Ravensburg
Sehr geehrter Herr Landrat Widmaier, sehr geehrter Herr Dr. Brendle, sehr geehrter Herr Prof. Dr. Vogel, sehr geehrter Herr Professor Dr. Stoz, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Gestatten Sie, dass ich mit einer kleinen Geschichte beginne, die vor acht Jahren durch die Medien ging: Es ist die Geschichte von Molly Nash aus dem US-Bundesstaat Colorado: Das sechsjährige Mädchen litt an einer angeborenen Blutarmut und benötigte das Knochenmark eines nahen Verwandten, um zu überleben. Da weder die Eltern noch Verwandte als Spender infrage kamen, zeugten die Eltern mithilfe der IVF und PID einen Sohn namens Adam, der Molly Knochenmark spenden sollte. Molly wurde durch die Spende ihres Bruders wieder gesund. Die Eltern ließen ein Dutzend Eizellen künstlich befruchten, von Spezialisten untersuchen und - ein Embryo erwies sich tatsächlich als idealer Spender. Adam Nash ist der erste Mensch, der im Labor gezeugt, getestet und ausgewählt wurde, um als Zellspender zu dienen. Gezeugt und ins Leben zugelassen mit einem einzigen Zweck.
Die Geschichte dieses Jungen löst in mir zwiespältige Gefühle aus. Nicht, dass ich der kleinen Molly keine Heilung wünschte, nein, wer von uns wird nicht gerührt und erschüttert vom Schicksal eines kranken, womöglich tödlich erkrankten Kindes. Natürlich wünsche auch ich wie wohl jeder Mensch, dass Krankheiten geheilt werden. Aber ist der Preis nicht zu hoch, wenn Kinder wie Adam Nash zum Gebrauchsgegenstand gemacht werden, zum 'Medikamentenschrank auf zwei Beinen'? Denn, erinnern wir uns: Adam verdankt seine Existenz nur seinen Blutwerten. Für sich selbst scheint er keine Lebensberechtigung zu haben. „Was ist denn, wenn Adam Nash kein Knochenmark mehr spenden will?“, so fragt Thomas Zoglauer, Professor an der Technischen Universität Cottbus. „Werden seine Eltern ihm dann sagen, dass er nur deswegen gezeugt wurde, um Knochenmark zu spenden?“
Meine sehr geehrten Damen und Herren, fast scheint es da eine Ironie des Schicksals, dass dieses Kind Adam heißt.
Denn dieser Adam ist nicht um seiner selbst willen wichtig, Menschenwürde wird vertauscht durch Materialwert. Adam Nash ist nur wichtig, wertvoll für die notwendige Organspende. So gut wir die Eltern vielleicht verstehen können, es bleibt unübersehbar, dass der Mensch Adam Mittel zum Zweck der Heilung von Molly ist. 'Menschliches Leben zu erzeugen, um es dann wieder für Zwecke und seien es therapeutische, zu verbrauchen, verstößt gegen die Menschenwürde und verletzt den Grundsatz die Schwachen zu verteidigen.' Der kleine Adam Nash steht hier als warnendes Beispiel für den Umgang mit menschlichem Leben gerade in seinen hilflosesten Phasen. Denn dieser Junge namens Adam Nash ist für mich im Grunde ein Bote aus einer kommenden Zeit, einer Zeit, in der Kinder vielleicht nicht aus Liebe gezeugt, nicht dem Zufall verdankt sind, sondern wie Adam Nash geplant, vom Reißbrett weg erschaffen werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
es ist unbestritten, und wer wüsste das besser als Sie: Die Erfolge des medizinischen Fortschritts sind riesig. Sie haben inzwischen Heilung oder zumindest Linderung möglich gemacht, wo früher der ärztlichen Kunst enge Grenzen gesetzt waren. Fast in allen Bereichen gibt es Fortschritte und wir sind dankbar, dass Lebenserwartung und Lebensqualität für viele dadurch gesteigert werden können.
Zuweilen begegnet mir im Zusammenhang der Diskussionen um die Biotechnologien der Vorwurf, die Katholische Kirche sei forschungsfeindlich, sie würde sich dem Fortschritt verschließen und damit sich selbst aus den gesellschaftlichen Diskursen ausklinken. Ich nutze die Gelegenheit der heutigen Begegnung gern, um meine Haltung hierzu nochmals klar zu formulieren: Die Kirche ist nicht forschungsfeindlich, sie ist vielmehr lebensfreundlich.
Die Katholische Kirche begrüßt medizinischen Fortschritt, wo immer er dem Leben des Menschen dient. Die Heilungsberufe genießen im Kontext christlicher Verkündigung hohes Ansehen.
Aber so erfreulich medizinische Fortschritte sind, so deutlich müssen auch die damit verbundenen Gefahren gesehen und benannt werden. Die Diskussion über die Fortschritte der Medizin legen in der Öffentlichkeit gegenwärtig oft den Eindruck nahe, als sei ein Leben ohne Krankheit möglich, ja, als gäbe es geradezu einen Rechtsanspruch auf Heilung. Die Befreiung von Krankheit und physischem Leid darf aber bei aller positiven Bedeutung, die ihr zukommt, nicht verabsolutiert werden. Gesundheit und Wohlbefinden sind auch mit einer noch so hochentwickelten Medizintechnik nicht einfach herstellbare Güter. Ärzte aus Ländern, in denen die PID erlaubt ist, erzählen von Paaren, die sich die Eigenschaften ihrer Kinder am liebsten im Katalog aussuchen würden.
Aus den USA weiß man, dass der Samen weißer Spender beliebter ist als der schwarzer. Zwergwüchsige haben gern zwergwüchsige und Gehörlose gern gehörlose Kinder. Hier bestimmt die Nachfrage die Merkmale, welche die Kinder später haben sollen. Es handelt sich um Eugenik von unten, bei der nicht ein Staat, sondern die Verbraucher den Genbestand nach ihren Vorstellungen ändern. In den USA haben sich zwei in Lebenspartnerschaft lebende lesbische Frauen, die beide taub sind, durch bewusste Auswahl eines genetisch bedingten gehörlosen Samenspenders einen Embryo bestellt, aus dem sich - wunschgemäß - ein taubes Kind entwickelte. Die Kinder dürfen nicht anders sein, als sie selbst sind. Bewusste Fremdbestimmung über ein Leben!
Die Reproduktionstechnologie macht es möglich, dass ein Kind zukünftig fünf Elternteile hat: Biologische Eltern, soziale Eltern, die den Embryo austragende Leihmutter. Unabsehbar ist allerdings, welchen Einfluss diese Möglichkeiten auf das Kind haben. Bestellt und nicht abgeholt.
Darum sage ich hier ganz deutlich: Die Vorstellung, alles machen zu können, führt in die Irre und zu einer ethischen Schieflage.
Die Hoffnungen auf ein nach eigenen Vorstellungen herstellbares Designerbaby sind ebenso trügerisch wie das Vorhaben, das eigene Sterben nach Kriterien eigener Wünsche gestalten zu wollen. Nach christlicher Auffassung ist es ganz klar: Das Leben bleibt zuerst und zuletzt eine Gabe, ein Geschenk aus der Hand Gottes, und erst dann eine Aufgabe, die unser Handeln nach ethischen Vorgaben und Maßstäben verlangt. Eine letzte Verfügung über uns selbst haben wir weder am Anfang noch am Ende unseres Lebens. Dies zu respektieren bedeutet überhaupt keinen Verzicht auf medizinisch-therapeutisches Handeln, sondern lässt dies erst wirklich menschlich und hilfreich sein.
Die Vorstellung, Krankheit an sich ließe sich allein medizinisch-technisch in den Griff bekommen, ist und bleibt deshalb eine gefährliche Illusion. Sie führt die Medizin in einen Machbarkeitswahn mit Folgen, die niemand wollen kann: die Züchtung des perfekten Menschen.
Die Kirche, meine sehr verehrten Damen und Herren, muss ihre Überzeugungen über den Menschen und seine Würde, über die rechte soziale, ökonomische und staatliche Ordnung im gesellschaftlichen Diskurs geltend machen. Sie versteht sich dabei als Anwalt eines wirklich menschenwürdigen Lebens und als leidenschaftlicher Streiter für die Unverfügbarkeit des Menschen. Hier aber könnte gefragt werden, ob wir uns damit nicht in einem binnentheologischen Gespräch bewegen, bei dem wir bestenfalls innerhalb der Kirchenmauern oder innerhalb kirchlicher Akademien Mehrheiten für unsere Überzeugung finden können? Keineswegs, denn auch 'nichttheologische' Begründungen führen zu der Erkenntnis, dass die Menschenwürde dem Menschen allein schon aufgrund seines Menschseins zukommt und jeder rechtlichen Regelung vorgängig ist.
Es ist mir wichtig zu betonen, dass wir hier keine binnentheologische oder binnenkirchliche Sondermoral vertreten. Vielmehr bildet das Prinzip der Menschenwürde, in dem die Unantastbarkeit auch der körperlichen Existenz des Menschen verankert ist, nicht nur die Grundlage unserer demokratischen Verfassung, sondern eben auch einen breiten Konsens der Verständigung innerhalb der Gesellschaft.
Durch aktuelle Entwicklungen in Wissenschaft und Gesellschaft wird der Mensch als Person und in Beziehung zu anderen Menschen nicht nur gestärkt, nein, er verkommt allmählich zum Spielball seiner eigenen Experimente. In einer Zeit, in der alles reproduzierbar ist, sind wir nun beim sich selbst produzierenden Menschen angekommen.
So aber wird der Mensch zu einem austauschbaren, x-beliebigen Ding, die Frage der Menschenwürde wird ganz langsam und unauffällig in die nach dem Wert eines Menschen verschoben. Nicht zufällig drängen sich in die zuletzt so forcierte Debatte um Biotechnologie auch ökonomische Fakten und der Druck, ‚Menschenwürde‘ gegen den ‚Spitzenplatz‘ abzuwägen. Unbestritten: Gerade angesichts schwieriger wirtschaftlicher Situation kann eine ausgelassene ökonomische Gelegenheit ein –auch sozialethischer- Fehler sei. Aber zurückgefragt: Gilt denn deshalb schon der suggerierte Umkehrschluss, die Ökonomie bestimme fortan die moralische Grundrichtung?
Der Begriff ‚Wert‘ ist belegt von der Welt von Wirtschaft, Geld und Macht: Wir kennen Grenzwerte, Messwerte oder Geldwerte. Ihnen ist gemeinsam, dass sie von der Definition, Verhandlung und Absprache unter Menschen abhängen. Messwerte können statistisch ermittelt werden, Preise müssen zum Verkauf immer noch gedrückt werden, Kurswerte unterliegen den Schwankungen der Tagesmärkte.
Ein Wert hängt von Bewertungen und Kriterien ab, er kann sich verändern und - gegen Null tendieren. Würde dagegen hat mit diesem Denken und Reden in Bewertungsmaßstäben nichts zu tun. Sie kommt einem Menschen zu, eben weil er Mensch ist. Würde des Menschen bedeutet gerade, dass der Mensch sich nicht selbst bewerten muss und kann, dass er aber vor allem auch der Bewertung durch andere entzogen ist. Deshalb ist es höchst bedenklich, Menschen in Kategorien von Wert einzuordnen. Die Kehrseite von wertvoll heißt dann neben wertlos bald auch unwert. Der Mensch maßt sich an, das Schicksal für andere Menschen bestimmen zu können: Eine erschreckende Maßlosigkeit, eine Allmachtsphantasie, die die Realität des Menschen, seine Möglichkeiten und Grenzen nicht annimmt. Jeder Mensch und alle Menschen gleich sind Gottes Ebenbild! Darin liegt die Würde des Menschen so unverdient wie unantastbar! Weil der Mensch durch diese Gottebenbildlichkeit bleibend auf Gott bezogen bleibt, ist er dem Zugriff anderer Menschen entzogen.
Das Potenzial der Medizin und Gentechnik verführt die einen zu einer Machbarkeits-Euphorie im wörtlichen Sinn, die anderen zu einer völligen Ablehnung, beides sind falsche Extreme: Es gilt, in dieser Zeit in hohem Masse Sensibilität und moralische Kompetenz fortzuentwickeln.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
das Friedrich-Ebert-Krankenhaus in Neumünster veranstaltete Mitte der Neunziger Jahre ein philosophisches Symposium mit dem Titel „Der Mensch ist kein Ding“. Der Titel des Symposions wiederum geht zurück auf eine Formulierung des Sozialpsychologen Erich Fromm, der bereits 1957 einen Aufsatz so betitelte: „Man is not an Thing - Der Mensch ist kein Ding“.
Fromm prangert in diesem Text, den er übrigens später als einer seiner wichtigsten Aufsätze bezeichnete, nicht nur die Verdinglichung und Entfremdung des Menschen in der Arbeitswelt an, sondern auch die subtilen Verdinglichungsprozesse in sozialen und auch therapeutischen Beziehungen. Mit großer Emphase stellt er das Ganzheitliche des Menschen und seine Integrität Verdinglichungs- und Instrumentalisierungstendenzen gegenüber. Erich Fromm schreibt, und es darf durchaus der religiöse Anklang herausgehört werden: „Der Mensch... kann nicht auseinandergenommen werden, ohne zerstört zu werden, er kann nicht manipuliert werden, ohne Schaden zu nehmen, und er kann nicht künstlich reproduziert werden. Wenn der Mensch sich in ein Ding verwandelt, wird er krank, ob er es weiß oder nicht.
Während das Leben schon in seiner biologischen Dimension ein Wunder und Geheimnis ist, ist der Mensch in seiner menschlichen Dimension sich selbst und seinem Nächsten ein unergründbares Geheimnis.“ Vergessen wir aber diese Dimension, wird eine schiefe Ebene beschritten, deren Wirkung Fromm lakonisch so beschreibt: „Wenn der Mensch sich in ein Ding verwandelt, wird er krank, ob er es weiß oder nicht“.
Die Fortschritte in Forschung, Gentechnik und Medizin können außerordentlich segensreich wirken, sie können auch zum Fluch werden. Das geschieht, wenn sie offen oder insgeheim der Versuchung nachgeben, einen neuen, perfekten Menschen produzieren, designen zu wollen. Der wird schnell zu einem Götzen, auf dessen Altar Menschenopfer dargebracht werden. Hierzulande Kinder mit Down-Syndrom, anderswo Mädchen wegen ihres Geschlechts, heute Kinder mit schweren Erbleiden, morgen solche, denen es an Intelligenz, Schönheit oder einfach an Erfolgsaussichten mangelt. Genetisch veranlagte Fettleibigkeit und Legasthenie gelten in den USA als Abtreibungsgrund: Die schöne, neue Welt des gläsernen Genoms.
Ich möchte abschließend mit einem Begriff des jüdischen Philosophen Hans Jonas nachdrücklich dazu auffordern, durch immer wieder konkrete Gestaltung des Prinzips Verantwortung eine regelrechte Kultur des Lebens zu entwickeln. Dabei gilt es insbesondere, die Würde des Menschen, die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit, ebenso wie die Selbstbestimmungsrechte und die Persönlichkeitsrechte zu achten, die dem Menschen als geschöpfliche Existenz zukommen. Angesichts der besonderen Verantwortung, die dem Menschen heute besonders durch Wissenschaft und Technik zugewachsen ist, schreibt Hans Jonas: „Es ist die Frage, ob wir ohne die Wiederherstellung der Kategorie des Heiligen, die ... zerstört wurde, eine Ethik haben können, die die extremen Kräfte zügeln kann, die wir heute besitzen.“
Mit dem Heiligen meint Jonas das Unverfügbare, das Unverletzliche. Heilig ist, was wir nicht gebrauchen, nicht benützen, nicht instrumentalisieren dürfen, was der menschlichen Verfügbarkeit entzogen bleibt. Wer dieses Heilige vergisst, wer die Dimension des Geheimnisses übersieht oder gar bewusst ausschaltet, zerstört letztlich das Menschsein des Menschen. So gehen wir als Menschen verloren und produzieren Verlorene.
Gerade eine Zeit, die das Heilige verloren zu haben scheint, bedarf erneut der Dimension der Ehrfurcht, die dem neuen Raum gibt. Eine solche Haltung erkennt im eigenen Leben an, dass es eine ganz andere Dimension gibt, ‚etwas’, das wir nicht machen können, das wir nicht in der Hand haben und das wir auch nicht in unsere Verfügungsgewalt nehmen dürfen.
Der Fortschritt in Medizin und Forschung wird auch weiterhin dringend auf eine solch wache Beobachterin, kritische Begleiterin und sensible Wächterin wie die Kirche angewiesen sein! Insofern bin ich froh über die Gelegenheit zu diesem Gesprächsabend und danke Ihnen nun für Ihre Aufmerksamkeit!