Bischof Dr. Gebhard Fürst: Hirtenbrief zur österlichen Bußzeit 2004

Liebe Schwestern und Brüder!

Herzlich grüße ich Sie am Beginn der österlichen Bußzeit! In der Zeit vor Ostern sind wir eingeladen, uns auf das größte Geheimnis unseres Glaubens und Lebens einzustimmen: auf das Hochfest der Auferstehung Jesu Christi, auf die erlösende Botschaft vom neuen Leben aus Gott.

Aus welchen Quellen leben wir?

Viele von uns nutzen diese vierzig Tage der Umkehr und Buße, um ihr Leben anzuschauen: Wie lebe ich und was ist mir wichtig? Kann ich - was meine Lebensweise angeht - mit mir zufrieden sein? Oder lässt mich mein Umgang mit den Bedürfnissen des Lebens unbefriedigt zurück? Manch einer verbindet diese Zeit auch mit Fragen der äußeren Lebensgestaltung, etwa mit der Frage nach dem rechten Konsum von Fernsehen, nach dem Genuss von Alkohol und Nikotin oder insgesamt mit dem Bemühen um eine bewusstere Ernährung. Nicht zufällig stehen Fastenkuren hoch im Kurs. Und den Verzicht auf ein Zuviel nennen wir dann auch ‚Heilfasten’. Körper und Geist, Leib und Seele tut es nämlich gut, sich da und dort auch einzuschränken. Neben einem Zugewinn an Gesundheit und Wohlergehen wird so unser Geist auch frei für die Selbstbesinnung, aus welchen Quellen wir wirklich leben.

In der vorösterlichen Fastenzeit ist es gut, uns zu fragen, wie wir unser Leben gestalten und worauf wir Wert legen. Eine solche Besinnung führt dazu, sich selbst einen Spiegel vorzuhalten und das eigene Leben zu überprüfen: Woraus lebe ich, worauf baue ich mein Leben und mein Zusammenleben? Wo sind schließlich meine Kraftquellen? Wie verlebendige ich meine Beziehung zu Gott, der ein Freund meines Leben und des Lebens insgesamt ist? Und wie gestalte ich mein Leben und Zusammenleben mit anderen aus dieser lebendigen Gottesbeziehung?

Einladung zum Katholikentag nach Ulm

Solche und ähnliche Fragen werden uns aber auch auf dem großen Ereignis beschäftigen, das bald in unserer Diözese stattfinden wird. Ich meine den 95. Deutschen Katholikentag in Ulm im Juni dieses Jahres. Das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken veranstaltet diesen Katholikentag zusammen mit unserer Diözese für alle Katholiken in Deutschland und für alle, die bei uns zu Gast sein wollen. Sie alle lade ich herzlich ein, nach Ulm zu kommen! Sie werden ereignisreiche und Mut machende Tage in Ulm erleben! Denn die eben genannten Fragen nach den Quellen unseres Lebens und die daraus erwachsende Gestaltung des Lebens und Zusammenlebens von Menschen in unserer heutigen Gesellschaft werden auch den Katholikentag in der Wissenschaftsstadt Ulm prägen. Er steht deshalb unter dem Leitwort ‚Leben aus Gottes Kraft’. Meine anschließenden Worte zum Motto des Katholikentages sind deshalb zugleich eine Einführung in die erlösende Botschaft vom neuen Leben aus Gott, auf die wir uns in der österlichen Bußzeit vorbereiten.

Zusammen mit Christus aus Gottes Kraft leben

Gegen Ende seines zweiten Briefes an die Gemeinde in Korinth stellt Paulus den Christen, die sich inmitten ihrer Welt als schwach und ohnmächtig erfahren, Jesus Christus als Beispiel vor Augen. Wie im Blick auf Ostern spricht er von Christus, der - ohnmächtig in seiner Liebe - gekreuzigt, aber von Gott ins neue Leben gerufen wurde. In fast beschwörendem Ton ruft er dann seinen Mitchristen zu: “Auch wir sind schwach mit ihm, aber wir werden zusammen mit ihm vor euren Augen aus Gottes Kraft leben” (2 Kor 13,4). Danach mahnt Paulus die Gemeinde, sich zu prüfen, sich zu erneuern und dabei das Wohl aller im Blick zu haben. - ‚Wir werden zusammen mit ihm aus Gottes Kraft leben!’ Um diese verheißungsvollen Worte geht es! Aus ihnen ist das Leitwort des Katholikentages genommen. Darüber möchte ich im zweiten Teil dieses Briefes an Sie nachdenken.

Wir brauchen Kraft zum Leben

Manchmal, liebe Schwestern und Brüder, gehen uns auch schwierige Dinge leicht von der Hand. Zuweilen aber plagt uns etwas über alle Massen, raubt den Schlaf und lässt uns matt und kraftlos zurück. Wir fühlen uns wie ausgebrannt. Wir brauchen aber Kraft zum Leben! Und doch verfügen wir über diese Lebens-Kraft nicht einfach wie über ein Bankkonto. Es gehört zum Menschsein dazu, dass wir immer wieder an Grenzen unseres eigenen Vermögens stoßen. Jede und jeder kennt das, wenn zum Beispiel menschliche Beziehungen, die uns tragen, erlahmen und zerbrechen und wir ohnmächtig dastehen: das kostet Lebenskraft. Oder wenn ganz unvermutet eine schwere Krankheit oder seelische Krise hereinbricht, die schwächt, gar niederwirft und alle Kraft raubt. Und dass es einem Menschen unmöglich ist, sich selbst in letzter Hinsicht bei Kräften zu halten, erfahren wir schließlich beim Tod eines Menschen. Menschen sind zerbrechlich und werden gebrechlich, an Leibes- oder Geisteskraft oder an beidem zusammen. Solche Erfahrungen der Kraftlosigkeit bringen uns nahe, dass wir begrenzt sind: schwache Menschen, die doch ohne Kraft nicht leben können. Die Bibel weiß um diese menschliche Grundsituation, wenn sie uns sagt: „Der Mensch ist nicht stark aus eigener Kraft!“ (1 Sam 2,9) Die Heilige Schrift weist damit zugleich auf eine Kraft hin, die nicht aus uns stammt, die aber gegeben wird, wenn wir uns ihr öffnen. Erinnern wir uns an die zuversichtliche Zusage des Paulus: ‚Wir werden zusammen mit Christus aus Gottes Kraft leben!’

Aus Gottes Kraft

Das Wort „Kraft“ übersetzt das im Griechischen bei Paulus stehende Wort “dýnamis”. Sie kennen es alle aus der Alltagssprache, es taucht in Begriffen wie Dynamo, Dynamit oder Dynamik auf. Paulus fragt also mit seiner Wendung „Leben aus Kraft von Gott“ danach, welche Dynamik sich entwickelt, wenn wir uns auf Gottes Kraft einlassen. Seine Kraft ist eine Größe, die ansetzt, um etwas zu verändern und in Bewegung zu bringen. Kraft wird uns nicht geschenkt, damit wir so bleiben, wie wir sind. Sie dient nicht dem Um-sich-selbst-Kreisen, sondern sie nimmt uns in eine Dynamik hinein, miteinander auf ein gemeinsames Ziel zuzugehen. Kraft ist immer Mittel zur Verwandlung.

Die Kraft Gottes bügelt unsere menschliche Schwäche nicht einfach nieder, sondern nimmt sie ernst und auf. Die Kraft, die von Gott ausgeht, geht nicht triumphierend über menschliches Leid und Unvermögen hinweg. In der Schwachheit des gekreuzigten Christus ist Leid und Ohnmacht vielmehr ganz in die Verwandlung zu neuem Leben hineingenommen. Deshalb ist sich Paulus gewiss: ‚Wir werden zusammen mit ihm – Christus - aus Gottes Kraft leben.’

Wir werden leben!

Liebe Schwestern und Brüder: “Leben” bezeichnet wie kaum ein anderes Wort das, wonach Menschen sich am meisten sehnen. Und dieses Leben, der Mensch von seinem Anfang bis zu seinem Ende, aber auch das Leben insgesamt und die Erfüllung, nach der wir dürsten, kommen nach Paulus aus Gottes Kraft. Das Leben ist durch seine schöpferische Kraft entstanden, wird durch sie erhalten und verwandelt.

Das widerspricht dem Geist unserer Zeit, der die Philosophie von der Machbarkeit allen Lebens verbreitet: „Lebe aus deiner eigenen Kraft!” So könnte man die Lebensmaxime einer Gesellschaft formulieren, die ohne Gott sich selbst erschaffen will. Dass wir Menschen begrenzt sind und dass wir nicht alles immer in der Hand haben, damit umzugehen ist nicht einfach. Leben wir doch in einer von Technik und Technologie geprägten Zivilisation, die möglichst alles im Griff haben muss, um Unfälle und Chaos zu vermeiden. Um die Grenzen des Menschen zu wissen und persönliche Begrenzungen zu spüren, das kann verunsichern. Das kann Phantasien wecken, diese Begrenztheiten zu beherrschen und eine Welt zu erträumen, in der das Negative ausgeschaltet werden kann; eine Welt, in der alles machbar ist, auch das eigene Leben.

Paulus geht gegen solche Phantasien an: Das Kreuz stellt er uns vor Augen als das Zeichen, das die Selbsterlösung durchkreuzt und die Erlösung durch Gottes Kraft verkündet. Es ist das Zeichen, das die tägliche Jagd nach selbstgemachtem Heil stoppt, eine Umorientierung provoziert und eine neue, ganz andere Kraft ins Spiel bringt. Das biblische Bild vom Menschen entlarvt die Machbarkeitsphantasien als unrealistisch, weil sie die Möglichkeiten des Menschen übersteigen. Kein Mensch ist stark, gesund, ewig lebendig ganz aus eigener Kraft. Da lässt sich eben nichts machen.

Zum Handeln befreit aus der erlösenden Botschaft vom neuen Leben aus Gott

Überraschenderweise macht gerade die Annahme der eigenen Grenzen und das Wissen um das Hängen an Gott uns Menschen frei. Zum eigenen Glück gehört – Gott sei Dank! - der andere Mensch, den ich nicht in der Hand haben kann. Glück aus menschlicher Begegnung lässt sich eben so wenig herstellen wie ein heiles Leben. Es bleibt ein Geschenk, wie das Leben eine Gabe Gottes bleibt. Wo Menschen ihr Leben so verstehen, werden sie befreit vom unbarmherzigen Leistungsdruck und frei zum Handeln. Das Wort vom ‚Leben aus Gottes Kraft’ möchte uns bewahren vor menschlicher Überheblichkeit, vor einer Isolation des Einzelnen von Gott ebenso wie vor der Isolation von der Gemeinschaft.

Wer annehmen kann, dass es Dimensionen in seinem Leben gibt, die nicht in der eigenen Verfügungsmacht stehen, dass Krankheit und Schwäche bei allen Bemühungen ums Gesundsein, eben doch zum menschlichen Leben gehören; wer annehmen kann, dass schließlich nicht ich die Grenze setzen muss, sondern ein Anderer sie setzt, der wird erfahren, dass die erlösende Botschaft vom neuen Leben aus Gott ungeahnte Kräfte freisetzt, sein eigenes Leben einzusetzen für die Menschen und ihnen zum Heil.

Getragen und erfüllt vom Gott des Lebens

Nun werden manche von ihnen fragen: Ist all das nicht weltfremd? Erfahren Menschen heute Gottes kraftvolles Wirken, sodass sie selbst ihrerseits aus Gottes Kraft leben und das Zusammenleben gestalten können? Ist der Gottesglaube unter Menschen von heute, insbesondere unter uns Christen, noch so lebendig?

Liebe Schwestern und Brüder, nutzen wir die kommende österliche Bußzeit als gute Gelegenheit, uns einzulassen auf die Botschaft des Osterfestes, die eine Botschaft vom neuen Leben ist.

Als Christen, die an die Auferstehung zum neuen Leben glauben, sind wir schon jetzt eingeladen zu diesem Leben aus Gottes Kraft, zu einem Leben, bei dem

wir selbst und auch andere Menschen spüren können, dass es getragen und erfüllt ist von Gott.

Der Katholikentag 2004 wird aus der Kraft dieses Glaubens die im eigenen Leben und im Zusammenleben der Gesellschaft anstehenden Fragen und Probleme in Auseinandersetzung mit den Strömungen und Positionen unserer Zeit durchleuchten und bearbeiten. Seien Sie alle nochmals herzlich nach Ulm eingeladen! Nutzen Sie die Chance, an diesem Fest des Glaubens und der Glaubensfreude teilzunehmen, für das unsere Diözese Gastgeberin ist. Ich bin sicher, dass wir in der gastfreundlichen, ökumenisch einladenden Stadt Ulm markante Zeichen für das Leben aus Gottes Kraft in unserer Zeit setzen werden!

Ich grüße Sie von Herzen und wünsche Ihnen allen Gottes reichen Segen!

Ihr Bischof

Dr. Gebhard Fürst

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