Rottenburg, 29. März 2010
Liebe Schwestern und Brüder!
Mit der Feier des Palmsonntags eröffnen wir die Karwoche. Der heutige Palmsonntag, die Chrisammesse, die ich morgen hier im Dom mit ca. 150 Priestern feiern werde, der Gründonnerstag, der Karfreitag und das kommende Osterfest sind in diesem Jahr überschattet, ja verdunkelt von den vielen in den letzten Wochen bekannt gewordenen Fällen sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen. Wir haben in diesen Kar- und Oster-Tagen besonders die vielen Opfer vor Augen, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten missbraucht worden sind. Viele sind Opfer geworden auch durch Täter aus unserer Ortskirche Rottenburg-Stuttgart. Mich erfüllt das mit Erschrecken, mit Trauer. Ich bin erfüllt von Scham über das, was geschehen ist.
Wenn wir jetzt die Leidensgeschichte unseres Herrn Jesus Christus hören, so soll uns erneut bewusst werden, dass Jesus um der in Not geratenen Menschen willen gelitten hat. Jesus von Nazareth setzte sich Zeit seines Lebens ein für die Schwachen, die Benachteiligten, die Verlorenen aller Art, für die kranken und verletzten Menschen, für die Opfer böser Taten. Die Selbstgerechten hat das oft genug mit Empörung und Hass gegen ihn erfüllt: Hass gegen ihn, der ihm schließlich Leiden und Tod gebracht hat. Jesus hat sich für die Menschen hingegeben. Er hat sich für sie geopfert: zu ihrem Heil, für ihr Leben. So hat er den Verletzten und Verlorenen ihr Leben neu geschenkt. Diese seine Haltung hat Jesus ins Leiden gebracht und zum Sterben geführt. Jesus stand und steht auf der Seite der Opfer. Weil er sich an die Seite der Opfer gestellt hat, ist er selbst zum Opfer geworden durch den Schmerz, der ihm zugefügt wurde, durch das Kreuz das ihm aufgeladen wurde und an dem er schließlich den Tod gefunden hat.
Die Auferstehung Jesu Christi, die wir am Osterfest feiern werden, zeigt uns: in Jesu selbstloser Solidarität mit den Gezeichneten und Verachteten dieser Welt hat Gott selbst gehandelt. So wie Jesus für die Menschen auftritt und eintritt, so handelt Gott an Menschen.
In der Leidensgeschichte wird uns nun Jesus als das lebendige Bild Gottes für uns Menschen vor Augen gestellt. "Das Bild des leidenden, geopferten Menschensohnes hält in uns die Erinnerung wach an die Leidenden, an die Armen, die Kranken, die Erinnerung an die zum Opfer gewordenen. Sein uns vorgestelltes Bild erinnert uns zugleich an die Pflichten der Gesunden und Mächtigen, den Leidenden, den Armen, den Kranken, den Opfern gegenüber." (vgl. H. Maier, Welt ohne Christentum S. 19) In den Spuren Jesu stellen wir uns an die Seite der Opfer!
+ Bischof Gebhard Fürst