und woraus er lebt. Unerhörte Worte voller Kraft, die Kraft in uns stiften. Kein Wunder, dass sie seit 2 ½ Jahrtausenden gehört werden und zu Menschen sprechen!

Sie beginnen mit einem Aufruf: „Hebet eure Augen in die Höhe und seht! Wer hat die Sterne dort oben erschaffen?“ Die Trostworte des Propheten sind ein Lob Gottes des Schöpfers. Die Schöpfung ist nicht Gott, aber der Kosmos mit Sonne, Mond und Sternen ist in seiner Großartigkeit das beeindruckende Zeugnis für Gottes Schöpfermacht. Ein biblischer Mensch spricht hier! Ein Mensch der über sich hinausblickt und Staunen kann über das was ist. Blickt über euch hinaus!

Der Prophet ist davon überzeugt, dass der Schöpfer der Welt und des Kosmos auch seinen Menschen Lebensenergie und Kraft geben kann. Die ersten Worte unseres Glaubensbekenntnisses, die vom Schöpfer des Himmels und der Erde handeln, beschreiben nicht nur eine in Urzeiten zurückliegende Schöpfertat Gottes. Nein, sie verweisen auf das fortdauernde, die Welt erhaltende Schöpferwirken Gottes. Es gibt in Gottes Schöpfung viel zum Staunen. Blick über euch hinaus! Dann werdet ihr mit neuen Augen sehen, entdecken die Größe Gottes! Gott hat alles mit seiner Schöpfer-Kraft geschaffen!

Jesaja nennt hier als ein Beispiel alles, was das menschliche Auge am Firmament wahrnimmt. Für "geschaffen" taucht das Wort "bara" auf. Es ist die gleiche Vokabel wie im Schöpfungsbericht in der Genesis. "Bara" als Ausdruck ist ausschließlich für das Schaffen Gottes reserviert. Es heißt hier bei Jesaja: Gott schafft aus dem Nichts das unermessliche Heer der Sterne. Und er hat sie auch weiterhin durch die ganze Geschichte im Blick und zählt sie tagtäglich mit großer Sorgfalt. Kein Stern im weiten Universum kann sich diesem sorgenden Überblick entziehen! Er kann auch euch, den Müden Kraft und den Kraftlosen Stärke geben. Habt Vertrauen in ihn den Schöpfer und Erhalter der Welt! Er ist auch euer Schöpfer und Erhalter.

Uns muss nicht bange sein. Der verborgene Gott ist auch weiterhin in der Geschichte der Welt, in der Geschichte von uns Menschen wachsam am Werk. Er gibt sich nicht mit dem einmal erreichten Status Quo zufrieden, sondern er schafft unablässig neu! Durch sein schöpferisches Handeln werden auch wir immer wieder erneuert. So können wir aus seiner Kraft selbst handeln. Er lenkt auch weiterhin die Geschichte der Menschen – zu unserem Heil.

Niemand wusste das besser als das Volk Israel. Die gesamte Heilige Schrift des Alten und des Neuen Bundes legt davon Zeugnis ab. Der Weg dieses Volkes, angefangen mit Abraham bis hin zur Rettung durch Moses und der Führung ins verheißene Land, zeugt von der Geschichtsmächtigkeit Gottes.

Schwarzsehen ist also nach Jesaja völlig fehl am Platze! "Hebet eure Augen in die Höhe und sehet!" Gott möchte alle Schwarzseher hellsichtig machen. Dass Gott dies kann, wurde vom Propheten Jesaja dreifach begründet.

Gott ist als der Verborgene sichtbar am Werk. Er als der Nimmermüde gibt den Müden neue Kraft. Er lässt als der Schöpfer seinen Geschöpfen die Flügel der Kraft wachsen. Damit wir unser Leben im Licht Gottes sehen können, gibt Jesaja uns dieses wunderbare Bild, das ermutigende Bild von dem Adler, der mit kräftigen Flügelschlägen hinauf in die Höhe fliegt. Wer das "Aufsteigen" eines Adlers einmal beobachtet hat, kann dies befreiende Bild kaum vergessen. Der Prophet nimmt dieses Bild im Vertrauen auf Gott, den Schöpfer, auf. Er setzt darauf, dass "die auf den Herrn vertrauen, neue Kraft schöpfen, dass sie Flügel bekommen wie Adler" und von ihren niederdrückenden Gedanken befreit werden.

Sehen wir uns diesen Satz noch einmal ein wenig genauer an: ‚Die Jungen werden müde und matt, junge Menschen stolpern und stürzen. Die aber, die auf den Herrn vertrauen, bekommen neue Kraft, sie bekommen Flügel wie Adler. Sie laufen und werden nicht müde, sie gehen und werden nicht matt.’

Auch die Bibel will keine Übermenschen. Sie erzählt von der ganz alltäglichen, uns allen wohlbekannten Erfahrung, dass wir Menschen müde und matt werden, dass wir Zeiten kennen, in denen wir uns kraft- und hilflos fühlen. Ein entscheidender Grund dafür ist, dass wir eben Menschen sind und in einem sterblichen Leibe wohnen.

Selbst Jesus kannte Zeiten solcher Erschöpfung. Er war nicht nur körperlich müde und erschöpft, brauchte nicht nur täglich erholenden Schlaf. Nein, sein Zagen und Zittern war auch seelischer Natur. Besonders im Vorfeld seines Kreuzesleidens wird von solchen Zeiten berichtet. Er fing an sich zu ängstigen und zu verzagen. Wir lesen es in Mt. 26, 38: "Meine Seele ist zu Tode betrübt." Es war eine tödlich schwere Zeit für ihn, so dass Er Seinen Vater schließlich bat: "Ist es möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber" (Mt 36, 29). Ja am Kreuz erfährt er sich von Gott verlassen: Mein Gott, mein Gott, warum hast du uns verlassen? Alle Gott-Verlassenheit der Menschen und dieser Welt sind hineingenommen in dieses Wort am Kreuz!

Denken wir auch an Elia. Er erlebte Gottes große Macht auf dem Berg Karmel (1. Kön 18), als das Feuer Gottes nach seinem Gebet das Brandopfer für die falschen Götter auffraß. Ein triumphaler Sieg über die Falsch-Propheten. Das Volk Israel glaubte wieder an seinen Gott, den allmächtigen Herrn. Doch innerhalb von 24 Stunden veränderte sich Elias Gefühlslage so stark, dass er aufgrund der Verfolgungen geängstigt und depressiv unter dem Wachholder kauerte und Gott bat, ihn sterben zu lassen: "Es ist genug, so nimm nun Herr, meine Seele." (1. Kön 19, 4).

Sowohl bei Jesus als auch bei Elia, berichtet die Schrift von einem Umschwung. Und eben diesen Wechsel bezeichnet nun auch Jesaja. Gott gibt dem Müden Kraft, dem Kraftlosen verleiht er große Stärke. (Jes. 40, 29)

Aber nun stellt sich doch die alles entscheidende Frage: Wie erlangen wir die Kraft zurück? Jesaja sagt es ganz unmissverständlich: Die aber, die auf den Herrn vertrauen, bekommen neue Kraft.

Fastenzeit – Zeit der Einübung des Vertrauens auf Gott, den Ursprung meiner Kraft.

Auf Gott vertrauen, heißt sich ihm zuwenden, auf ihn warten und ihn suchen im Gebet. Die Fastenzeit ist eine gute Gelegenheit zur Einübung in diese ‚vertrauende Haltung’. Die Bezeichnung Fastenzeit ist dann richtig verstanden, wenn nicht nur das leibliche Fasten gesehen wird, sondern auch die geistliche Umkehr, die erneuernde Hinwendung zu Gott.

Ein Anhänger des Heiligen Franziskus schreibt einmal: ‚Fasten bedeutet, das loszulassen, wovon ich meine, mein Körper bräuchte es unbedingt. Almosengeben bedeutet, das loszulassen, was mein Sicherheitsbedürfnis zu brauchen meint. Und Gebet bedeutet, das loszulassen, was mein Verstand und meine Emotionen zu brauchen meinen.’

Das Fastenzeitenprogramm, das klösterliche Regeln wie etwa die des heiligen Benedikt vorschlagen, gibt dabei dem Beten und Lesen der Bibel den Vorrang vor dem leiblichen Fasten und unterstreicht das freudige Klima christlichen Fastens als intensive Pflege der Beziehung zu Gott. Ich denke, dass diese bewusste Schwerpunktverlagerung auch für jede und jeden von uns eine lohnende Möglichkeit sein kann, durch die die Fastenzeit zu einem reichhaltigen Geschenk werden kann: Nehmen wir uns neu Zeit für Gott, für sein Wort und für das Gebet. Eine Stunde allein mit Gott wirkt Wunder. „Verspreche mir eine Viertelstunde Gebet und ich verspreche dir das ewige Leben.“ (Hildegard von Bingen).

Gelingendes Leben heute und in der Vollendung über den Tag und diese Zeit hinaus.

Wir sollten uns ein Beispiel an Jesus nehmen. Er suchte sehr oft die Stille, um mit Seinem Vater in Beziehung zu treten. Er schöpfte Kraft aus der Gemeinschaft mit ihm.

Besondere Zeiten der Abgeschiedenheit für und mit Gott sind äußerst wichtig für unser Leben. Davon kann es nicht genug geben. Denn hierin liegt die Quelle für neue Kraft. Es geht dabei um unserer innere Haltung vor Gott. Sind wir wirklich stille vor ihm? Man kann stundenlang beten und doch nicht stille sein. Jesaja bezeugt uns: "Durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein." (Jes 30, 15). Wir dürfen zur Ruhe kommen, ohne die Angst, etwas zu versäumen. Wir dürfen wirklichen Sonntag halten! Darin äußert sich Vertrauen auf Gott. Und das übt zugleich Vertrauen in Gott ein.

Einfach stille sein: bei Jesus einkehren! Bei Jesus einkehren in der Feier der Eucharistie. Unsere Kirche, wir selbst, verdanken der Eucharistie auf unserem Weg durch die Zeit Kraft, Leben, Heil.

Jacques Loew, später der Mitbegründer der Arbeitermission in Frankreich in den 50ger Jahren des letzten Jahrhunderts verlor als junger Mann den christlichen Glauben, wurde Jurist und entdeckte mit 24 Jahren den Glauben wieder neu. Die Feier der Eucharistie spielte dabei eine zentrale Rolle. In seinen Christusmeditationen schreibt er: „Die Kirche war für mich ein dicker Brocken, den ich schlucken musste. Da gab es Galilei, die Renaissance-Päpste und noch so viel. Aber all dies fiel letzten Endes nicht ins Gewicht angesichts der Treue der katholischen Kirche zu den Worten: Dies ist mein Leib, dies ist mein Blut.“ Jaques Loew war das kein billiges Wort. Er wurde Dominikaner und Arbeiterpriester in Marseilles. In der Feier der Eucharistie liegt eine Menschen und Welt verwandelnde Kraft, die auf uns übergeht. Von einer Frau, die Sonntag für Sonntag zur Frühmesse geht, hörte ich die Worte: „Da hole ich mir die Kraft!“

Leben aus Gottes Kraft – so das Leitwort des 95. Deutschen Katholikentags in Ulm. Dieses Wort ist einer Formulierung des Apostels Paulus im 2. Brief an die Korinther entnommen. Unsere eigene Schwachheit wird hier zusammengebracht mit der Schwachheit, die auch Jesus in seinem Leben erfahren hat, die aber bei IHM durch Gottes Kraft verwandelt wurde in neues Leben. Paulus schreibt uns:

„Auch wir sind schwach mit ihm, aber wir werden zusammen mit ihm vor euren Augen aus Gottes Kraft leben.“ (2 Kor 13,4)

Auch dafür werden wir beim Katholikentag Zeugnis geben, dass wir vor den Augen der Menschen aus Gottes Kraft leben und das Leben gestalten.

Amen.

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