Bischof Dr. Gebhard Fürst: Grußwort anlässlich der Einweihung der Stele zum Gedenken an das jüdische Leben in in der Stadt Rottenburg

Rottenburg, Metzelplatz

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Neher,
liebe Bürgerinnen und Bürger der Stadt,
sehr geehrter Herr Landesrabbiner Wurmser,
sehr geehrter Herr Landesbischof July,
meine sehr geehrten Damen und Herren!

Wir sind zusammengekommen, um das Denkmal „jüdisches Leben in Rottenburg“ einzuweihen. Wir wollen uns dankbar der Geschichte des jüdischen Lebens in Rottenburg erinnern. – Wie reich diese Geschichte war und dass sie trotz allem, was geschehen ist, hereinreicht in die Gegenwart, das hat Kulturamtsleiter Karlheinz Geppert in der Rottenburger Post gestern eindrucksvoll dargestellt. Wir wollen anlässlich der Enthüllung/Einweihung der Stele uns auch erinnern, dass diese Geschichte immer wieder Opfer unter den jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger gefordert hat. Insbesondere während der Hitlerdiktatur und des Naziregimes von 1933 – 1945.

Die Stadt Rottenburg und wir alle, die Menschen, die hier leben, erhalten mit dem Mahnmal einen Ort der Erinnerung – einen Ort, auf den wir uns beziehen können, wenn wir trauern und an dem wir auch zeigen, wie sehr uns das Schlimme, das in den Epochen jüdischen Lebens auch geschehen ist, noch heute schmerzt und welch große Schuld damit verbunden ist.

Leider waren Christen allzu oft in die Schuldgeschichte gegenüber dem jüdischen Leben bei uns verwickelt, durch Tun oder Wegschauen. Am 12. März 2000 hat Papst Johannes Paul II. in einem feierlichen Akt auch ein Schuldbekenntnis im Verhältnis zum Volk Israel ausgesprochen. Er hat gebetet:

Gott unserer Väter,
du hast Abraham und seine Nachkommen auserwählt,
deinen Namen zu den Völkern zu tragen:
Wir sind zutiefst betrübt über das Verhalten aller,
die im Laufe der Geschichte
deine Söhne und Töchter leiden ließen.
Wir bitten um Verzeihung und wollen uns dafür einsetzen,
dass echte Brüderlichkeit herrsche
mit dem Volk des Bundes.
Darum bitten wir durch Christus unseren Herrn.

Hier, an dieser Stelle, ist der Ort an dem wir uns die Frage stellen müssen: „Wie konnte es soweit kommen – mitten unter uns?

Bereits mit dem ersten Akt der Gewalt gegen die Menschen, die bei uns, mit uns und unter uns gelebt haben, bereits mit den ersten willkürlichen Schikanen und Repressionen, mit der Enteignung und der Entrechtung, mit der Ausgrenzung und schließlich mit dem Abtransport und der Ermordung zahlloser Unschuldiger, ist jüdisches Leben auch hier in Rottenburg zerbrochen.

Zerbrochen sind in Deutschland und vielen anderen Ländern Europas nicht nur die Leben der Opfer. Verändert hat sich fortan auch das Leben der Zurückgebliebenen. Auch die Täter blieben zurück. Bis heute dürfen wir die Täter nicht von ihrer Schuld für das unendliche Leid so vieler Menschen entlasten.

Was immer wieder geschehen ist hier in der Stadt, die seit Anfang des 19. Jahrhunderts auch Bischofsstadt ist, gehört zu der Schuldgeschichte, die mit dem jüdischen Leben bei uns verbunden ist. Was geschehen ist, ist kein historisches Faktum, dass sich einfach ad acta legen ließe. Das Geschehene, die Wunden, die ehemals geschlagen wurden, lassen sich nicht auslöschen.

Der Genozid an Millionen unschuldigen und wehrlosen jüdischen Bürgern und weiteren zahllosen schutzlosen Menschen berührt die Grenze unseres Verstehens. Können wir, ja dürfen wir den Höhepunkt der Verachtung der Schöpfung Gottes überhaupt in Worte fassen? – „Weint mit den Weinenden“, schreibt der Apostel Paulus im Römerbrief (Röm 12,15). Mitleiden, das ist der tiefste Ausdruck der Solidarität für die unzähligen unschuldigen und oft namenlosen Opfer.

Diese Stele hier am Metzelplatz schafft auf künstlerische Weise einen bleibenden Ort des Gedenkens. Die Stele erinnert an das jüdische Leben in Rottenburg. Die Stele ist gleichzeitig der Versuch sich jener Erinnerung verantwortlich zu stellen, die für die Zukunft und Gegenwart Bedeutung haben muss. Dieses Denkmal soll uns und den nachfolgenden Generationen zugleich zeigen, dass wir heute ohne dieses reiche jüdische Leben bei uns ärmer geworden sind.

In einer Zeit des zunehmenden Antisemitismus, in der jüdisches Leben in Israel und in vielen Teilen der Welt aber auch in Europa und in Deutschland erneut bedroht ist, ist es wichtig, dass wir solche Orte des Erinnerns schaffen.

So wird dieser Ort hier, der Metzelplatz in der Stadt Rottenburg, zum Ort des Gedenkens, zum Ort der Trauer für die Opfer, ein Ort zur Erinnerung an die bösen Taten der Täter und vielleicht auch ein Ort des Gebets.

Ich hoffe aber zugleich, dass die Dankbarkeit gegenüber dem reichen jüdischen Leben seit dem 13. Jahrhundert hier in Rottenburg, durch die Schuldgeschichte nicht ausgelöscht wird. Aus dieser Dankbarkeit erwächst uns die rechte Verantwortung und Kraft, alles zu tun, dem Antisemitismus schon in den kleinsten Regungen zu widerstehen und entschieden zu wehren.

So möchte ich an dieser Stelle all jenen danken, die diesen Ort des Erinnerns ermöglicht und geschaffen haben. Der Metzelplatz reiht sich nun ein in die Gedenkorte für die Opfer des Nationalsozialismus, dem Gedenkort für den Bekennerbischof Joannes Baptista Sproll am Portal des Bischöflichen Palais und dem Ort des Gedenkens an den Württembergischen Staatspräsidenten und Blutzeugen Eugen Bolz.

Diese Orte mahnen uns. Im aktiven Erinnern wissen wir, wohin unser Wegsehen, aber auch unser Hinsehen führen kann. Der tief empfundene Dank für das 700 Jahre und mehr währende jüdische Leben in Rottenburg möge uns dafür die Kraft geben.

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