Bischof Dr. Gebhard Fürst: Grußwort bei der Jubiläumsveranstaltung ‚Medizinische Ethik im Wandel’ 2005

Stuttgart

Sehr geehrter Herr Dr. Kustermann, sehr geehrter Herr Prof. Dr. Schockenhoff,
meine sehr geehrten Damen und Herren!

Es ist unbestritten: Die Erfolge des medizinischen Fortschritts sind riesig. Sie haben inzwischen Heilung oder zumindest Linderung möglich gemacht, wo früher der ärztlichen Kunst enge Grenzen gesetzt waren. Fast in allen Bereichen gibt es Fortschritte und wir sind dankbar, dass Lebenserwartung und Lebensqualität für viele dadurch gesteigert werden können.

Zuweilen begegnet mir im Zusammenhang der Diskussionen um die Biotechnologien der Vorwurf, die Kirchen seien forschungsfeindlich, sie würden sich dem Fortschritt verschließen und damit sich selbst aus den gesellschaftlichen Diskursen ausklinken. Ich nutze die Gelegenheit des heutigen Symposions gern, um meine Haltung hierzu nochmals klar zu formulieren: Die Kirche ist nicht forschungsfeindlich, sie ist vielmehr lebensfreundlich. Die Kirchen begrüßen medizinischen Fortschritt, wo immer er dem Leben des Menschen dient. Leben soll sich nach Gottes Willen in der Vielfalt seiner Möglichkeiten entfalten dürfen, es soll wachsen und reifen können. Die Heilungsberufe genießen im Kontext christlicher Verkündigung hohes Ansehen. Die Kirchen haben sich deshalb in ihrer Geschichte immer für Heilung engagiert. Das Krankenhauswesen, die sozial-caritative Dimension unserer Kultur ist ohne die kirchliche Tradition unvorstellbar.

Aber so erfreulich medizinische Fortschritte sind, so deutlich müssen auch die damit verbundenen Gefahren gesehen und benannt werden. Die Diskussion über die Fortschritte der Medizin legen in der Öffentlichkeit gegenwärtig oft den Eindruck nahe, als sei ein Leben ohne Krankheit möglich, ja, als gäbe es geradezu einen Rechtsanspruch auf Heilung. Die Befreiung von Krankheit und physischem Leid darf aber bei aller positiven Bedeutung, die ihr zukommt, nicht verabsolutiert werden. Gesundheit und Wohlbefinden sind auch mit einer noch so hochentwickelten Medizintechnik nicht einfach herstellbare Güter. Sie sind und bleiben im letzten ein Geschenk. Das Leben bleibt zuerst und zuletzt eine Gabe, ein Geschenk aus der Hand Gottes, und erst dann eine Aufgabe, die unser Handeln nach ethischen Vorgaben und Maßstäben verlangt. Eine letzte Verfügung über uns selbst haben wir weder am Anfang noch am Ende unseres Lebens. Dies zu respektieren bedeutet überhaupt keinen Verzicht auf medizinisch-therapeutisches Handeln, sondern lässt dies erst wirklich menschlich und hilfreich sein.

Die Vorstellung, Krankheit an sich ließe sich allein medizinisch-technisch in den Griff bekommen, ist und bleibt deshalb eine gefährliche Illusion. Sie führt die Medizin in einen Machbarkeitswahn mit Folgen, die niemand wollen kann. Angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen in Gentechnik, Biotechnologie und Medizin zeichnen sich tiefgreifende kulturelle und zivilisatorische Veränderungen ab. Nie wussten wir so viel, nie konnten wir so viel wie heute. Neue Erkenntnisse fordern aber die Prüfung, ob deren Nutzung ethisch verantwortet werden kann. Aber wollen wir alles wissen, was wir wissen können? Und sollen oder dürfen wir alles tun, was wir können bzw. tun könnten? Dies sind Fragen in einem weitgehenden Maße, auf die die Ethik als wissenschaftliche Disziplin, die moralische Maßstäbe unseren Handelns beleuchtet, Antworten und Kriterien für Antworten geben muss. Fürwahr befindet sich die medizinische Ethik heute also in einem tiefgreifenden Wandel, wie der Titel des heutigen Symposions zurecht formuliert. Denn das menschliche Leben steht durch medizinische Forschung und technologische Möglichkeiten von seinem frühesten Beginn bis zu seinem Ende in jeder Phase grundsätzlich zur Debatte.

Die Kirche, meine sehr verehrten Damen und Herren, muss ihre Überzeugungen über den Menschen und seine Würde, über die rechte soziale, ökonomische und staatliche Ordnung im gesellschaftlichen Diskurs geltend machen. Sie versteht sich dabei als Anwalt eines wirklich menschenwürdigen Lebens und als leidenschaftlicher Streiter für die Unverfügbarkeit des Menschen.
Hier aber könnte eine sich wandelnde Ethik fragen, ob wir uns damit nicht in einem binnentheologischen Gespräch bewegen, bei dem wir bestenfalls innerhalb der Kirchenmauern oder innerhalb kirchlicher Akademien Mehrheiten für unsere Überzeugung finden können? Keineswegs, denn auch ´nichttheologische´ Begründungen führen zu der Erkenntnis, dass die Menschenwürde dem Menschen allein schon aufgrund seines Menschseins zukommt und jeder rechtlichen Regelung vorgängig ist. Es ist mir wichtig zu betonen, dass wir hier keine binnentheologische oder binnenkirchliche Sondermoral vertreten. Vielmehr bildet das Prinzip der Menschenwürde, in dem die Unantastbarkeit auch der körperlichen Existenz des Menschen verankert ist, nicht nur die Grundlage unserer demokratischen Verfassung, sondern eben auch einen breiten Konsens der Verständigung innerhalb der Gesellschaft.

Die katholische Kirche befürwortet entschieden Gentechnik und Biomedizin, wo sie die Würde des Menschen achtet und fördert; sie kann aber auch nicht umhin, auf Gefahren und Folgen hinzuweisen, die sich hieraus ergeben. Denn die gegenwärtige Diskussion leidet unter vielen ungedeckten Glückversprechen und Heilsphantasien ebenso wie unter der völligen Unklarheit der kurz- und längerfristigen Folgen mancher neuen Techniken. Ebenso wie z.B. "therapeutisches Klonen" nichts mit Therapie, sondern mit der Züchtung von humanem Biomaterial zu tun hat, wird die Präimplantationsdiagnostik viel weniger mit der Hilfe für kinderlose Paare als vielmehr mit der Vermeidung und Selektion von Kranken und Behinderten zu tun haben. Es ist ein Widerspruch in sich, wenn eine Forschung und Technik, die angeblich dem Menschen dienen will, dafür menschliches Leben ´verbraucht´.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Ethik lässt sich nicht einfach an wissenschaftliche Ethikzentren, in nationale Ethikräte oder Ethikkomitees in Krankenhäuser oder sonst wohin delegieren. Nein, wir alle sind aufgerufen: Jeder Bürger und jede Bürgerin, (insbesondere) die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, alle die für unser Gemeinwesen und für die Kultur, insbesondere die politische Kultur und die Rechtskultur Europas Verantwortung tragen, dass wir uns zu diesen entscheidenden bioethischen Fragen ein verantwortliches Urteil bilden. Alle, die in Kirche und Gesellschaft Sorge tragen für eine bessere Erfassung der angesprochenen Probleme, sind dazu aufgerufen, den Fortschritt der Medizin mit Verantwortung, Sensibilität und kritisch-konstruktivem Engagement zu begleiten.
Bei allem Wandel in der medizinischen Ethik bleibt doch ein Grundsatz gültig: In der ethischen Verantwortung kann man sich nicht vertreten lassen. Es geht darum, dass wir alle wichtigen Sachinformationen, alle ethischen und moralischen Argumente sammeln, um so durch wissenschaftlich fundierte Aufklärung autonom-sachgemäße, aber eben auch verantwortliche Urteilsbildung zu ermöglichen.

Das Potenzial der Medizin und Gentechnik verführt die einen zu einer Machbarkeits-Euphorie, die anderen zu einer völligen Ablehnung, beides sind falsche Extreme: Es gilt, in dieser Zeit in hohem Masse Sensibilität und moralische Kompetenz fortzuentwickeln. Die Zeitschrift für medizinische Ethik leistet hier wertvolle Dienste.

Die Angebote und Verführungen in Technik, Medizin und Fortschritt sind heute ungleich größer und auch qualitativ anders geworden. Daher befindet sich die medizinische Ethik im Wandel.
Ich möchte abschließend mit einem Begriff des jüdischen Philosophen Hans Jonas nachdrücklich dazu auffordern, durch immer wieder konkrete Gestaltung des Prinzips Verantwortung eine regelrechte Kultur des Lebens zu entwickeln. Dabei gilt es insbesondere, die Würde des Menschen, die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit, ebenso wie die Selbstbestimmungsrechte und die Persönlichkeitsrechte zu achten, die dem Menschen als geschöpfliche Existenz zukommen.
Ich gratuliere dem Schwabenverlag mit Herrn Verleger Peters an der Spitze sowie Herausgebern und Redaktion der ‚Zeitschrift für medizinische Ethik’ zum 50-jährigen Bestehen und wünsche Ihnen eine gute Zukunft. Der Fortschritt in Medizin und Forschung wird auch weiterhin dringend auf eine solch wache Beobachterin, kritische Begleiterin und sensible Wächterin angewiesen sein!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

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