Bischof Dr. Gebhard Fürst: Hirtenbrief zur österlichen Bußzeit 2011

Es folgt der Hirtenbrief im Wortlaut:

Bischof Dr. Gebhard Fürst: Hirtenbrief an die Gemeinden der Diözese Rottenburg-Stuttgart zur österlichen Bußzeit 2011

„Erneuert euren Geist und Sinn!“(Eph 4,23)

Liebe Schwestern und Brüder!

Herzlich grüße ich Sie zum Beginn der österlichen Bußzeit! – In diesen für die katholische Kirche schwierigen Zeiten denke ich in ganz besonderer Weise an Sie alle in den Kirchengemeinden, den Seelsorgeeinheiten und muttersprachlichen Gemeinden. Ich denke an all die Gruppen, Einrichtungen und Gemeinschaften, in denen der Glaube lebendig ist. Ich denke an die vielen, die unter der gegenwärtigen Situation leiden und verunsichert sind. In der Sorge um unsere Kirche und im persönlichen Gebet bin ich mit Ihnen verbunden.

Viele von Ihnen haben mir als ihrem Bischof Briefe geschrieben. Sie haben Ihre Anliegen mitgeteilt und Sie haben Vorschläge zur Neugestaltung der Pastoral gemacht. Jeden einzelnen Brief habe ich aufmerksam gelesen und dann all die Erwartungen und Vorschläge zusammengetragen. Sie werden eingehen in den Dialog, mit dem wir unverzüglich beginnen.

Als „geistliches Tor“ für diesen Gesprächs- und Erneuerungsprozess ist die vor uns liegende Zeit des Kirchenjahres ein wirkliches Geschenk! Das Fasten des Leibes geschieht für uns Christen ja nicht um seiner selbst willen. Die Fastenzeit dient mit Blick auf das Osterfest der eigenen geistlichen Vertiefung des Glaubens und der Erneuerung des eigenen Lebens ebenso wie der Erneuerung des Zusammenlebens im Volke Gottes. Solcher Erneuerung bedürfen wir immer wieder. Alte Gewohnheiten wollen wir ablegen und uns an Geist und Seele, an Haupt und Gliedern erneuern. Nur so werden wir als Gemeinschaft der Glaubenden neu leben und handeln. Der auferstandene Christus, auf den wir in den kommenden vierzig Tagen zugehen, schenkt uns seinen Leben schaffenden Gottes-Geist. Ohne ihn vermögen wir nichts!

Unsere Kirche bedarf der Erneuerung! Die Ereignisse des Jahres 2010 haben uns dies in bedrängender Weise gezeigt. Wir müssen wieder Glaubwürdigkeit und Vertrauen zurückgewinnen. Dass wir als Menschen und als Kirche immer wieder der Erneuerung bedürfen, darauf hat das Zweite Vatikanische Konzil eindrucksvoll hingewiesen! Kirche – sagt das Konzil – „ist zugleich heilig und stets der Reinigung bedürftig“, sie muss „immerfort denWeg der Buße undder Erneuerung“(1) gehen! Liebe Schwestern und Brüder, begeben wir uns auf diesen Pilgerweg!

Schon der Apostel Paulus ruft seinen Mitchristen zu: „Erneuert euren Geist und Sinn!“ (Eph 4,23) Dieser Aufruf des großen Missionars ergeht heute besonders eindringlich an uns alle! An die Dienste und Ämter in der Kirche, an das ganze Volk Gottes und an jeden Einzelnen: „Erneuert euren Geist und Sinn!“ Und Paulus fügt hinzu: „Zieht den neuen Menschen an!“ – den neuen Menschen, also Jesus Christus, der Weg, Wahrheit und Leben ist. Seinen Geist sollen wir in uns lebendig werden lassen. So hat alles darin seinen Ursprung, dass wir unseren Geist und Sinn erneuern aus dem Geist und Sinn Jesu Christi. Von IHM her wollen wir leben und handeln, von IHM her Kirche sein!

Ein Prozess der Erneuerung muss also „vom Inneren“, von der Erneuerung von Geist und Sinn ausgehen und muss sich „im Äußeren“, in der Gestaltung unseres Zusammenlebens so auswirken, dass unsere Kirche die lebensdienliche und Heil schaffende Botschaft vom menschenfreundlichen Gott nicht verdunkelt, sondern einladend bezeugt und erfahren lässt. Denn „wir verkünden die Botschaft nicht in Worten bloß, sondern durch die ganze Lebensgestalt der Kirche“, so hat ein Christ ganz am Anfang des Christentums (Tertullian)
geschrieben.

Liebe Schwestern und Brüder! Wir sind in Bewegung, auf dem Pilgerweg der Erneuerung! Am 25./26. März wird der vor kurzem neu gewählte, neunte Diözesanrat zum ersten Mal zusammenkommen und seine Beratungs- und Mitwirkungsarbeit aufnehmen. Wir sind soweit, dass bei diesem Treffen der Diözesanräte im Kloster Reute beschlossen werden kann, wie wir den Dialog zur Erneuerung der Kirche in unserer Diözese führen wollen. Die Vorbereitung mit den gewählten Laienchristen sieht vor, dass wir uns in den verschiedenen Bereichen unserer Ortskirche miteinander auf einen zweijährigen Weg machen, kirchliches Leben zu erneuern. Wir wollen dies in einem dialogisch angelegten Prozess der Läuterung und der Erneuerung unserer Kirche erreichen.

Aber wir beginnen nicht am Nullpunkt. Die Jugend unserer Diözese ist
vorangegangen: Mit dem im letzten Jahr über mehrere Monate durchgeführten
„JugendforumhochDrei“ hat der Erneuerungsprozess bereits begonnen! Unsere Jugend hat ihn angestoßen. Als Bischof nahm ich mit nahezu allen Verantwortlichen der Diözesanleitung an den Foren teil. Beim Abschlusstag in Wernau trugen die Jugendlichen ihre Erwartung an die Kirche vor: Sie wollen als Jugend ihren Platz in einer zeitgenössischen Kirche haben, sie möchten eine sinnstiftende, lebensechte und authentische Spiritualität und Religiosität leben.
Dazu gaben sie mir als Bischof und der Diözesanleitung viele Empfehlungen. Diese gilt es jetzt zu bearbeiten. Auch bei vielen Treffen mit Kirchengemeinden und Kirchengemeinderäten, bei Dekanatskonferenzen, bei Gesprächs- und Diskussionsforen war die Erneuerung unserer Kirche schon seit Mitte letzten Jahres Thema eines engagierten Austausches.

Nun geht es darum, die pastoralen Strukturen zu erneuern. Die entscheidende Frage ist für mich: Wie können wir unsere Seelsorgeeinheiten und die pastorale Arbeit vor Ort in kirchlichen Einrichtungen, in Gemeinden und Gemeinschaften so weiterentwickeln, dass die Erneuerung an Geist und Sinn sich so auswirkt, dass Kirche mit der ihr anvertrauten frohen Botschaft den Menschen in ihrem Leben wirklich nahe, hilfreich und heilsam sein kann? Die pastoralen Strukturen müssen der Seelsorge und der Spendung der Sakramente dienlicher werden. Denn der Gottes-Geist, der unter uns wirken will, ist ein den Menschen dienender Geist. (2) Der Geist, der von Christus ausgeht, wirkt durch das Leben der getauften und geweihten Christen im Volk Gottes. Die Gestalt unserer Kirche, ihre Dienste und Ämter und all die Charismen, Begabungen und Talente müssen so wirken, dass sie dem Geist und Leben Christi durch ihr Miteinander und Füreinander Raum geben. Da wollen wir Möglichkeiten ausschöpfen, die in der Verantwortung der Ortskirche liegen, aber noch nicht verwirklicht
worden sind. Die Gemeinschaft der Glaubenden soll als eine bewohnbare Gemeinschaft erfahren werden (3), in der Menschen Heimat finden und neue Hoffnung schöpfen. In einer bewohnbaren Kirche sollen sie etwas vom erlösten Dasein spüren können.

Wir wollen auf diesem Pilgerweg auch über Fragen miteinander ins Gespräch kommen, die viele sehr beschäftigen: So beispielsweise die Zukunft katholischer geschiedener Christen, die wieder geheiratet haben oder heiraten wollen. Wie kann ihnen die Barmherzigkeit Gottes nahegebracht werden, die gerade im Scheitern und im Neuanfang wirksam sein will? Welche Verpflichtung zur Wandlung erwächst der Kirche daraus? Wie sieht die Zukunft für die konfessionsverschiedenen Ehen aus? Was muss im ökumenischen Geist geschehen, damit sie wirklich konfessionsverbindend werden? Wie steht es um die Rolle der Frau in der katholischen Kirche? Welche mutigen Schritte können wir hier anstoßen und gehen?

Bei meiner Neujahrsansprache in Stuttgart habe ich gesagt: „Wir werden den Erneuerungsprozess in unserer Ortskirche im Kontext des strukturierten Dialogs der Bischofskonferenz führen. Wie wollen aber nicht abwarten, bis dieser beginnt.“(4) Die Gespräche möchte ich nach katholischem Kirchenverständnis im Zusammenhang der Kollegialität der Bischöfe, der Ortskirchen und der weltweiten Kirche führen. Aber was die einzelnen Ortskirchen tun können, sollten sie mutig in Angriff nehmen. Da und dort wird unsere Diözese sicher mutig vorangehen. Aber bei all dem, was wir vorhaben, dürfen wir uns nicht überfordern, denn die Einheit unserer globalen, katholischen Kirche ist ein
hohes Gut!

Ich rufe alle in der Diözese Rottenburg-Stuttgart dazu auf, dass wir diesen Prozess zur Erneuerung mit Vertrauen, Mut und Augenmaß gehen. Seiner Kirche hat der auferstandene Christus zugesagt: „Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ (Mt 28,20b) Leben und handeln wir aus diesem Versprechen unseres Herrn Jesus Christus!

Liebe Schwestern und Brüder, ich danke Ihnen, für Ihr Mitgehen, für Ihre Treue! Ich bitte Sie, bei allem unsere Kirche als Ganze im Auge zu behalten. Was wir anfangen und das, was wir an einzelnen Schritten tun, muss der Gemeinde, der Ortskirche und der Weltkirche zur Auferbauung dienen!

Möge uns Gott mit seinem Beistand begleiten, Jesus Christus in allem zum Vorschein kommen und wir so als Kirche geistlicher, lebendiger und wieder glaubwürdiger erfahrbar werden! In all unserem Tun möge uns der dreifaltige Gott segnen!

Rottenburg, am Fest der Darstellung des Herrn, 2. Februar 2011

+ Dr. Gebhard Fürst

Anmerkungen
1 II. Vatikanisches Konzil, Lumen Gentium 8.
2 „Der Menschensohn ist gekommen zu suchen und zu retten, was verloren ist.“ (Lk 19,10) und: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen.“ (Mk 10,45)
3 „Durch ihn (Christus) werdet auch ihr im Geist zu einer Wohnung Gottes erbaut.“ (Eph 2,22)
4 Kirchenkrise als Kairos geistlicher Erneuerung. Neujahrsansprache 6. Januar 2011 Stuttgart.

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