Stuttgart, Handwerkskammer
Sehr geehrter Herr Reichhold, sehr geehrter Herr Bär, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Gestatten Sie mir hier zu Beginn ein deutliches Wort des Respekts und auch des Dankes für Ihre jeweiligen Leistungen: Denn Sie tragen in unserer modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft ein stetig noch wachsendes Maß an Verantwortung, das oftmals schwer auf den Schultern der Einzelnen lastet, dem er sich aber nicht einfach entziehen kann. Dass Sie diese Verantwortung auf sich nehmen und täglich auszugestalten versuchen, verdient unser aller Respekt und Dankbarkeit!
Wenn ich meine Ausführungen so beginne, habe ich Ihnen unter der Hand zugleich ein Beispiel für gelebte Unternehmenskultur gegeben: Denn eine der Grundlagen sozialen Zusammenlebens und auch einer der Pfeiler gelungener Unternehmensgestaltung ist das Bemühen um eine ausgeprägte Kultur der wechselseitigen Wertschätzung füreinander. Das Bischöfliche Ordinariat hat sich in den letzten Jahren als Arbeitgeber ebenfalls ein Leitbild gegeben, und in dieses Leitbild unserer Diözese ist ein solcher Respekt und eine regelrechte Kultur der Wertschätzung als Grundwert hineingeschrieben worden. Wie dieser Wert dann im Arbeitsalltag nochmals konkret auszugestalten ist, ist eine andere Frage.
Aber jedenfalls gibt solch ein Grundwert nicht nur eine wichtige Orientierungsmarke, sondern darüber hinaus auch ein Erkennungsmerkmal, durch das ein Unternehmen erkennbar und auf das hin es auch zu verpflichten ist.
Die Besinnung auf Werte spielt damit nicht nur für Unternehmensführung und Personalentwicklung eine entscheidende Rolle. Nein, Unternehmen sehen sich heute einer kritischen Medienlandschaft und einer zurecht sensibilisierten Öffentlichkeit gegenüber. Nicht mehr nur die Produkte eines Unternehmens entscheiden über dessen Image, sondern zunehmend auch sein Verhalten nach innen und sein Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit. Unter den wachsamen Augen einer skeptisch gewordenen Öffentlichkeit geraten die Unternehmen unter erheblichen ethischen Legitimierungsdruck.
Werte im Unternehmen: Was habe ich Ihnen als Bischof hierzu zu sagen? Gewiss dürfen Theologie und die Kirche ihre Kompetenzgrenzen nicht überschreiten. Denn es ist kaum zu bestreiten: Zwischen der Botschaft Jesu und der modernen Weltwirtschaft klafft ein ‚garstig breiter Graben’. Denn da steht auf der einen Seite Jesus und seine Botschaft, in der der Mammon zumindest so kritisiert wird, dass er die Zugangsmöglichkeiten zu einem heilen Leben erschwere. Auf der anderen Seite aber steht eine moderne Marktwirtschaft, die notwendigerweise eben zunächst Geldwirtschaft, also auf Investition und Wohlstandsmehrung angelegt ist. Während Wirtschaft und unternehmerisches Handeln also strikt ökonomisch handeln, rational investieren und die Mehrung des Wohlstands als Maxime gelten lassen, wird ein solches zukunftsorientiertes Investitionshandeln bei Jesus von Nazareth religiös abgelehnt: ‚Sorgt euch also nicht um morgen, denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen.’ (Mt 6,34) Fürwahr ein garstig breiter Graben: Einerseits Wettbewerb mit Geld, Wohlstand und Wachstum als Handlungsmaßstäbe, anderseits Botschaft mit religiös-ethischen Maßstäben, die in solcher Welt wie meteorgleiche Fremdkörper wirken. Die Botschaft Jesu ist offensichtlich keine Durchführungsbestimmung zur Bewältigung politischer oder ökonomischer Sachprobleme.
Dennoch wäre es grundverkehrt, die Welt der Wirtschaft und die Welt der Kirche als Sonderwelten in der Gesellschaft so gegeneinander abzugrenzen, als ob sie sich nichts zu sagen hätten oder nichts von einander wissen müssten. Es wäre ein Kurzschluss, wenn man folgerte, dass das Christentum überhaupt nichts Nützliches zum Thema Wirtschaft beitragen könne. Denn vielleicht gibt es tatsächlich keine direkte Brücke über den benannten garstigen Graben, durchaus aber so etwas wie einen produktiven ‚Umweg’. In meinen Augen sind Christentum und Kirche vor allem hier herausgefordert, wenn es um die Rahmenbedingungen geht, unter denen Wirtschaft und Unternehmentum überhaupt handeln sollen und gut handeln können. Biblische Einsichten und moralische Grundintentionen zielen ganz wesentlich auf einen umfassenden Begriff von Gerechtigkeit. Mir scheint durchaus, dass solch ein umfassender Begriff die Grundlage für Überlegungen sein kann, eine regulative Idee von sozialer Gerechtigkeit unter den Bedingungen von Wirtschaft und Gesellschaft in der Moderne zu entwickeln. Eine solch ‚regulative Idee’ (Kant) beschreibt dabei keinen schon erreichten Zustand, sie entfaltet vielmehr so etwas wie einen Leuchtturm, der eine klare Perspektive und Zielgröße zeigt, mit Hilfe der konkretes Handeln auszurichten und zu gestalten ist.
Politik und auch Wirtschaft brauchen tragfähige Grundorientierungen, die ihnen als Kompass in der Beantwortung der Fragen der Zeit dienen. Zwar gehören zum konkreten Vollzug und der Fähigkeit zur Entscheidung auch das Abwägen, der Pragmatismus und die Fähigkeit zum verantwortungsvollen Kompromiss. Dies ist aber kein Gegensatz oder eine Alternative zur unverzichtbaren Grundorientierung. Ein Schiff auf dem Ozean, um ein Bild zu gebrauchen, kann sich auch nicht an einer am Bug angebrachten Lampe orientieren, um einen guten Kurs bestimmen zu können. Es braucht vielmehr einen Kompass und die Ausrichtung an unverrückbaren Polen, die außerhalb des Schiffes liegen und diesem vorgegeben sind. Andernfalls dreht es sich bald im Kreise, verliert den Kurs und irrt hilflos umher. So auch in der Politik: Verliert sie Grundorientierung, wird sie zu beliebigem, richtungslosem Pragmatismus.
Erinnern wir uns nun an die Präambel des Grundgesetzes, so wurde dort –quasi als dieser Kompass - die ‚Verantwortung vor Gott und den Menschen‘ eingetragen. Politisches Handeln wird daher über die Verantwortung gegenüber dem Gemeinwohl verantwortungspflichtig vor Gott, den anderen Menschen und dem eigenen Gewissen. Von hierher ergibt sich eine Spannung, die zwar generell nicht auflösbar ist, die aber jedenfalls fruchtbar über das hinausgeht, was in vielen Einzelsituationen politisch machbar ist. Die Spannung ist deshalb fruchtbar, weil sie die Politik nach ihren Grundorientierungen befragt und sie davor bewahrt, den notwendigen Kompromiss mit politischem Opportunismus zu verwechseln, der sich nur nach augenblicklichen Mehrheiten ausrichtet und bald zur Beliebigkeit verkommt. Die säkulare Gesellschaft ist mehr denn je darauf angewiesen, im Widerstreit und argumentativen Diskurs ihren Weg zu finden. Die Erkenntnis, dass ein ethischer Konsens nicht zu verordnen ist, darf kein Freibrief für ethische Gleichgültigkeit sein. Die Präambel des Grundgesetzes setzt den Spielräumen politischer Kompromissbildung dabei Grenzen: Entscheidungen, in denen unveräußerliche Werte wie der Schutz der Würde und das Lebensrecht jedes Menschen betroffen sind, dürfen ethisch als nicht verhandelbar und kompromissfähig gelten.
Und anders als oft unterstellt birgt das christliche Menschenbild ein erhebliches Kritikpotenzial gegenüber jeder bloßen Realpolitik und erhebt so die Konservierung des Bestehenden keineswegs zur Maxime politischer Orientierung.
Die christliche Botschaft bewahrt den Menschen davor, sich selbst oder eine bestimmte Ideologie für absolut zu erklären. Im Blick auf den unverwechselbaren Wert eines jeden Menschen schützt es diesen vor jeder Form absoluter (auch staatlicher) Übergriffe. Christliche Grundorientierung ist damit die programmatische, anthropologisch begründete Alternative gegenüber Formen von Ideologie.
Waren es im 20. Jahrhundert politische Ideologien, die die Optimierung des Menschen in der Gesellschaft erwirken wollten, so sind es zu Beginn des 21. Jahrhunderts die wissenschaftlich-technischen Möglichkeiten des Zugriffs auf den Menschen, die seine Optimierung betreiben. Waren es im letzten Jahrhundert zentrale Versuche von Planwirtschaft und geplanter Gesellschaft, so versuchen nun Biotechnologien mit dem Habitus des 'Machens' den Menschen und sein Leben zu perfektionieren. Der Vision vom perfekten Einzelmenschen entspricht die Vision von der perfekten Gesellschaft, dem Paradies auf Erden, im Kommunismus. Letztere Vision hat sich durch den Zusammenbruch des kommunistischen Systems in dramatischer Weise als falsch erwiesen.
Jetzt meinen manche, mit Hilfe der Biotechnologien die perfekte Einzelperson kreieren zu können, also den Menschen zu schaffen, der der Erlösung nicht mehr bedürftig ist. Doch das Herstellungsparadigma des ‚perfekten Menschen‘ wird genauso scheitern. Wir müssen aus dem Kollaps der Ideologie der perfekten Gesellschaft lernen, dass wir diesen Fehler nicht auf der individuellen Ebene der Personen und ihres Lebens wiederholen. Denn wenn wir heute Utopien und Heilsversprechen vom Klonen eines genetisch perfekten menschlichen Embryos hören, wird deutlich, dass der Traum vom perfekten Menschen längst nicht zu Ende ist.
Denn hier wird deutlich, dass die Versuchung des Menschen, vom Geschöpf zum Schöpfer zu werden, neue Nahrung erhält. Christliche Grundorientierung kann hier zum heilsamen Realismus werden: Christen glauben nicht an die Utopie eines irdischen Paradieses, das Staat und Gesellschaft produzieren kann. Und gleiches gilt auch für Politik, Wirtschaft und Unternehmen: Kein noch so großer Umsatz, keine noch so hohe Rendite ermöglichen perfektes Leben, keine ökonomische Größe garantiert Lebensglück. Christen glauben nicht an die Utopie des perfekten, endgültig erlösten menschlichen Lebens auf Erden. Das christliche Menschenbild bedeutet also keine Idealisierung oder Überhöhung des Menschen, es pflanzt uns geradezu einen kritischen Stachel gegen den Glauben ein, Politik könne das Paradies auf Erden oder den perfekten, erlösten Menschen schaffen. Das christliche Menschenbild liefert keine rezepthaften Lösungen für konkrete politische Probleme, fungiert aber zumindest als Kriterium und Korrektiv, von dem her nicht akzeptable Handlungsoptionen ausgeschlossen werden können. Insofern zeichnet sich Politik aus christlicher Weltverantwortung gerade durch Nüchternheit, Sachlichkeit und Sachgemäßheit aus.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Als früherer Direktor unserer Diözesanakademie ist mir der Dialog zwischen Kirche und Wirtschaft unter ethischen und ökonomischen Gesichtspunkten gut vertraut. Über Jahre hinweg haben wir ein Dialogprogramm Wirtschaft und christliche Ethik durchgeführt und mit zahlreichen Publikationen dokumentiert. Mir ist in dieser Arbeit und in vielen Begegnungen klar geworden, welche tiefen Spuren die Grundgedanken der katholischen Soziallehre in der Ordnungspolitik hinterlassen haben.
Die Ordnungsstruktur der sozialen Marktwirtschaft, zu der es auch heute keine grundsätzliche Alternative gibt, basiert auf der kirchlichen Soziallehre. Wenn die Kammern als Selbstverwaltungsorgane zum Beispiel Aufgaben im Auftrag des Staates wahrnehmen, dann geschieht dies in Folge des Subsidiaritätsprinzips, und das ist eine der Grundsäulen der kirchlichen Soziallehre.
Handwerk, Industrie und Wirtschaft sind auf gesellschaftliche Bedingungen, auf Ziel- und Wertevorstellungen angewiesen, die sie selbst nicht produzieren können, die sie aber zur eigenen Funktion unbedingt brauchen. Der Verfassungsrechtler Ernst Wolfgang Böckenförde hat immer wieder und in verschiedenen Zusammenhängen unmissverständlich klar gemacht, dass unsere Gesellschaft auf Vorgaben beruht, die sie sich nicht selbst gegeben hat. Er konkretisierte dies gerade mit dem Hinweis, dass die Wirtschaft auf gesellschaftliche Bedingungen, auf Ziel- und Wertevorstellungen angewiesen sei, die sie selbst nicht produzieren kann, die sie aber zur eigenen Funktion braucht.
Der Münchner Wirtschaftsethiker Karl Homann wird in ähnlicher Richtung immer wieder mit dem Satz zitiert, dass der systematische Ort der Ethik in der Wirtschaft in der richtigen Rahmenordnung liegt. Wenn man nun diese Rahmenordnung oder die ‚regulative Idee’ mit biblischer Fokussierung auf die beiden Begriffe Solidarität und Gerechtigkeit zuspitzt, dann können die ethischen Grundlagen von Bibel und Christentum durchaus Bedeutung entfalten. Sowohl zu Zeiten Jesu als auch in Wirtschaft und Unternehmertum heute können Solidarität und Gerechtigkeit als regulative Ideen, als Leuchttürme fungieren, die unsere Überlegungen zur Konkretisierung stimulieren und lenken. Wie die konkreten Wege aussehen, Gerechtigkeit umzusetzen, welche Mittel zweckmäßig sind, das Ziel solidarischer Gerechtigkeit unter den komplexen Bedingungen zu erreichen, bleibt zwar noch offen.
Aber die grundsätzliche Ausrichtung ist deutlich vorgegeben. Ich gebe ein Beispiel: Die modernen Gesellschaften neigen dazu, die Bindungen und Selbstbindungen ihrer Mitglieder zu lockern oder unter dem Postulat der Individualität und Freiheit aufzulösen. Eine Gesellschaft aber löst sich ohne die sozialen Selbstverpflichtungen ihrer Mitglieder rasch auf. Dem Wirtschaftsprozess als Ganzem tut die Solidarität der daran Beteiligten aber gut, auch wenn einzelne mehr als andere den Service z.B. einer Kammer nutzen. Das Solidaritätsprinzip – eine zweite Säule der kirchlichen Soziallehre – ist nicht nach dem individuellen Nutzen zu bilanzieren.
Die Prinzipien der Subsidiarität und Solidarität entspringen jedoch ihrerseits einer dritten Säule, dem Prinzip der Personalität, dem gemäß Freiheit und Würde der Person schlechthin grundlegend sind. Als Person ist der Mensch einzigartig, individuell, zugleich aber konstitutiv auf gesellschaftliches Miteinander angelegt. Wenn Solidarität z. B. einseitig an anonyme, apersonale Sozialsysteme delegiert wird, führt dies auf die Dauer zu einer Entsolidarisierung.
Das Subsidiaritätsprinzip und das Solidaritätsprinzip ergänzen sich. Beide dienen der Entfaltung der menschlichen Person. Das Subsidiaritätsprinzip fordert den Vorrang der kleineren Einheiten vor dem Zugriff der größeren. Solidarität dagegen zielt auf die Unterstützung dieser kleineren Einheiten, wenn sie ihre Aufgaben nicht selbst bewältigen können. Zur Stärkung des Subsidiaritätsprinzips gehört die Förderung von Eigenverantwortung, von Unternehmergeist und Risikobereitschaft.
Es ist selbstverständlich, dass Wirtschaft Gewinne erzielen muss. Doch hat die Wirtschaft auch eine soziale Verantwortung, aus der sie nicht entlassen werden darf. Die Sozialpflichtigkeit des Eigentums ist ebenfalls eine wichtige Markierung der katholischen Soziallehre. Eine der großen Herausforderungen an Staat und Unternehmen ist es, unter den Bedingungen der Internationalisierung von Wirtschaftsprozessen dafür Sorge zu tragen, dass die Wirtschaft nicht einerseits die durch das Gemeinwesen bereit gestellte Infrastruktur unseres Landes nutzt, ohne ihren Beitrag zu leisten, dass diese zukunftsfähig weiterentwickelt werden kann. Gestatten Sie mir daher an dieser Stelle eine Randbemerkung: Ich bin froh und dankbar, dass es der BDI-Präsident Dieter Hundt war, der bei einem Vortrag in unserer Diözese die explodierenden und völlig inakzeptablen Managergehälter mancher Firmen deutlich kritisierte. Dies sei eine Entwicklung, die in unserer Zeit nicht nur verantwortungslos und fahrlässig sei, sondern die vor allem den Ruf der gesamten deutschen Wirtschaft erheblich schädige.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
lange Zeit galten Ethik und Ökonomie, Markt und Moral als unvereinbare Ge-gensätze. Die Auffassung, dass der Markt seinen eigenen Gesetzen folgt und allein die Anwendung rationaler, ökonomischer Prinzipien den Erfolg wirtschaftlicher Unternehmungen sichert, war das weit verbreitete Credo. Die Frage nach der Relevanz ethischer Werte für die Wirtschaft wurde allenfalls in akademischen Zirkeln diskutiert. Allmählich setzt sich hier auch auf breiter Front ein Sinneswandel durch. In einem sich rasant ändernden Markt ist der Erfolg von Unternehmen immer mehr vor allem auch von Innovationskraft, Eigenverantwortung aller Mitarbeiter abhängig.
Engagement, Kreativität und Flexibilität der Mitarbeiter werden zudem eine noch größere Rolle spielen, wenn es darum geht, die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen langfristig zu sichern. Mit den Menschen aber kehrt auch die Frage nach ethischen Werten auf die Bühne wirtschaftlicher Diskurse zurück. Der Stellenwert jedoch, den Eigenverantwortung und Solidarität, Gerechtigkeit und Gemeinsinn, Ehrfurcht und Respekt haben, ist auch und besonders abhängig vom Bild, das die Menschen von sich und ihren Mitmenschen in sich tragen: Ob Menschen sich als autark definieren oder als Selbst aus Begegnung mit dem Du, als geschöpfliche Existenz oder als self made; ob die Menschen von Angst oder Hoffnung bestimmt sind. Auch wonach sich Menschen sehnen, wo sie ihr Glück und ihr Heil suchen, welchen Sinn sie in ihrem Leben finden oder nicht finden, bestimmt maßgeblich das Leben und den Geist einer Gesellschaft, eines Staates und eben auch den Geist eines Unternehmens.
Der Mensch ist ein wertebezogenes Wesen, ethische Reflexion und ethisches Handeln gehören zu den Grundkonstanten menschlicher Existenz, ohne die eine Entfaltung seiner Potentiale nicht möglich ist. Umgekehrt liegen eben darum vorhandene Potentiale der Mitarbeiter oft genug brach, weil die Unternehmens- und Personalführung nicht den notwendigen Raum schaffen, in dem diese sich entwickeln können. Das Bild, das Menschen von sich selbst haben, bestimmt die Bereitschaft, ihr Leben und Handeln in die eigene Hand zu nehmen, sich für andere solidarisch einzusetzen, Anteil zu nehmen am Schicksal der Mitmenschen, Gesellschaft mitzugestalten. Das Bild vom Menschen und die daraus sich ableitenden Werte und Handlungen entscheiden über den Respekt vor der unantastbaren Würde und Unverfügbarkeit eines jeden Mitmenschen.
Gestalterische Leitung in Handwerk und Industrie und, sagen wir es ruhig, unternehmerische Macht setzen aus ethischer Perspektive daher Aufgeschlossenheit und Sensibilität voraus, andere dahingehend zu bewegen, ein menschenwürdigeres und gerechteres Zusammenleben zu ermöglichen.
Macht ist ohne die Kategorie der Verantwortung nicht denkbar. Verantwortung ist erst in der Neuzeit und hier besonders im Zusammenhang mit der Atomforschung und der Biotechnologie zu einem Grundwert geworden, der nicht erst seit dem „Prinzip Verantwortung“ von Hans Jonas aus unserem Verständnis nicht mehr wegzudenken ist. Zwischenzeitlich ist Verantwortung eine unverzichtbare Schlüsselkategorie moderner Gesellschaftsgestaltung geworden. Ethisches Denken kommt ohne sie theologisch wie philosophisch nicht mehr aus. Sie durchzieht mittlerweile alle gesellschaftlichen Teilbereiche, auch die Unternehmens- und Führungsethik.
Eine regelrechte ‚Philosophie der Verantwortung’ wird heute beständig darauf bestehen, dass (unternehmerische) Macht nur unter den ethischen Kategorien der zunehmenden Verwirklichung von Gerechtigkeit und der Würde des Menschen ausgeübt wird. Verantwortung erscheint für mich als unverzichtbare Kategorie unternehmerischen Handelns: Macht und unternehmerische Gestaltungskraft sind ohne die Kategorie der Verantwortung nicht denkbar.
Für Entscheidungsprozesse sind dabei zudem sicher Transparenz und die kommunikative Einbindung der Betroffenen von entscheidender Bedeutung. Da das Tagesgeschäft solche Adhoc-Reflexionsprozesse oftmals nicht zulässt, sind differenzierte Interessenanalysen an anderen Orten notwendig. Sie erleichtern und entlasten zielorientierte Entscheidungsfindungen, ermöglichen eine inhaltlich ausgewogenere Entscheidungsbegründung und schaffen so die Möglichkeit, Mitarbeiter überzeugend einzubinden und mit auf den Weg zu nehmen.
Ein gestärktes Bewusstsein für unternehmerische Verantwortungsbereiche und verschiedene Interessengruppen sowie sich daraus ergebende Kommunikationsbeziehungen tragen darüber hinaus dazu bei, das Profil einer Unternehmung stärker als bisher herauszuarbeiten. Die Fixierung von Führungs- oder Unternehmensleitlinien sind ein Beitrag, das Unternehmen intern und extern zu präsentieren. Die Einbindung vor allem der Mitarbeiter ist bei solchen Findungsvorhaben unerlässlich. Fachliche, soziale und ethische Kompetenzen können in solchen unternehmerischen Suchprozessen zum Ausdruck gebracht werden. Ziel solcher Leitlinien oder -fäden muss es stets bleiben, deren Inhalte auch in schwierigen Zeiten umzusetzen und nicht einfach aufgrund innerer oder äußerer Einwirkungsfaktoren „über Bord“ zu werfen. Denn Verantwortung lässt sich ethisch ohne Langfristigkeit und Nachhaltigkeit nicht denken. Verantwortung wird damit auch in Zukunft und für die Zukunft eine Zentralkategorie bleiben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit der Arbeitswelt wandelt sich die Beziehungskultur einer Gesellschaft. Denken Sie an den Beginn des letzten Jahrhunderts, als die Industrialisierung das Verhältnis von Wohnen und Arbeiten, die Sozialreform der Familien, aber auch die Beziehung zwischen Mann und Frau und den Zusammenhang zwischen Sozialem und Privatem neu bestimmte. Der gegenwärtige Übergang von der Industrie- zur Wissens- und Informationsgesellschaft ist nicht weniger folgenreich, denn auch er hat Konsequenzen für die Kultur zwischenmenschlicher Beziehungen. Organisation und Verteilung der Arbeit verändern sich, damit auch Arbeitszeiten, die Rhythmen von Arbeit und Freizeit und die Beschäftigungsverhältnisse insgesamt.
Dauerhafte Arbeitsverhältnisse werden eher die Ausnahme werden, die Erwerbsbeteiligung der Frauen werden steigen, wodurch aber der ökonomische Druck auf die Familien und die Anforderung an die Mobilität weiter steigen. Diese Veränderungsprozesse, die sich laufend noch beschleunigen, stellen auch die Beziehungen zwischen den Generationen vor immer neue Herausforderungen. Ich denke, es ist uns allen klar, dass diese genannten Veränderungen auf fundamentale Weise die Bereiche Ökonomie und Arbeitswelt einerseits sowie persönlich-familiäre Lebensgestaltung und soziales Gefüge andererseits betreffen und verändern.
Meine Damen und Herren, als Katholische Kirche erinnern wir hier gerne an die wegweisenden Texte des II. Vatikanischen Konzils. Eines der ganz wichtigen Dokumente ist immer noch die Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute „Gaudium et spes“ (Freude und Hoffnung). Kirche hat sich hier der Welt in besonderem Maße zugewandt. U. a. spricht die Konstitution von der Förderung der Würde der Ehe und Familie, des kulturellen Fortschritts, ja, auch über das Wirtschaftsleben und nicht zuletzt vom Leben der politischen Gemeinschaft.
Kirche - ob katholisch oder evangelisch - stellt sich der Welt von heute, um des einzelnen Menschen und der Gesellschaft wegen. Ich darf einen geradezu programmatischen Satz aus der Konstitution zitieren, der für uns alle immer noch und immer wieder neu geltender Maßstab und bedeutsamer Grundwert sein sollte: „Auch im Wirtschaftsleben sind die Würde der menschlichen Person und ihre ungeschmälerte Berufung wie auch das Wohl der gesamten Gesellschaft zu achten und zu fördern, ist doch der Mensch Urheber, Mittelpunkt und Ziel aller Wirtschaft.“ (GS 63) Seit 1965 haben sich die Verhältnisse verändert und mittlerweile gehört es zu den Allgemeinplätzen, dass wir uns auf dem „Weg zur Informations- und Wissensgesellschaft“ befinden.
Da möchte ich gerade auf dem Hintergrund jenes Zitats aus der Konzilskonstitution zurückfragen: Woher kommen wir denn auf diesem Weg? Vergessen wir nicht unsere Wurzeln, um möglichst fortschrittlich zu sein? Heißt denn die Polarisierung von der Glaubens- zur Wissensgesellschaft?
Ich glaube und hoffe das nicht. Der Fortschritt der Wissenschaften und die technische und wirtschaftliche Nutzung des erzeugten Wissens sind ohne Zweifel zu begrüßen. Über die Grenzen der Anwendung hat man immer gestritten und wird dies aus guten Gründen auch zukünftig tun. Die Zuversicht, mit der man leben und auch in Industrie und Unternehmen verantwortlich in unserer Gesellschaft handeln kann, entsteht nicht aus dem Wissen der mit Sicherheit kommenden Schwierigkeiten oder auch persönlichen wie gesellschaftlichen Notlagen. Die Zuversicht stammt vielmehr aus dem Vertrauen, trotz aller Unvollkommenheit in unserem Zusammenleben Momente des Glücks, des Gelingens und der Zufriedenheit erleben zu können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin, und damit komme ich zum Schluss, überzeugt, dass wir als Kirche geradezu zur Einmischung verpflichtet sind: Denn ‚das Reich Gottes ist nicht indifferent gegenüber den Welthandelspreisen.‘ (Synodenbeschluss Unsere Hoffnung) Mit diesem provokativen Satz fasste die Würzburger Synode vor über 30 Jahren die Grundeinsicht zusammen, dass Christentum und Glaube sich mitten in der Welt ereignen: Die Verkündigung des Evangeliums ist folgenreich. Denn wie wir uns öffentlich verhalten, wie wir unseren Glauben leben und verantworten, das ist nicht in unser Belieben gestellt. Wir stehen in der Nachfolge Jesu Christi und unser politisches Engagement ist stets daran zu messen, inwieweit wir Jesu Optionen –Gerechtigkeit und Solidarität- in unserem Handeln und unseren Entscheidungen konkret werden lassen.
Das fragende Unterbrechen gerade auch durch Christen mag stören: Der Weiterentwicklung der Gesellschaft und vor allem dem Wohl der Menschen aber tun diese heilsamen Unterbrechungen gut.
Denn Christen und Kirche leisten diesen Dienst des Fragens aus dem Evangelium heraus und in der Überzeugung, mit dem Evangelium keine Sonderbotschaft für einen kleinen Kreis zu verkünden, sondern die grundlegende Botschaft des Lebens für alle Menschen zur Sprache zu bringen.
Im Stück ‚Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny‘ von Bert Brecht wird ein Mann - ausgerechnet! - wegen Mangel an Geld zum Tod verurteilt. Aber den Tod vor Augen stellt er noch eine letzte Frage: ‚Denkt ihr denn gar nicht an Gott?‘
Meine Damen und Herren, mir scheint in dieser Frage ein weiteres wesentliches Zeichen der Zeit erkannt zu sein, eine Zeit, dies sich bemüht, eine rein immanente Sicht der Welt, von Mensch und Gesellschaft zu etablieren und dabei wesentliche Dimensionen aus dem Blick verliert.
‚Denkt ihr denn gar nicht an Gott?‘: Diese Frage wach zu halten und in den verschiedenen Dimensionen des Lebens zu konkretisieren, scheint mir die wichtigste Aufgabe der Christen heute zu sein. Denn eine fraglose Sicherheit, die sich nur noch am Maßstab des Machens und des Nutzens ausrichtet, verliert die Orientierung und wird zur gnadenlosen Angelegenheit von Macht und Machtmissbrauch, zum erbarmungslosen Kampf zwischen Starken und Schwachen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, nutzen auch Sie die Ihnen gegebenen Möglichkeiten, auch weiterhin einen öffentlichen Diskurs über die tragenden und Orientierung gebenden Werte des Menschen und der Gesellschaft zu führen. Pflegen Sie im besten Sinne eine Kultur der Menschlichkeit und der nachhaltigen Verantwortung.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit!
Es gilt das gesprochene Wort!