Bischof Dr. Gebhard Fürst: Kurzvortrag / Eingangsstatement zu ‚Krankheit, Heil und Heilung’ 2003

Stuttgart, Kassenärztliche Vereinigung

1. Krankheit und Gesundheit Religiosität und Glaube können auf vielfältige Weise heilen und heilsam sein. Wenige Menschen wissen aber, wie sie ihre Religiosität für die Heilung fruchtbar machen könnten.

Die Menschen ve r langen heute eine schnelle und sichere Wirkung. Religiosität und Glaube wirken j e doch nicht wie eine Tablette, die man schlucken kann, und nach fünf Minuten geht es einem besser. Der therapeutische Effekt von Religiosität hat immer mit Arbeit an der eigenen Persönlichkeit zu tun. Außerdem ist die Wirkung von Mensch zu Mensch unterschiedlich: Bei einem wirkt Religiosität heilend, dem anderen hilft sie, besser mit der Krankheit umzugehen.

Es gibt allerdings auch krankmachende Gottesbilder. Die Vorstellung, dass ein stre n ger Gott die Menschen mit Krankheiten für Sünden und Fehler strafen kann, macht neurotisch und körperlich krank. Gott hingegen als liebevolle, wohlwollende Macht zu sehen, beeinflusst die Gesundheit positiv. Erschwerend kommt die institutionalisierte Trennung von Leib und Seele dazu. Jahrhunderte lang war die Medizin verantwortlich für den Leib und die Kirche für das Seelenheil. Diese Kluft ist immer noch so tief, dass sie kaum zu überbrücken ist. Aber natürlich hoffe ich, dass der Dialog zwischen Medizin und Theologie, wie er auf dieser Veranstaltung stattfindet, Möglichkeiten zumindest andeutet, mit denen man diese Kluft überwinden kann. Grundsätzlich aber ist im Christentum und im christlichen Glauben "heilendes" Potential vo r handen. Das Christentum hat da viel zu bieten; so kennen die christlichen Kirchen etwa verschiedenste Meditationsformen.

Wahrscheinlich wirken aber hierbei mehrere Faktoren zusammen: Religiosität fördert in der Regel die sozialen Beziehungen, und diese soziale Einbindung kann vor Einsamkeit und Depression schützen. Daneben gibt es eine rein physische Wirkung: Gebet und Meditation wi r ken entspannend und reduzieren Stress. Es hat sich gezeigt, dass Patienten, die meditieren, nach einer Operation weniger lang bettlägerig sind und weniger Schmerzmittel brauchen. Meditation kann aber auch in der Prävention von durch Stress bewirkten Krankheiten helfen. Nicht zuletzt scheinen Menschen mit religiöser Überzeugung auch bessere Strat e gien zur Bewältigung von leidvollen Erfahrungen zu haben als nichtreligiöse. Sie vertrauen auf eine liebevolle Macht, die stärker ist als menschliche Umstände.

Das kann helfen, leidvollen und krankmachenden Erlebnissen einen Sinn abzugewinnen und sie ins Leben zu integrieren. Religion kann die mit Schicksalsschlägen verbu n denen Gefühle wie Sinnlosigkeit oder Verlust von Selbstachtung positiv beeinflu s sen. Der Glaube an eine positive transzendente Macht ist eine Quelle des Trostes und der Hoffnung. Aber die christlichen Kirchen haben es in der Vergangenheit häufig nicht verstanden, diese Potentiale für die Heilung fruchtbar zu machen.

Ich habe schon häufig Menschen kennen gelernt, die gläubig waren, aber ihre Krankheit und ihren Glauben nicht zusammenbringen konnten. Der Glaube kann positiv auf die Gesundheit wirken, aber die Menschen wissen nicht, wie sie ihre Religiosität dafür nutzen können. Die Trennung von Leib und Seele hat sich uns tief eingeprägt: Wenn ich krank bin, gehe ich zum Arzt, und sonntags gehe ich in die Kirche. Aber den Zusammenhang von Glaube und Gesundheit sehen Menschen häufig nicht. Allerdings rate ich zur Vo r sicht: Wenn große Versprechungen gemacht werden wie "Meditieren sie und sie sind nach zwei Wochen gesund" oder etwas als Wunderheilmittel angepriesen wird, sollte man kritisch sein.

Den christlichen Glauben für die Heilung fruchtbar zu m a chen ist nicht so geradlinig und wirkt nicht von heute auf morgen, das ist viel ko m plexer. 2. Orientierung an Lebenspraxis Jesu als Zugang zu heilem Leben Der modernen Medizin geht es um Heilung. Das Heil interessiert in der Regel weniger. Theologie und christlicher Glaube könnten klar machen, dass zur Heilung mehr gehört als nur die Wiederherstellung des Körpers.

Der Mensch ist mehr als eine Maschine, die rep a riert werden muss. Wenn nicht der ganze Mensch - Leib und Seele! - mit der Heilung mitkommt, dann ist e ben der Mensch nicht heil. Die biblischen Texte enthalten eine Vielzahl von Aussagen über den Menschen in Krankheit, Heilung und Gesundheit. Basis des biblischen Menschenbildes sind folgende Züge des Me n schen: Der Mensch ist nach biblischem Verständnis von Gott geschaffen. Er kann sein Leben nur im Verhältnis, in der Beziehung zu Gott und als Mitglied der menschlichen Gemeinschaft leben. Das Leben impliziert Vitalität, Kraft, Aktivität und Freiheit. Herr des Lebens ist Gott selbst, er kann es geben und nehmen. Der Mensch agiert und kommuniziert mit seinem Körper. In und mit einzelnen Organen und Körperteilen werden einzelne Fähigkeiten des Menschen beschrieben, etwa die Handlungsfähigkeit durch die Hände oder die Erkenntnis- und Komm u nikationsfähigkeit mit den Augen und Ohren.

Die biblischen Texte kennen keine Trennung von Leib und Seele. Sie beschreiben Krankheit als eine umfassende St ö rung des Lebens des Menschen, die sich auf seine körperliche, soziale und religiöse Situation auswirkt. Die Krankheit wird als Schlag einer höheren Macht verstanden und als Situation der Schwäche, des akuten Lebensmangels und der Todesnähe empfunden. Einziger Ausweg aus der Krankheit ist die Hilfe Gottes.

D a bei dürfen wir sicher sein, dass Gottes Wille sich auf das ganzheitliche Heil des ganzen Menschen und auf das umfassende Gelingen unseres Lebens richtet. Wie die Verwirklichung dieses Willens Gottes au s sieht und geschieht, zeigt sich nach christlicher Überzeugung in Jesus Chr i stus. Heilungen sind in Jesu öffentlichem Wirken zentral. Sie gehören so sehr zu ihm, dass die Christenheit ihn mit dem Ehrennamen Heiland versehen hat. Schauen wir kurz auf die Etymologie des Begriffs ‚Heiland’, der als Partizipialkonstruktion zum althochdeutschen Verb ‚heilan’ auf ein semantisches Wortfeld verweist, das eine erstaunliche Nähe zwischen Christus-Glauben und Medizin eröffnet.

1 In einem solchen, außerordentlich weit gezogenen Rahmen können auch die zahlreichen dokumentierten Zeugnisse über Jesus als Arzt oder Apotheker 1 Vgl. hierzu ausführlich und mit interessanten historischen Beispielen: Markwart Herzog, Christus medicus, apothecarius, samaritanus, balneator. Motive einer ‚medizinisch- pharmazeutischen Soteriologie’, in: Geist und Leben (6/1994), bes. 419-421. Ausführlicher aus pastoraltheologischer Perspektive: Josef Goldbrunner, Seelsorge – eine attraktive Aufgabe. Bausteine zu einer Pastoraltheologie, Würzburg 1990, darin bes. IX. Seelsorger und Arzt am Krankenbett, 86-93. gesehen werden. 2 An diesen Begriffen wird ein bestimmter, wesentlicher Aspekt der gesamten Sendung Jesu als ‚Heiland’ verständlich.

Da Krankheit in vielen Religionen als Folge sündhaften Verhaltens und Ausdruck einer gestörten Gottesbeziehung gesehen wird, ist die Heilungstätigkeit Jesu auch in dieser Dimension zu verstehen: Wem der Heiland Sünden 3 vergibt (etwa Mk 2,5), wen er so mit Gott wieder versöhnt, der kann darin auch Heilung von physisch-psychischer Krankheit erfahren. Durch Jesu ‚ärztliche Praxis’ wird ‚Gesundheit’ wiederhergestellt. Insofern ist Jesus Christus für die Menschen, denen er nahe kommt, ein wirklicher Heiland in vielen Belastungen, Verkrümmungen und Krankheiten (vgl. etwa Mt 11, 28-30).

In der Kraft Gottes macht er Menschen heil an Seele und Leib. Jesus weiß sich gesandt, die „gebrochenen Herzen“ zu heilen und den mit der Todeswunde geschlagenen Menschen zu sich selbst zu erheben. 4 2 Vgl. zum folge nden den instruktiven Aufsatz von Markwart Herzog, Christus medicus, apothecarius, samaritanus, balneator. Motive einer ‚medizinisch-pharmazeutischen Soteriologie’, in: Geist und Leben (6/1994), 414-434. 3 Vgl. hierzu die hellsichtige etymologische Beobac htung von Jürgen Werbick und Gotthard Fuchs: „Das deutsche Wort Sünde (von Absondern) ist ja das genaue Widerwort zur Heiligkeit.“ In: Gotthard Fuchs/Jürgen Werbick, Scheitern und Glauben. Vom christlichen Umgang mit Niederlagen, Freiburg 1991, 118. 4 Vgl. Eugen Biser, Die Entdeckung des Christentums. Der alte Glaube und das neue Jah r tausend, Freiburg i.Br. 2000, 363.

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