Stuttgart
(Vorgetragen durch Prälat Werner Redies)
Sehr geehrte Damen und Herren,
zur Eröffnung der diesjährigen Woche der Brüderlichkeit entbiete ich Ihnen herzliche Grüße.
„1949 – 2009 So viel Aufbruch war nie“ – dies steht als Leitgedanke über dieser Woche. Es ist eine Jubiläumswoche. Sie markiert ein halbes Jahrhundert der Begegnung, der Annäherung, des gegenseitigen Verstehens zwischen Christen und Juden. Dieser Weg wurde von Persönlichkeiten auf beiden Seiten – auf jüdischer und auf christlicher Seite – beschritten, denen wir für ihre Weitsicht zu danken haben. Die Schritte zu einander hin setzten bei uns Christen die Bereitschaft voraus, um Vergebung zu bitten: Vergebung dafür, dass der Antijudaismus auch in den Kirchen seinen Anteil am Antisemitismus und an dessen furchtbarer Eskalation im Nationalsozialismus hatte. Diese Schritte bedeuten aber auch Bereitschaft auf jüdischer Seite, die ausgestreckte Hand anzunehmen und gemeinsam nach einem neuen Weg des Miteinander zu suchen. Dieser Weg war und ist nicht immer leicht – zu viel Belastendes aus der Geschichte säumt seinen Weg. Aber wir sind ihn miteinander gegangen im Vertrauen auf Gott, dessen befreiende und rettende Verheißung auch auf Wüstenwegen und in tiefer Dunkelheit zum gemeinsamen Fundament unseres Glaubens gehört.
„1949 – 2009 So viel Aufbruch war nie“: Ich bin froh, dass über diesen Tagen ein Wort der Ermutigung und der Zuversicht steht. Gerade in diesen Wochen, in denen das christlich-jüdische Gespräch einigen Irritationen durch die Vorgänge um die Pius-Bruderschaft ausgesetzt ist, ist es hilfreich und bestärkend, dass wir uns des Erreichten bewusst sind und auf die Festigkeit dessen vertrauen, was uns verbindet. Ich darf die diesjährige Eröffnung der Woche der Brüderlichkeit zum Anlass nehmen, noch einmal zu betonen, was ich bereits gegenüber Herrn Landesrabbiner Netanel Wurmser sowie gegenüber den Verantwortlichen der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit zum Ausdruck gebracht habe: meine tiefe Verbundenheit und Solidarität mit den Juden, unseren „älteren Geschwistern“, wie es Papst Johannes Paul II. formuliert und Papst Benedikt XVI. bekräftigt hat. Und ich spreche diese Verbundenheit im Namen der gesamten Diözese Rottenburg-Stuttgart und ihrer Gläubigen aus.
Die Auseinandersetzungen der letzten Wochen haben erneut deutlich gemacht, dass antisemitische Ressentiments nach wie vor in unserer und in anderen Gesellschaften latent oder offen vorhanden sind und dass wir auch an den Rändern des kirchlichen Umfelds nicht dagegen gefeit sind. Die Aufgabe ist und bleibt aktuell, diesem Ungeist gegenüber wachsam zu sein, ihn beim Namen zu nennen und ihm in aller Klarheit und Entschiedenheit entgegen zu treten. Sie dürfen mich und die Christen der Diözese Rottenburg-Stuttgart in diesem Anliegen auf Ihrer Seite wissen, und ich danke umgekehrt Ihnen allen von Herzen für Ihr Bemühen um den christlich-jüdischen Dialog und für Ihren Widerstand gegen jede Form von Antisemitismus.
Für die Grundlage des Gesprächs zwischen der katholischen Kirche und den Juden hat das Zweite Vatikanische Konzil mit seiner Erklärung „Nostra Aetate“ ein neues Kapitel aufgeschlagen, ein befreiendes Wort nach den unseligen Jahrhunderten der Entfremdung, ja der Verfolgung. In eindrucksvollen Worten gedenkt das Konzil „des Bandes, wodurch das Volk des Neuen Bundes mit dem Stamme Abrahams geistlich verbunden ist“, und „des Erbes, das sie [die Kirche] mit den Juden gemeinsam hat“; und es beklagt und verwirft ausdrücklich alle „Manifestationen des Antisemitismus“ (4). Diese Aussagen des Konzils haben auch die Worte und Handlungen der nachfolgenden Päpste bis hin zu Papst Benedikt XVI. bestimmt und wurden und werden durch diese weitergeführt. Lassen Sie uns gemeinsam darauf bauen, dass diese Verbundenheit nicht zu erschüttern ist.
Ich danke der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Stuttgart und überall in Deutschland von Herzen für ihr unermüdliches Eintreten für ein versöhntes und zukunftsweisendes Miteinander von Christen und Juden. Und ich wünsche der diesjährigen „Woche der Brüderlichkeit“, dass sie die Gedanken, die Herzen und das Verhalten sehr vieler Menschen bewegt. Und dass wir uns künftig über immer mehr Aufbruch in der Begegnung von Christen und Juden freuen können.