Bischof Dr. Gebhard Fürst: Hirtenbrief zur österlichen Bußzeit 2013

Sei ohne Furcht, glaube nur! (Mk 5,36)

Erneuert euren Geist und Sinn!
Herr, belebe Deine Kirche und fange bei mir an!
Herr, ermutige deine Kirche und fange bei mir an!
Herr, öffne Deine Kirche und fange bei mir an!
Herr, sende Deine Kirche und fange bei mir an!
(R. H. nach J. H. Newman)


Liebe Schwestern und Brüder im Glauben!

Wie in jedem Jahr schreibe ich Ihnen zum Beginn der Fastenzeit wieder einen Brief. In diesem Jahr liegt die österliche Bußzeit mitten im Jahr des Glaubens, das Papst Benedikt XVI. für die Katholische Kirche ausgerufen hat. In unserer Diözese begehen wir dieses Jahr des Glaubens vom Oktober 2012 bis November 2013. Gleichzeitig befindet sich unsere Ortskirche Rottenburg-Stuttgart mitten im Dialog- und Erneuerungsprozess. Seit eineinhalb Jahren ist der innerkirchliche Dialog auf allen Ebenen in vollem Gang und weit fortgeschritten. Eine Sonderbeilage des Katholischen Sonntagsblatts dokumentiert den augenblicklichen Stand des diözesanen Dialogs. (1) Ich möchte Ihr Interesse auf diese Sonderbeilage lenken. Sie finden darin alle Informationen über den Dialogprozess. Sie können die Auswertung der eingegangenen Briefe lesen und ebenso der Gespräche, die in den Gruppen, Versammlungen, Räten und Gremien untereinander und mit mir als Bischof geführt wurden. Auch über die Perspektiven des weiteren Dialog- und Erneuerungsprozesses werden Sie informiert. Gleichzeitig berichtet die Sonderbeilage über ein bereits angelaufenes "Projekt Gemeinde", das die Erneuerung der Seelsorge vor Ort in den Kirchengemeinden und Seelsorgeeinheiten zum Ziel hat. Gerade im Bereich der Erneuerung der Seelsorge in den Kirchengemeinden und pastoralen Räumen haben sich drängende Fragen nach der Zukunft der Pastoral in unserer Diözese gezeigt. Sie können auf der Ebene der Ortskirche angegangen und spürbar vorangebracht werden. In der Zeit bis Mai finden diözesanweit vier Regionalforen statt: in Biberach, Esslingen, Heilbronn und in Spaichingen. Bei diesen Foren wird der Dialog zur Erneuerung der Pastoral ein besonderer Schwerpunkt sein. Zu den Regional-Foren sind Delegierte aus den Dekanaten der Diözese eingeladen. Sie sollen die vorhandene Vielfalt in den Seelsorgeräumen unserer Ortskirche und in der Pastoral vertreten und in den Dialog einbringen.

Liebe Schwestern und Brüder! Auf die Zusendung der Sonderbeilage des Sonntagsblatts zum Erneuerungsdialog schrieb mir eine Frau: "Mehr als viele Themen beschäftigt mich die Erneuerung von Innen, in der Grundhaltung zum Mitmenschen als Mitbruder, als Mitschwester." Ich kann dem nur zustimmen. In der Tat: der notwendige Prozess der Erneuerung muss "vonInnen" kommen. Gerade deshalb steht auch der Dialog- und Erneuerungsprozess unter dem Paulus-Wort: "Erneuert euren Geist und Sinn. Zieht den neuen Menschen an." (2) Die vom Geist des Evangeliums geprägte Seelsorge vor Ort wird erst vom "christlich durchformten Leben einzelner Glaubender" (3) her lebendig.

Hier dockt das Jahr des Glaubens an. Wir begehen es von Oktober 2012 bis November 2013. Papst Benedikt lädt die katholischen Christen weltweit ein, "den Weg des Glaubens wiederzuentdecken, um die Freude und die erneuerte Begeisterung der Begegnung mit Christus immer deutlicher zutage treten zu lassen" und in das Leben der Gemeinschaft mit Gott zu führen.

Von einem Dichter stammt das Wort: "Wege entstehen dadurch, dass man sie geht." (4) So wollen wir neue Wege gehen und uns auf neue Wege einlassen. Ich bin überzeugt, dass der Weg des Glaubens sich uns heute besonders durch die Begegnung mit Zeugen des Glaubens neu erschließen kann. Papst Paul VI. hat ein wegweisendes Wort formuliert. Er sagt: "Der heutige Mensch hört lieber auf Zeugen als auf Lehrer. Wenn er auf Gelehrte hört, dann, weil sie Zeugen sind." Das Jahr des Glaubens trägt deshalb in der Diözese Rottenburg-Stuttgart die Überschrift: "Von Glaubenszeugen Glauben lernen". Im Mittelpunkt steht die Erinnerung an die großen und kleinen Glaubenszeugen unserer Diözese. Zu unseren Großen gehören der aus Stuttgart stammende und im Dom zu Rottenburg zum Priester geweihte Selige Rupert Mayer; die in Mittelbiberach geborene, von tiefer Liebe zum Nächsten erfüllte Selige Ulrika Nisch; der sich dem Nationalsozialismus widersetzende Bekennerbischof Joannes Baptista Sproll; der besonders im Raum Ellwangen als Bote einer missionarischen Kirche verehrte Pater Philipp Jeningen; und ebenso der von denNazischergen hingerichtete, aus Rottenburg am Neckar stammende württembergische Staatspräsident Eugen Bolz.

Aber auch ein Gemälde wie beispielsweise die weltberühmte Madonna von Matthias Grünewald, kann als Glaubenszeugnis besonderer Art bei der Erschließung des Glaubens helfen. DieStuppacher Madonna, das eindrucksvollste Bild von der Menschenwerdung Gottes, ist nach der Restaurierung Ende 2012 wieder an ihren fränkischen Ort in Stuppach zurückgekehrt.

Der heilige Martin, Patron und Leitfigur der Pastoral der Diözese, spielt im Jahr des Glaubens eine herausragende Rolle. Martinus, der im vierten Jahrhundert am Beginn des christlichen Europa auftritt, ist ein "in Geist und Sinn" erneuerter, ein wirklich neuer Mensch. Einer, der sich vom römischen Heidentum abwendete und sich auf Christus taufen ließ. Er ist ein Täter des Wortes der Liebe und hat Christus in den Armen und Schwachen erkannt und hat IHN so auch den Menschen verkündet. Diesen in Christus erneuerten Menschen Martin und seine Spiritualität zu erkennen und sich selbst aus seinem Geist in der eigenen Lebensführung erneuern zu lassen, das wäre eine große Frucht des Jahres des Glaubens.

Die diesjährige Diözesanwallfahrt führt uns im Frühjahr, vom 21. bis 25. Mai, nach Ungarn zum Geburtsort des Heiligen Martin. Die Menschen in Szombathely freuen sich auf diese Begegnung. Sie freuen sich, dass Christen aus dem Westen Europas zu ihnen kommen und sich den großen Sohn ihrer Stadt zu ihrem Vorbild nehmen! Ich lade Sie sehr herzlich ein,an dieser sicher begegnungsreichen Pilgerreise teilzunehmen. (5)

Aber vielleicht fragen Sie, warum in der Diözese Rottenburg-Stuttgart überhaupt ein Jahr des Glaubens stattfindet? Vielleicht fragen Sie, warum die Vertiefung des Weges des Glaubens für das eigene Leben und Zusammenleben in der Glaubensgemeinschaft der Kirche so zentral sein soll. Ist denn nicht jedes Jahr und jede Stunde für getaufte und gefirmte Christen Zeit des Glaubens?

Sicher ist das so! Erst recht für Sie, die Sie heute die sonntägliche Eucharistie mitfeiern. Aber wir alle wissen, dass es im eigenen Glaubensleben auch Lähmungserscheinungen gibt. Dass man gewohnheitsmäßig glaubt, zum Gottesdienst geht und auch im eigenen Leben so lebt, wie man halt lebt, ohne sich Gedanken zu machen. Glaube kann auch im Alltagstrott aufgehen. Er kann erstarren und Leben und Zusammenleben nicht mehr prägen. Gerade deshalb ist es gut, innezuhalten und sich zu besinnen auf den Glauben, der in mir und in der Kirche als Volk Gottes lebendig sein will. Die Fastenzeit und das Jahr des Glaubens geben Gelegenheit, sich selbst neu zu vergewissern, warum ich als glaubender Mensch lebe und nicht so wie andere, denen Gott und seine frohe Botschaft für uns alle nichts bedeuten.

Viele sind der Meinung, dass nur das selbstbestimmte Leben lebenswert ist. Aber in der Verkündigung des Evangeliums kommt die Frohe Botschaft Jesus Christi auf uns zu. Sie stammt nicht aus uns selbst. Nehmen wir sie mit offenem Herzen auf, dann wirkt die Botschaft zu unserem Heil. Die Botschaft zum Leben wird mir geschenkt und ich kann darauf antworten: Ja, ich nehme an, was Gott mir mitteilt! Ja, ich glaube! – Sich dessen bewusst zu werden und sich dann wieder entschiedener auf eine gläubige Existenz einzulassen, auf ein Leben im Glauben und aus dem Glauben, das ist der Mühe wert.

Im Jahr des Glaubens lade ich Sie dazu ein, das Leben im Glauben und aus dem Glauben zu vertiefen oder wiederzuentdecken. Die Veranstaltungen des "Jahres des Glaubens" (6) wollen die Verlebendigung des Glaubens fördern. Auch die Kirchengemeinden vor Ort sind eingeladen, Angebote zu entwickeln, Begegnungen zu ermöglichen, Gottesdienste zu feiern, in denen Glaube lebendig und in seiner bereichernden Tiefe erfahrbar wird. Ich lade auch die Bildungswerke ein, die Verbände der Diözese, die Geistlichen Zentren, unsere Jugendarbeit, all die vielen Gruppen, die sich im Raum der Kirche treffen und miteinander kommunizieren. Alle sind eingeladen, das Jahr des Glaubens zu begehen.

Wir wollen im diözesanen Dialogprozess unseren Glauben nicht beiseite lassen. Der Erneuerungsprozess der Kirche darf nicht nur ein folgenloses Suchen bleiben, nicht nur im Strukturellen verharren. Erneuerung muss aus einem lebendigen Glauben gespeist werden und zugleich zum Glauben einladen. Nur so kann Erneuerung übergehen "in die konkrete Verwirklichung der christlichen Lebensart bei uns selbst im eigenen Leben, aber auch im Zusammenleben, innerhalb der Familien, der Gemeinschaften und Gemeinden". (7) Hier kann der christliche Glaube in unserem Leben eine Art zu leben stiften, die authentisch ist, den Mitmenschen hilft und weiterwirkt. Wo Glaube dagegen erstarrt und sich im Leben nicht auswirkt, da verliert er seine Strahlkraft und verschwindet schließlich spurlos. Der große französische Dichter George Bernanos schreibt im 'Tagebuch eines Landpfarrers': "Man verliert den Glauben nicht wie einen Gegenstand, sondern er hört auf, dem Leben Form zu geben." (8) Den Glauben dadurch zu verlieren, dass er das eigene Leben nicht mehr prägt, das wäre ein großer Verlust. Unser Leben würde arm, banal. Wir selbst hätten keinen Bestand mehr.

Die Heilige Schrift bezeugt in vielen mit Lebenserfahrung gesättigten Geschichten: Eine lebendige Gottesbeziehung macht Menschen stark, mutig und widerstandsfähig, schenkt Hoffnung und eröffnet Zukunft bei einem selbst und im Zusammenleben mit anderen. In der Geschichte der Glaubenden haben Menschen das immer wieder erkannt. Das Volk Israel lebtaus dieser Grunderfahrung. Gott begleitet und leitet die Menschen, "mit starker Hand" wie die Bibel immer wieder sagt. Gott führt und rettet aus lebensbedrohlichen Situationen. Der Verlust des Glaubens an ihn bringt die Gefahr mit sich, sein Leben nicht zu bestehen und verloren zu gehen. In einer besonders gefährdeten Situation des Volkes Israel, Glauben und Leben zu verlieren, wird dies besonders eindringlich vorgestellt. Die Israeliten waren umstellt und heftig bedroht. Ihre Selbständigkeit war in Gefahr. In dieser Not steht der Prophet Jesaja auf und ruft den Menschen zu: "Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht!" (9) "Ohne Glauben habt ihr keine Zukunft", möchte er damit sagen. In einer anderen Übersetzung dieses Wortes wird noch deutlicher worum es Jesaja geht: "Wenn ihr nicht vertraut, so werdet ihr nicht bleiben." (10) Für Jesaja geben sich Menschen selbst auf und haben keinen Bestand mehr, wenn sie ihre Beziehung zu Gott verlieren und ihnen das Vertrauen in Gott abhanden kommt. Gott aufzugeben – gerade in Schwierigkeiten – heißt für Jesaja, sich selbst aufzugeben, seine Zukunft zu verspielen. Die Verheißung des Jesaja dagegen verspricht das Gegenteil: "Wer glaubt, der bleibt!" Das Gläubig-Sein wirkt heilsam für den Menschen.

Eine Stelle im Neuen Testament zeigt noch auf eine andere Weise, was Glaube vermag und wie er sich im Menschenleben auswirkt. Der Synagogenvorsteher Jairus ist in großer Sorge um das Leben seiner Tochter. Die letzte Rettung in dieser Not sieht er in Jesus von Nazareth. Von ihm hat er gehört, dass er retten und heilen kann. In Jesus setzt er all sein Vertrauen. So tritt Jairus vor Jesus und bittet, seinem Kind zu helfen. Jesus hört ihn an, geht mit ihm und bevor er des Jairus Haus betritt, sagt er zu ihm: "Sei ohne Furcht, glaube nur!" (11) Und das Vertrauen dieses bedrückten Menschen in Jesus und sein Wort wendet schließlich alles zum Guten.

"Seid ohne Furcht, glaubt nur!" Dieses schlichte, aufmunternde Wort spricht Jesus auch zu uns heute, hinein in unser Leben, hinein in das Leben zusammen mit anderen. Dieses schlichte, aufmunternde Wort spricht Jesus auch zu uns heute, hinein in die Not unserer Kirche. Glaubt nur! Habt Vertrauen! Das vor allem ist wichtig!

Die Geschichte des Jairus zeigt uns: Jesus selbst setzt alles auf das Vertrauen in die helfende Kraft Gottes. Glaube nur! Das ist die Aufmunterung an uns, Gott, Jesus Christus, seinem Heiligen Geist wirklich zuzutrauen, dass er in unserem Leben positiv wirkt. Glaube nur! Das ist die Ermutigung, alles auf Gottes wirkmächtige Kraft zu setzen. Vertraut auf ihn und lebt aus diesem Gott-Vertrauen. Glaubt nur! Solche biblischen Glaubens-Geschichten wie die des Jairus sprechen das feste und völlige Vertrauen auf Gott aus, dass wir im Rätsel des Lebens wie des Todes in Gottes Hand sind. (12)

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben! Wo ein Mensch auf Gott vertraut, wo ein Mensch aus Glauben lebt, da wird Leben gelingen. Wo wir nach menschlichem Ermessen scheitern, da fängt Gott uns auf. Wer sich ganz in Gottes Hand fallen lässt, geht nicht verloren. Glauben ist lebendig im Vertrauen auf Gottes Wirken an mir, an uns, an unserer Kirche.

Sich von der biblischen Erfahrung "Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht" neu ansprechen zu lassen und das Wort Jesu "Seid ohne Furcht, glaubt nur!" sich immer wieder aufs Neue sagen zu lassen: das ist das Anliegen des Jahres des Glaubens.

Sich darauf neu einzulassen und daraus immer wieder neu das eigene Leben und das Zusammenleben mit anderen zu gestalten: dazu möchte ich Sie am Beginn der österlichen Bußzeit sehr herzlich einladen. Am Ende der vierzig Tage feiern wir dann das Osterfest. Das Fest, an dem wir sehen und erleben: das von Gottvertrauen geprägte Leben geht durch alles Scheitern, durch alle Not und Bedrängnis, durch Kreuz und Tod hindurch zu neuem Leben. Glaubt ihr, so bleibt ihr!

Rottenburg, am Fest der Darstellung des Herrn, 2. Februar 2013

+ Dr. Gebhard Fürst

 

(1) Glaubwürdig Kirche leben. Dialog- und Erneuerungsprozess in der Diözese Rottenburg-Stuttgart.

(2) Eph, 4,23f

(3) Alfons Auer, Gestaltwandel des Katholizismus. Kleine Hohenheimer Reihe.

(4) Franz Kafka

(5) Noch viele andere Veranstaltungsangebote gibt es im Jahr des Glaubens. Bitte informieren Sie sich auf der Homepage der Diözese.

6 Vgl. Homepage der Diözese.

(7) A. Auer, Gestaltwandel des Katholizismus, S. 33

(8) Georges Bernanos, Tagebuch eines Landpfarrers

(9) Jes 7,9

(10) Das Buch des Propheten Jesaja. Kapitel 1-12 (ATD), Bd. 17, Otto Kaiser. Göttingen. 1981. S. 137.

(11) Mk 5,36

(12) Vgl. dazu: Ernst Haenchen, Der Weg Jesu, Berlin. 1966. S. 205-213

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