Bischof Dr. Gebhard Fürst: Hirtenbrief zur österlichen Bußzeit 2010

Es folgt der Hirtenbrief im Wortlaut:

Bischof Dr. Gebhard Fürst: Hirtenbrief an die Gemeinden der Diözese Rottenburg-Stuttgart zur österlichen Bußzeit 2010

„Betet ohne Unterlass!“ (1 Thess 5,17)
Gottesbeziehung leben im Gebet

Liebe Schwestern und Brüder!

Vielen Menschen in unserer Diözese Rottenburg-Stuttgart bin ich in den letzten zehn Jahren begegnet und konnte so viele von Ihnen in Ihrem Leben und Glauben kennenlernen. Seither verstehe ich besser, warum der Heilige Apostel Paulus seine Briefe an die Gemeinden oft mit den Worten eröffnet: „Ich danke Gott jedes Mal, wenn ich an euch denke.“ (Phil 1,3)

Liebe Mitchristen, ich danke Gott jedes Mal, wenn ich an Sie denke, denn Sie alle sind ein Schatz für unsere Kirche. Ich bin froh darüber, dass ich an so vielen Orten unserer Diözese einen lebendigen Glauben erleben darf. Darin wird spürbar, wie wirkungsvoll der Gottesglaube das Leben der Menschen prägen kann. Vieles ereignet sich dabei sicherlich im Verborgenen. Und ist doch so wirksam!

Gebet als lebendige Beziehung zu Gott

Damit unser Glaube auch in Zukunft lebendig bleiben kann, brauchen wir immer wieder geistliche Nahrung. Unverzichtbar ist für den lebendigen Glauben die Beziehung zu Gott, die wir von uns her pflegen. In dieser Beziehung von uns her antworten wir Gott, der sich in seiner Liebe an uns Menschen wendet, wie es das Zweite Vatikanische Konzil schreibt: „Durch diese Offenbarung redet der unsichtbare Gott aus dem Übermaß seiner Liebe die Menschen als Freunde an und verkehrt mit ihnen, um sie zur Gemeinschaft mit Sich einzuladen und in sie aufzunehmen.“ (Dei verbum 2)

Liebe Schwestern und Brüder! Wer sich von Gott anreden lässt und ihm antwortet, der betet. Das Gebet ist Ausdruck der lebendigen Beziehung zu Gott und vertieft sie zugleich. Wer betet, dessen Glaube lebt und kann sich entfalten.

Mit meinem Brief zur österlichen Bußzeit möchte ich Sie einladen, zu beten und so Ihre Gottesbeziehung zu leben, auch gemeinsam zu beten in der Familie, mit den Kindern und in der Gemeinschaft der Gläubigen. Von den ersten Christen heißt es: „Sie alle verharrten einmütig im Gebet.“ Und: „Sie hielten an der Lehre der Apostel fest und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten.“ (Apg 1,14; 2,42) Aus lebendigen Zellen, in denen gebetet wurde, hat sich die Kirche Jesu Christi entfaltet, in der wir heute leben.

Der betende Mensch

Beten ist ein Grundvollzug des Menschen. Ja, erst im Gebet ist der Mensch ganz Mensch. Wenn wir beten, stellen wir unser Leben in das Licht der Liebe Gottes. Betend gehen wir hinein in ein Gespräch mit Gott, zu dem Er uns einlädt: So erkennen wir im Gebet immer mehr uns selbst und unser Leben vor Gott. Im Beten brechen wir auf zu Gott und begegnen seinem lebendigen Du: ungeschützt, so, wie wir sind. So haben in unseren Gebeten alle Spuren menschlichen Fühlens, Denkens und Glaubens, alle Spuren des Zweifelns und Hoffens ihren Platz. Im Gebet dürfen sich Freude und Dankbarkeit, aber auch Klage und Schmerz aussprechen: Manchmal in vorgegebenen Formen, die das Ringen um Worte entlasten können; manchmal aber auch als tastender, zaghaft suchender Versuch, um im Beten erst die Sprache zu finden, mit der wir uns an Gott wenden können. Wem es ab und an geschenkt ist, mit einem Menschen offen sprechen zu können und bei ihm Gehör zu finden, der hat eine Ahnung von dem, was uns im betenden Sprechen mit Gott eröffnet wird.

Vom Mut zu beten

Aber, liebe Brüder und Schwestern, jeder von uns weiß, dass es durchaus Mut braucht, in solch eine Gebetsbeziehung einzutreten. Der Schriftsteller Heinrich Böll, der selbst ein betender Mensch war, beschreibt diese Erfahrung so: „Es ist mit dem Beten, wie wenn du vor einem Aufzug stehst und Angst hast, aufzuspringen, du musst immer wieder ansetzen, und auf einmal bist du im Aufzug, und der trägt dich hoch.“ Es gibt kaum einen schöneren Vergleich für die Verwandlung, die geschieht, wenn wir beten, eine Verwandlung in der Beziehung zwischen Mensch und Gott. Die Älteren unter Ihnen werden wissen, dass Böll hier die offenen Fahrstühle vor Augen hat, die früher bezeichnenderweise ‚Pater noster’ genannt wurden: ‚Vater-unser-Aufzüge’. Der Name spielt auf das wirklich emporhebende Gebet des ‚Pater noster’ an, des Vaterunsers, mit dem Jesus selbst seine Jünger gelehrt hat, mit Gott eine lebendige Beziehung zu leben.

Jesus betet und lehrt beten

Liebe Schwestern und Brüder, in der Bibel können wir wie nirgends sonst erfahren, was Beten ist: ein wirkliches Geschenk, aber auch eine echte Herausforderung. In der Schrift begegnen wir Menschen, die betend ihr Leben gestalten. Es tut gut, sich in solch einer Schule des Betens aufgehoben zu wissen. Die Geschichten von Abraham, von Jakob, von Moses und David berichten uns von Menschen, die ihr Leben in Beziehung zu Gott gestalten, die ihre Freude und ihr Leid, ihren Kummer und ihre Zweifel, ihre Fragen und Anklagen, aber auch ihre Dankbarkeit und ihr Gotteslob im Gebet vor Gott bringen.

Ein herausragendes Zeugnis biblischen Betens ist die Sammlung der Psalmen. Mit den Psalmen können wir mit Worten beten, in denen wir uns wiederfinden. Aber Psalmen laden auch ein, in eigene Worte zu fassen, was der Beter ausdrückt. So lernen wir in der Bet-Schule der Psalmen, zu betenden Menschen zu werden wie Jesus selbst. Denn die Psalmen waren sein Gebetbuch. Jesus von Nazareth hat in diesem Gebetbuch der Bibel lesen und leben gelernt.

Oft betet er allein, oft aber auch gemeinsam mit seinen Jüngern. Sein Gebet ist dabei Ausdruck von Dank, Lob und Preis, aber durchaus auch Zeugnis von Klage, Bitte und Ergebung in den Willen Gottes. Vor allem aber ist Jesu Beten eines: Ausdruck seiner vertrauensvollen Beziehung zu Gott. In den Evangelien zeigt sich, dass das heilsame Handeln Jesu Christi, aber auch sein Leiden, Sterben und seine Auferstehung erst im Licht dieser Gebetshaltung zu verstehen sind. In der kommenden Fastenzeit können wir an die Seite des betenden Jesus treten und ihn als Beter erleben.

Im Beten spricht sich Jesus selber aus. ‚Abba!’, ruft er Gott und drückt so aus, dass Gott immer bei ihm ist (vgl. Joh 16,32). In der vertrauensvollen Anrede Gottes als ‚guter Vater’ will er uns Menschen zum Vertrauen ermuntern, auch zu einer solchen Glaubenshaltung und zu einer solch persönlichen Gebetssprache zu gelangen. Die Bitte der Jünger, sie beten zu lehren, erfüllt Jesus mit dem Gebet, das bis heute der Inbegriff christlichen Betens und Glaubens ist: „So sollt ihr beten: Unser Vater im Himmel!“ (Mt 6,9)

Das Gebet als Bereitschaft, sich erneuern zu lassen

Unsere Gottesbeziehung lebt also im Gebet. Das Gebet trägt hoch zu Gott, und die geschenkte Nähe verwandelt den Beter. Selbst von Jesus heißt es – wir hören dies im Evangelium des zweiten Fastensonntags - : „Während er betete, veränderte sich das Aussehen seines Gesichtes.“ (Lk 9,29) Die Begegnung mit Gott verwandelt uns und erneuert unser Leben und Handeln. Christliches Beten ist darum auch dazu bereit, Gott das letzte Wort zu überlassen. Eindruckvollstes Zeugnis einer solchen Gebetshaltung findet sich in jener Szene auf dem Ölberg in der Nacht vor Leiden und Tod, wenn Jesus betet: „Vater, wenn du willst, nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe.“ (Lk 22,42) Am Gründonnerstag werden wir daran wieder erinnert. Jesus nimmt dabei die zentralen Worte des Vaterunsers auf: ‚Dein Wille geschehe!' Aus solcher Gebetshaltung wächst das Vertrauen und die Erfahrung, dass Gnade und Fürsorge Gottes uns letztlich tragen werden.

Am Ende meines Briefes komme ich nochmals auf die Worte des Apostels Paulus an die Gemeinde von Philippi zurück. Ich möchte meinen dankbaren Gruß an Sie zum Schluss meines Briefes mit seinen Worten ausdrücken. Paulus führt seinen Dank mit den Worten weiter: „Immer, wenn ich für euch alle bete, tue ich es mit Freude und bete darum, dass eure Liebe immer noch reicher an Einsicht und Verständnis wird, damit ihr beurteilen könnt, worauf es ankommt.“ (vgl. Phil 1,4-11)

Liebe Schwestern und Brüder, dass uns all dies durch die Kraft und den Segen des Gebetes immer mehr geschenkt werde, dafür erbitte ich für Sie und uns alle den Segen Gottes!

Rottenburg, am 1. Sonntag der österlichen Bußzeit 2010

+ Dr. Gebhard Fürst

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