Bischof Dr. Gebhard Fürst: Hirtenbrief zur österlichen Bußzeit 2012

Ich ließ mich finden von denen, die nicht nach mir suchten; ich offenbarte mich denen, die nicht nach mir fragten."
(Röm 10,20)

Liebe Schwestern und Brüder!

Zum Beginn der Fastenzeit grüße ich Sie herzlich. Vor uns liegen die Tage der Vorbereitung auf das Osterfest. Ich lade Sie ein, diese Zeit als geistliche Pilgerreise hin zum Fest der Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus zu verstehen. "Erneuert euren Geist und Sinn und zieht den neuen Menschen an!" (Eph 4,23), ruft uns der Apostel Paulus zu. Ganz in diesem Sinne können die vierzig Tage der österlichen Bußzeit ein Wegabschnitt der persönlichen Erneuerung und der Erneuerung der Kirche werden. Wir bedürfen ja alle immer wieder der Erneuerung, damit wir als Gottes Volk in dieser Zeit glaubwürdig Zeugnis ablegen von der Hoffnung, die uns erfüllt. Aber wie kann das gelingen?Wir alle leben in unruhigen und oft wirren Zeiten – nicht nur in unserer Kirche, sondern noch viel mehr in unserer so vielgestaltig gewordenen
Gesellschaft mit all den Chancen und Risiken, sein Leben zu gewinnen oder auch zu verlieren. Menschen sind deshalb heute auf der Suche nach einem sinnvollen Leben wie nie zuvor. Sie spüren, dass arbeiten und Geld verdienen, kaufen und konsumieren allein nicht wirklich glücklich machen. So brechen viele auf und suchen in "Geist und Sinn" nach mehr. Sie suchen nach dem, was wirklich trägt, was das eigene Leben fördert und Zukunft erschließt.

Aber kann es allein beim Suchen bleiben? Werden wir nicht erst frei, wenn wir in all dem rastlosen Suchen auch Sinn finden? Gelingt das Leben nicht erst, wenn wir wirklich finden, was wir zum Glück brauchen und was uns den Himmel öffnet? Denn die Freude am Leben stellt sich ein, wenn aus dem Suchen ein Finden geworden ist.Liebe Schwestern und Brüder, wie können wir als einzelne Christen, aber auch als Kirche in den Gemeinden so leben und uns so verhalten, dass suchende Menschen den Glauben als Kraft und Stärke vermittelnden Sinn des Lebens in der Gemeinschaft der Kirche finden können? Wie können wir mithelfen, dass aus dem Suchen der Menschen ein beglückendes Finden wird?
Mit der frohen Botschaft von Jesus Christus ist uns als Gemeinschaft der Glaubenden ein großer Schatz für die Sinn-Findung auf der menschlichen Lebensreise gegeben. "Geist und Sinn" des Evangeliums Jesu Christi sind für jede und jeden von uns ein Geschenk, aus dem wir immer wieder neu Kraft schöpfen zum Leben. Wie können wir diese Botschaft so leben und anbieten, dass sie von suchenden Menschen als Quelle der Kraft entdeckt und gefunden werden kann? Kirche ist ja nie für sich selbst da. Die lebendige Verkündigung
des Glaubens, unser Lebenszeugnis muss also so sein, dass Menschen, die Sinn suchen, ihn auch finden können in der Botschaft Jesu Christi, dessen Auferstehung wir an Ostern feiern.
Nun erleben wir aber gegenwärtig in der katholischen Kirche eine Phase, in der sich ihr Glaubenszeugnis verdunkelt hat. Viele suchen Sinn und Erfüllung nicht bei uns in der Kirche, sondern ganz woanders. Wir haben an Glaubwürdigkeit verloren. Wie kann bei uns als Christen die Verkündigung des Glaubens so geschehen, dass suchende und zweifelnde, deprimierte und hoffnungslos gewordene Menschen das befreiende Evangelium Jesu Christi nicht bloß hören, sondern die Lebenskraft dieser Botschaft selbst zu spüren bekommen? Im Letzten helfen dazu keine noch so guten Strategien. Allein die Besinnung auf die Mitte des Glaubens hilft weiter. Aus dieser Mitte wächst der Kirche Glaubwürdigkeit zu. Die Besinnung auf Jesus Christus wird unserer Kirche neue Kraft und neue Glaubwürdigkeit geben. In IHM wurde Gott für uns Mensch. ER hat zu unserem Heil ein den Menschen in Liebe zugewandtes Leben geführt. ER hat sein Leben am Kreuz für uns hingegeben und wurde von Gott zu neuem Leben auferweckt.

Menschen unserer Zeit dabei zu helfen, diese Botschaft zu hören und sie anzunehmen, diesen wahren Lebenssinn zu finden, darin sehe ich den Auftrag der Verkündigung der Kirche. Alle Dialoge und Erneuerungen sind dieser Aufgabe geschuldet.

Liebe Schwestern und Brüder! Sie wissen, dass wir in der Diözese Rottenburg-Stuttgart derzeit einen Weg des Dialogs und der Erneuerung gehen. Wir haben uns eine "Zeit zum aufeinander Hören" vorgenommen. Manche sind skeptisch und sagen: "Dieser Dialog wird doch nichts bringen!". Ich bitte Sie aber, diesem Dialog eine Chance zu geben! Ich selbst war in den letzten Monaten bei vielen Veranstaltungen, habe mit Reformgruppen gesprochen und die Erwartungen der Menschen gehört und Dialoge geführt. Dabei hat schon das offene Gespräch miteinander seinen Eigenwert. In unserer Kirche gibt es zur Pastoral, zur Gestalt unserer pastoralen Dienste und Ämter, zur Erneuerung der Kirche viele, oft auch sehr unterschiedliche Stimmen, nicht selten in der eigenen Kirchengemeinde. Sie stehen meist unvermittelt nebeneinander, ja gegeneinander. Diese Positionen miteinander ins Gespräch zu bringen, damit Verständnis und Respekt füreinander wachsen, ist eine große Aufgabe für uns alle. Gerade in der Vielfalt der Überzeugungen die Einheit im Glauben zu leben und in der Eucharistie zu feiern, ist ein hohes Gut.

Dass wir aber von diesem offenen Dialog miteinander auch zur wirklichen Erneuerung der Kirche kommen müssen, das ist für mich keine Frage. So hat in der "Zeit des Hörens" auch schon eine "Zeit des Handelns" begonnen. In einem auf den Weg gebrachten "Projekt Gemeindepastoral" werden wir die Erneuerung der Pastoral vor Ort voranbringen. Und wir haben es uns vorgenommen, daran zu arbeiten, mehr Frauen in kirchlicheFührungspositionen zu bringen. Vieles kann in unserer Ortskirche mutig angegangen werden und Vieles ist schon auf dem Weg. Andere Fragen wiederum können in der Ortskirche nicht allein entschieden werden. Ich werde diese Fragen aber in die Konferenz der Bischöfe einbringen. Wir alle müssen dabei lernen, das Scheitern von Menschen und ihrer Lebensplanung ernster zu nehmen und Hilfen anzubieten, damit neues Leben gelingen kann. Auch das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit.

Die Sehnsucht der Menschen, Sinn zu finden und eine Heimat zu haben in einer
aufgeregten Zeit, ist auch in Zeiten großen Wohlstands alles andere als erloschen. Wir sind aufgerufen, als Kirche den rettenden Glauben zu verkünden und eine einladende Kirche zu sein.

Besonders die Kirchengemeinden können Orte sein, wo heimatlos gewordene Menschen Zuflucht und Lebenssinn finden können. In einer Gemeinde, in der die frohe Botschaft des christlichen Glaubens lebendig ist, können Menschen in ihren Sorgen und Nöten in dieser oft heil- und gnadenlosen Welt eine "bewohnbare", eine bergende Gemeinschaft erleben, wo sie Halt finden und die schützende und rettende Kraft des Glaubens erfahren können. Darauf werden Menschen aufmerksam, davon werden sie sich einladen lassen – und kommen – und bleiben.

Die Botschaft Gottes an uns wird in der Kirche Ereignis und Erlebnis, wo der Glaube festlich gefeiert wird. In der Liturgie erfahren wir Gottes Botschaften für unser Leben mit allen Sinnen. Die Eucharistiefeier ist voll sprechender Zeichen und Gesten, die wir mit vollziehen und in denen wir zuhause sein können. Von der Liturgie lassen wir unser Herz bewegen und unsere Seele erheben.

Liebe Schwestern und Brüder, müssen wir nicht alles tun, um unseren Kindern und Jugendlichen, um den fernstehenden und suchenden Menschen dieses kostbare Geschenk so nahezubringen, dass Menschen die spirituelle und vitale Kraft entdecken können, die in der Feier der Liturgie liegt? Der Dialogprozess muss also auch und besonders für Liturgie und Gemeinde zu einem Erneuerungsprozess werden, damit suchende Menschen Orte finden, wo erfahrbar wird, was es heißt, "gerettet" zu sein aus den "Verlorenheiten" des Lebens, damit aus Scheitern wieder ein erfülltes Leben wachsen kann. Als
Ihr Bischof möchte ich mich kraftvoll einsetzen und mithelfen, dass die Erneuerung unserer Kirche gut vorankommt. Vertrauen wir auf dieser Pilgerreise vor allem auf Gott, von dem wir in einem Gebet der Liturgie dankbar sagen: "Gott, einst hast Du Israel, dein Volk mit starker Hand durch die weglose Wüste geleitet. Heute führst Du Deine pilgernde Kirche in der Kraft des Heiligen Geistes." *

Liebe Schwestern und Brüder, gehen wir gemeinsam einen Weg des Vertrauens und der Erneuerung zu einem glaubwürdigen Zeugnis als Christen in der Welt.

Dazu möge Ihnen, möge uns allen Gott seinen reichen Segen schenken!

Rottenburg, am Fest der Darstellung des Herrn, 2. Februar 2012

+ Dr. Gebhard Fürst

 

* Präfation im Hochgebet für Messen für besondere Anliegen II. Gott führt die Kirche, 23.

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