Stuttgart
In Sorge und Zuversicht
Eine Zeitansage
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
verehrte liebe Gäste!
In Sorge und Zuversicht – so schreibe ich über meine Neujahrsansprache 2017. Große Sorge und zugleich feste Zuversicht erfüllen mich, wenn ich zurückblicke und ins neue Jahr vorausschaue.
Die Bilder von Aleppo verfolgen mich: „Eine Hölle auf Erden“, nannte der scheidende UN-Generalsekretär Ban Ki-moon die verlassene und ausgebombte Stadt. Sie steht für Vieles! Und so wäre noch vieles zu nennen. Einiges werde ich im Verlauf meiner Rede ansprechen.
Die besonders herausfordernde Frage für 2017 und die kommenden Jahre wird sein: Wie begegnen wir den Geflüchteten und den weiter bei uns Schutzsuchenden? Wird uns Integration gelingen?
Wir stehen vor der Bundestagswahl: Noch nie habe ich so sorgenvoll auf Zustand und Zukunft der Demokratie in Deutschland geschaut. Wie erfolgreich werden populistische Parolen sein? In diesem Zusammenhang stellt uns die umfassende Digitalisierung unserer gesamten Lebenswelten vor große Herausforderungen.
In Europa stehen wir noch vor anderen wichtigen Wahlen. Wie steht es um Europa? Und wie werden wir als Kirche die europäische Vereinigung voranbringen? Alle Christen sehe ich hier in besonderer Verantwortung. Aber die katholische Kirche in besonderer Weise.[1]
Lichtblicke und Hoffnungszeichen
Bei all den sorgenvollen Blicken auf die Gegenwart möchte ich die Lichtblicke und Hoffnungszeichen nicht übersehen. Und sie sind da, die Lichtblicke und Hoffnungszeichen, die Mut machen, die Zukunft zu gestalten.
Hoffnungszeichen und Lichtblicke sind Menschen, die nicht aus Hass und Feindschaft handeln, sondern aus Liebe zum Nächsten. Ich meine die vielen haupt- und ehrenamtlich Handelnden, die Menschen auf der Flucht helfen und ihnen ganz konkret in den Kapillaren des alltäglichen Lebens beistehen. Hoffnungszeichen und Lichtblicke sind die Menschen, die in großer Mehrheit nicht vorurteilsgesteuert sind, die nicht ideologisch aufgeladen sind und agieren, sondern verstehen wollen, um verantwortlich handeln zu können.
Hoffnungszeichen und Lichtblick war und ist das Jahr der Barmherzigkeit und ein Papst, der so unmissverständlich darauf hinweist, was christliche Religion zu sein hat. Franziskus, der nicht nur redet, sondern die Entmutigten, die Verängstigten, Verwundeten und Verlorenen besucht, nicht wegschaut und unermüdlich zu Frieden aufruft und ohne Unterlass um Friede und Versöhnung betet; der in seiner Person ein lebendiges Zeichen der Barmherzigkeit Gottes ist. Er mahnt uns durch sein Beispiel. Durch die Zeichen der Barmherzigkeit, die er setzt, nimmt er uns in die Pflicht!
Hoffnungszeichen und Lichtblick mit Zukunft war und ist das Martinsjahr im Martinsland, das wir 2016 begangen haben. Wie das Martinsjahr vom 11. November 2015 bis zum 11. November 2016 verlief, hat mich sehr positiv überrascht. Viele haben sich erstaunlich engagiert. Und was erreicht wurde, ist in das Leben der Diözese Rottenburg implementiert und wird nachhaltig weiterwirken. Was dieses bedeutet möchte ich noch eigens ausführen.
Auch in der Ortskirche gibt es hoffnungsvolle und zukunftsvolle Zeichen. Ein Beispiel ist, trotz allem Mangel, der doch bestehende Nachwuchs bei unserem pastoralen und kirchlichen Personal: Seit vielen Jahren sind viele Menschen, Männer und Frauen, auf dem Weg in den Dienst der Kirche zu einem kirchlichen Beruf und Amt. Gegenwärtig liegt die Anzahl derer, die sich nach den theologischen Hochschulabschlüssen – die für das Ergreifen eines kirchlichen Berufs Voraussetzung sind – bei 268 Personen, die sich in der pastoralpraktischen Vorbereitung auf die pastoralen Dienste und Ämter unserer katholischen Kirche in Württemberg befinden.[2]
Das gemeinsame Zeugnis der Christen in der Ökumene wird immer wichtiger. In diesem Jahr feiert die Evangelische Kirche den 500. Geburtstag der Reformation. Aus Anlass dieses Reformationsgedenkens werden deshalb die Evangelische Landeskirche von Württemberg und die Katholische Kirche von Rottenburg-Stuttgart zeichenhafte gemeinsame ökumenische Gottesdienste feiern. In ihnen und durch sie werden wir den christlichen Glauben bezeugen, verkündigen und, wo immer möglich, gemeinsam aus dem Geist der frohen Botschaft handeln.
All das sind Hoffnungszeichen und Lichtblicke für 2017, die Mut machen und uns zuversichtlich sein lassen.
1. Folgen der digitalen Revolution – Sorge um die Beeinflussung der Wahlen in Deutschland
Es ist gut, dass wir alle zusammenstehen, denn wir leben in turbulenten Zeiten. Von einem epochalen Wandel wird im Zusammenhang mit der Digitalisierung immer wieder gesprochen.
„Für die digitale Weltveränderung hat jedes Epochenmaß seine Gültigkeit verloren“, schreibt Volker Gerhardt, Professor für Praktische Philosophie an der Berliner Humboldt-Universität.[3] „Es gibt kein Vorbild, an dem man sich orientieren, oder das man absichtlich demontieren könnte.“
Auf den zahlreichen Onlineplattformen und in den sozialen Netzwerken erleben wir zunehmend: einerseits den positiven Austausch und die beeindruckend schnelle Information über politische und gesellschaftliche Ereignisse überall auf der Welt, die zu mehr Medienvielfalt führt, und andererseits erleben wir die bedrohliche Gefahr von Falschmeldungen und die Verbreitung von Hass und Häme im Netz. Die sich beschleunigende digitale Revolution verstärkt die Turbulenzen, in denen wir uns weltweit befinden. Teilweise macht die globalisierte Digitalisierung der Kommunikation und der Information, der sogenannten „Nachrichten“, diese erst möglich.
Zu dem, was uns in diesem Jahr Sorge bereitet, gehören deshalb auch die anstehenden Wahlen zum Deutschen Bundestag. Es ist zu befürchten, dass die Wahlen im Wahlkampf durch die gegenwärtig verfügbaren Technologien im Internet beeinflusst werden könnten.[4] Da bereits in anderen Ländern durch das Internet Wahlbeeinflussungen stattgefunden haben, ist diese Sorge nicht unberechtigt. Mithilfe von Fake-Accounts und sogenannten Social-Bots, die eine menschliche Identität vortäuschen und massenhaft Einträge bei Diensten wie Twitter oder Facebook generieren, entsteht eine Lawine an Desinformation, die die Menschen gezielt in die Irre führt. Diese sich automatisch vervielfältigenden gefakten Nachrichten verzerren die politische Diskussion, nehmen auf das Wahlverhalten Einfluss und vergiften die Kommunikation.[5]
Fakes, Gerüchte, Hackerattacken, Verschwörungstheorien führen zu Vertrauensverlust und Desorientierung und schaden dem Gemeinwesen.
Durch die sich im Internet über spezielle Portale, Kanäle oder elektronische Techniken millionenfach automatisch verbreitenden Fakes entstehen Gerüchte, Denunziationen und Desinformationen. Diese gefährden und beschädigen das Vertrauen unter den Menschen. Eine verhängnisvolle Desorientierung ist die Folge mit all den negativen Konsequenzen für das Gemeinwesen.
Ein zeitkritischer Künstler des 20. Jahrhunderts, Paul Weber (1893–1980), hat diese große Gefährdung des gesellschaftlichen, persönlichen und öffentlichen Zusammenlebens durch Fakes, Gerüchte und Desinformation in einer furchterregenden Lithographie gewissermaßen künstlerisch visualisiert. Paul Weber hat sich als Diagnostiker seiner Zeit erwiesen und die erschreckenden Wirkungen der Unmenschlichkeit eindrücklich dargestellt. Heribert Reinoss, Interpret dieser Grafik, schreibt: „1943 entstand die vielleicht genialste Insbildsetzung Webers: das durch triste Großstadtstraßen sich schwingende, erbarmungslos Individuen mordende Gerücht. Wer ihm nachläuft, verliert jede Eigenexistenz, wird zu einem Teil von dessen unaufhaltsamer Vergrößerung. Menschen stellen sich stramm, um ihr Rückgrat hinzugeben; danach vermögen sie nicht mehr aufrecht zu gehen, … entsetzlich wird deformiert, wer Haltung, Aufrichtigkeit preisgibt.“[6] [Bild: „Das Gerücht“, externer Link]
Die gefährliche Wirkung der gefakten „Nachrichten“ ist, dass diese Lügen im Netz, die Gerüchte und Verschwörungstheorien nicht nur Verwirrung stiften, sondern dass sie eine gefakte virtuelle Wirklichkeit erzeugen, die mit dem, was wirklich in der Welt vorgeht, nichts mehr zu tun hat. Diese virtuelle Wirklichkeit verselbständigt sich und wird so selbst zu einer Form von Realität. Namhafte Kultursoziologen und Philosophen beschreiben das, was solchermaßen und auf diese Weise geschieht.
William Isaac Thomas (1863–1947), amerikanischer Soziologe, schreibt in seinen Untersuchungen über das Verhältnis von Individuum und Kultur: „Wenn Menschen Situationen als real behaupten, sind sie in ihren Konsequenzen real.“[7] Das Thomas-Theorem lautet im Hinblick auf Wirkungen von Fakes: „Eine Situation wird als real definiert, wenn sie nur genügend Leute als real betrachten.“
Bazon Brock, Kunsttheoretiker und Philosoph stellt in diesem Zusammenhang fest: „Was immer man für wahr hält, wird durch die Konsequenzen des Dafürhaltens wahr im Sinne von wirklich.“[8]
Fake News haben direkte Auswirkungen auf die individuelle und öffentliche Meinungsbildung. Dies zeigt sich zum Beispiel in puncto Flüchtlingsfragen und der Flüchtlingspolitik.
Gefahren des postfaktischen Verhaltens im postfaktischen Zeitalter
Anfang Dezember hat die Gesellschaft für deutsche Sprache das Wort „postfaktisch“ zum Wort des Jahres 2016 erklärt. Ein Vorgang, der nicht nur zu denken gibt. In den USA haben wir einen Wahlkampf erlebt, in dem Manipulation und gezielte Falschnachrichten deutlicher im Vordergrund standen als gesicherte Fakten und auch als die fachliche Kompetenz der Kandidaten oder Wahlprogramme. Falschinformationen im Internet verbreiten sich in Windeseile und versenden die Desinformation in alle Winkel der Welt.
Was in einer humanen Kultur und Zivilisation aber erwartet werden muss und von den Mitgliedern dieser Kultur als ihre spezifische Kulturleistung erbracht werden muss, ist: Zumindest das redliche Bemühen um die Wahrheit, die Bemühung, in den Aussagen um die Übereinstimmung mit den Fakten, mit der Wahrheit, die mehr ist, als die Ansammlung von Fakten.
Die Lüge als Zerstörung des Vertrauens
Fakes, gezielte Falschinformationen, sind Lügen, die bewusst eingesetzt werden im zwischenmenschlichen Bereich – im gesellschaftlichen Zusammenhang – in Handel und Politik: und das in der Einen Welt. Gerüchte verunsichern die Menschen in ihrem Miteinander und in ihrer Urteilsfindung, die notwendig ist zur Orientierung und zu einer gelingenden Lebenssouveränität. Bei den schon heute beobachtbaren, erlittenen und erschreckenden Folgen zeitigenden Auswirkungen liegt der Aufruf nahe: Du sollst nicht das für humanes Miteinander konstitutive Vertrauen zerstören. Denn sonst wird das Gemeinwohl geschädigt und auch das individuelle Miteinander von Personen verletzt! Das biblische Gebot: „Du sollst nicht lügen“, ruft letztlich zu nichts anderem auf.[9]
Die Aktualität eines Gebotes
„Du sollst nicht lügen“, steht in den Zehn Geboten der jüdisch-christlichen Überlieferung. Angesichts der von mir beschriebenen Risiken der digitalen Globalisierung wird die Aktualität einer fast 3.000 Jahre alten Botschaft als Kulturerbe der Menschheit für gegenwärtige Entwicklungen klar erkennbar. In mehrfacher Ausführung steht dieses Gebot in der Bibel. „Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen“, ist der klassische Wortlaut der Szene der Übergabe der Zehn Gebote an Mose am Berg Sinai im Kontext des Auszuges des Volkes Israel aus dem Sklavenhaus in die Freiheit. (Ex 20,16): „ Du sollst nicht lügen“, lautet das achte der Zehn Gebote.[10]
Salvador Dalí, Großmeister und Genie des Surrealismus, schuf 1975 als erklärte Krönung seines künstlerischen Schaffens: Die Zehn Gebote auf zehn Silbermünzen. Die aus dem Mund des Lügners heraustretende Drachen-Schlange der Münze mit dem Achten Gebot „Du sollst nicht lügen“, erinnert an das Gerüchtemonster von Paul Weber. Die Drachen-Schlange wird bei Dalí mit Pfeilen attackiert und ihr Lügen-Rachen angegriffen. „Du sollst nicht Falsches gegen deinen Nächsten aussagen“ (Dtn, 5,20). „Du sollst nicht lügen!“ Diese Menschenpflicht wird uns hier ausdrucksstark und eindrucksvoll im Kunstwerk vorgestellt. [Bild: „Das achte Gebot“, externer Link]
Auch der Dichter Thomas Mann setzt sich in seinem literarischen Schaffen mit den Zehn Geboten auseinander. In seinem Manifest gegen den Faschismus nennt Thomas Mann in seiner Novelle „Das Gesetz“ die Zehn Gebote „Das Grundgesetz des Menschenanstandes“ bzw. „Das ABC des Menschenbenehmens“. Er lässt Gott am Sinai zu Mose sprechen: „In den Stein des Berges metzte ich das ABC des Menschenbenehmens, aber auch in dein Fleisch und dein Blut, soll es gemetzt sein, Israel“[11]
Heute heißt das: „Wir müssen uns als Weltgemeinschaft auf ein gemeinsames Ethos verständigen, auf Werte, die wir alle teilen und deren Missachtung von der Gemeinschaft sanktioniert wird.[12] Drachen-Schlangen und Gerüchte-Monster müssen verhindert werden.
Hass und Verrohung im Netz
Sehr geehrte Damen und Herren,
eine besondere Herausforderung stellen die zahlreichen Onlineplattformen dar, die einerseits wertvolle niedrigschwellige Möglichkeiten bieten, sich zu äußern und damit am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Andererseits hat sich gezeigt, dass sie aber auch Raum für respektlose, entwertende Kommunikation geben, die bisweilen Straftatbestände berühren: „Die sozialen Netze sind imstande, Beziehungen zu begünstigen und das Wohl der Gesellschaft zu fördern, aber sie können auch zu einer weiteren Polarisierung und Spaltung unter Menschen und Gruppen führen.“[13]
Was sich an offen oder versteckt rassistischen, volksverhetzenden, ehrenrührigen und gewaltbereiten Äußerungen auf Internetplattformen findet, muss erschrecken und alle politischen und gesellschaftlichen Akteure wie auch die Diensteanbieter zum Handeln auffordern. Das Strafrecht gilt offline wie online; strafrechtlich relevantes Verhalten im Internet ist durch den Staat zu verfolgen. Aber auch die ethisch-moralischen Grundsätze jenseits des Strafrechts, die eine Gesellschaft im Umgang miteinander entwickelt und in der analogen Welt eingeübt hat, dürfen im Netz nicht außer Kraft gesetzt werden: Die richtige Benutzung der sozialen Kommunikationsmittel setzt bei allen, die mit ihnen umgehen, die Kenntnis der Grundsätze sittlicher Wertordnung voraus und die Bereitschaft, sie auch hier zu verwirklichen.[14]
Die Kirche wird ihren Teil dazu beitragen, indem sie in ihren Einrichtungen und in ihrem Bildungs- wie Medienengagement sowie öffentlich auf die Einhaltung der ethisch-moralischen und kulturellen Kommunikationsstandards im Netz hinwirkt. Das Netz darf kein Raum sein, in dem ethisch-moralische Standards nicht gelten und Verantwortung nicht übernommen werden muss.[15]
Praktische Konsequenzen ziehen wir als Kirche konkret in Medienethik und Medienpädagogik.
Konkretion 1: Praktizierte Medienethik und Medienpädagogik durch die entsprechenden kirchlichen Einrichtungen
Zum Ersten unterhält die Diözese in der Fachstelle Medien seit vielen Jahren geeignete Instrumente, um die Entwicklungen in den Medien qualifiziert, professionell und kompetent zu begleiten und in der kirchlichen Medienarbeit zu verwirklichen.[16]
Konkretion 2: Clearingstelle Medienkompetenz
Im Jahr 2012 hat die Bischofskonferenz unter der Federführung der Publizistischen Kommission eine Clearingstelle Medienkompetenz an der Katholischen Hochschule Mainz eingerichtet, um die Angebote der katholischen Kirche zur Vermittlung von Medienkompetenz zu bündeln und nach innen wie nach außen darzustellen. Gleichzeitig entwickelt die Clearingstelle Medienkompetenz Modellprojekte zur Medienkompetenzvermittlung in der Erwachsenenbildung und in der Jugendarbeit (z.B. Multiplikatoren-Schulungen).
2. Gefährdung der Demokratie – Die demokratischen Kräfte stärken
Fake-News, digitale Einflussnahme auf Meinungsbildungs-Prozesse stören unser Zusammenleben, da sie das Vertrauen in das gesellschaftliche Miteinander zerstören. Die sogenannten Filterblasen und Informationsblasen des Netzes können negative Folgen für den Diskurs der Zivilgesellschaft haben, vielfach in die Irre führen und die Urteilsfähigkeit der Menschen beeinflussen. Die Urteilskraft des Menschen als Einzelner und des gesamten Gemeinwesens nimmt schweren Schaden. Diese Entwicklungen gefährden die Demokratie. In dieser Situation gilt es, die demokratischen Kräfte zu stärken.
Die katholische Kirche steht hinter der Demokratie als der besten Staatsform und Gesellschaftsverfassung, da sie die Pluralität der Meinungen, die Toleranz gegenüber verschiedenen Haltungen und den Respekt gegenüber dem Anderen und damit Freiheit gewährleistet.[17]
In diesem Zusammenhang möchte ich auf vier kirchliche Projekte zur direkten oder indirekten Stärkung demokratischen Verhaltens und der positiven Einstellung zur Demokratie aufmerksam machen:
Konkretion 1: Prozess „Kirche am Ort – Kirche an vielen Orten gestalten“
Als erste Konkretion zur Stärkung von Demokratie, zur Förderung des Zusammenwirkens möchte ich den Prozess „Kirche am Ort – Kirche an vielen Orten gestalten“ nennen.
Was ist zu tun, damit die Menschen wieder Vertrauen fassen und zu einer weltbejahenden Haltung finden? Wie kann ein Gefühl von Beheimatung gefördert werden? – Eine Antwort lautet: Indem man den Menschen verstärkt Möglichkeiten eröffnet und aufzeigt, „am Ort“ in überschaubaren zeitlichen und räumlichen Größenordnungen Gesellschaft mitzugestalten. Es geht darum, das Überschaubare gegenüber dem Unüberschaubaren deutlicher in den Vordergrund zu rücken und das Gefühl zu stärken, wahrgenommen und gebraucht zu werden. Das kann nur im sozialen Nahraum gelingen. Die Kirchengemeinden haben hier eine wichtige Funktion und ein großes Potential. Strukturell erfordert dies einen Perspektivenwechsel, den wir mit dem Prozess „Kirche am Ort – Kirche an vielen Orten gestalten“ bereits im Jahr 2015 angestoßen haben. Im Prozess „Kirche am Ort“ machen sich die Gemeinden und kirchlichen Institutionen auf den Weg zur aktiven Mitgestaltung des Nahraums der Menschen. Ein Ziel des Prozesses ist es, dass sich die Kirchengemeinden verstärkt in die Gestaltung der Dörfer und Quartiere einbringen. Dieser zivilgesellschaftliche Ansatz löst zunehmend binnenkirchliche Denkansätze ab.
Insgesamt hat sich bisher bereits gezeigt, dass sich die Kirchengemeinden und Seelsorgeeinheiten des Themas der Kirchenentwicklung mit großem Engagement annehmen. Dafür möchte ich allen Beteiligten meinen Dank aussprechen! Die 2015 neu gewählten Kirchengemeinderäte und Pastoralteams befassen sich bereits aktiv mit der Zukunft der Kirche und erarbeiten vor Ort zukunftsfähige Modelle. Sie nehmen Kontakt auf mit anderen kirchlichen Orten und auch mit ökumenischen und gesellschaftlichen Partnern und vernetzen sich im Sinne der Kirche an vielen Orten.
Diesen Weg unterstütze ich sehr. Nahe an den Menschen zu sein bedeutet auch näher an ihren Lebenswirklichkeiten zu sein: So kann Kirche als Heimat erlebt und erfahren werden und Kraft spenden für das diakonisch-missionarische Potential. Dieser Prozess stärkt den Zusammenhalt und unterstützt das gemeinsame verantwortliche Handeln vor Ort.
Konkretion 2: Unsere Konzeption der Seelsorgeeinheiten
Die einzelnen Kirchengemeinden – 1028 sind es an der Zahl; hinzu kommen die 100 Kirchengemeinden der Katholiken anderer Muttersprache – bleiben mit ihrer spezifisch kirchlichen Infrastruktur bestehen. Jeweils mehrere eigenständige Kirchengemeinden bilden einen pastoral-kooperativen Verbund, um gemeinsam pastorales Handeln zu verwirklichen, das der einzelnen Kirchengemeinde so nicht möglich wäre. So ermöglichen wir die Nähe der Kirche in ihren primären Lebensräumen.
Konkretion 3: Das Projekt „Lebensqualität durch Nähe“ im Kloster Heiligkreuztal
Eine weitere konkrete Antwort auf die Sehnsucht der Menschen nach Beheimatung und Nähe bietet das Kloster Heiligkreuztal. Das Bildungshaus in der Nähe von Riedlingen hat sich in Kooperation mit verschiedenen Partnern zu einem Modellstandort und zu einem Zentrum für nachhaltige Entwicklung im ländlichen Raum profiliert. Mit dem Konzept „Lebensqualität durch Nähe“ bietet Heiligkreuztal zivilgesellschaftlichen Akteuren sowie kommunal und pastoral Verantwortlichen eine Plattform zum Erfahrungsaustausch zu Themen wie „Älterwerden auf dem Dorf“, „Caring Community“, Genossenschaftswesen, „Nahversorgung“, „Energiegenossenschaften“, „Zeitbanken“, „Mobilitätsgestaltung“. Dass die Veranstaltungen einen enormen Zulauf haben, ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass für diesen Bereich eigens eine Personalstelle einer Entwicklungspromotorin geschaffen wurde. Die Stelle, die in den ersten drei Jahren durch die Bischof-Moser-Stiftung gefördert wurde, ist seit 2013 besetzt. Heiligkreuztal ist ein vorbildlicher „Think- ank“ in dem Best-Practise-Erfahrungen gesammelt, erprobt und evaluiert werden. Die Begegnungen evozieren ihrerseits wiederum herausragende Initiativen. Darüber hinaus berät Heiligkreuztal auch Akteure in den Dörfern vor Ort.
Konkretion 4: Demokratie-Förderprogramme des BDKJ
Im Interesse der eigenständigen Lebens- und Zukunftsgestaltung von Kindern und Jugendlichen setzt sich der BDKJ für eine gerechte, solidarische und zukunftsfähige Gesellschaft ein. Er will Mädchen und Jungen, junge Männer und Frauen zu kritischem Urteil und eigenständigem Handeln aus christlicher Verantwortung befähigen und anregen. Dazu gehört der Einsatz für Gerechtigkeit und Freiheit, gegen Unterdrückung, Ausbeutung und jede Form der Diskriminierung. Bei der Suche nach wirkungsvollen Wegen einer bestmöglichen Gestaltung des menschlichen Zusammenlebens fördert der BDKJ die Partizipation von Kindern und Jugendlichen als Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft. So setzt sich der BDKJ beispielsweise dafür ein, dass die strukturelle Benachteiligung von Mädchen und Frauen abgebaut wird.
Demokratie wird im BDKJ und den Mitgliedsverbänden sowie Jugendorganisationen gefördert durch spezielle Informations- und Bildungsangebote für Kinder und Jugendliche, durch Beteiligungsmöglichkeiten und direkte Mitarbeit in den Jugendverbänden, durch demokratische Wahlen der Leitungen auf den verschiedenen Ebenen und von Mitgliedern in Arbeitskreisen sowie Abstimmungen über Jahresprogramme und die direkte Beteiligung an Aktionen und an Verabschiedungen von Stellungnahmen etc.
Konkretion 5: Schülerwettbewerb „Europa bewegt“
Der Diözesanrat hat seit mehreren Amtsperioden einen Ausschuss für Europafragen, positioniert sich immer wieder zu europäischen Themen und pflegt den Kontakt zu EU-Abgeordneten aus dem Land. Vor diesem Hintergrund ruft der Diözesanrat Schüler und Schülerinnen ab der 9. Klasse aller Schularten dazu auf, den populären Heiligen Martin von Tours in der heutigen Situation Europas zum Sprechen zu bringen – in einer fingierten Rede, wie der heilige Martin sie heute vor dem Europaparlament halten könnte, oder in einem Videofilm oder Kunstwerk. Am Europatag 2017 (9. Mai) werden die Gewinner prämiert. Der Aufsatzwettbewerb steht unter der Schirmherrschaft von Ministerpräsident Winfried Kretschmann.
3. Menschen auf der Flucht – Wird die Integration gelingen?
Meine Damen und Herren,
einen dritten Abschnitt möchte ich den Menschen auf der Flucht widmen und die Frage ansprechen: „Wird uns Integration gelingen?“
2016 sind weniger Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Wie sich die Situation 2017 entwickeln wird, ist offen. Die große Aufgabe, die aber heute schon und in den nächsten Jahren vor uns liegt, ist die Integration der Menschen, die zu uns gekommen sind, noch kommen werden und die bei uns bleiben wollen und können.
Ich empfinde Dankbarkeit und großen Respekt, in welch hohem Maß Frauen und Männer in unserer Diözese und weit darüber hinaus im nicht kirchlich gebundenen Raum damals meinem Appell an ihre solidarische Nächstenliebe gefolgt sind und bis heute folgen. Unzählige ehrenamtlich Engagierte innerhalb und außerhalb der Kirchen und sicher Millionen nach wie vor offene und mitfühlende Menschen lassen sich nicht beirren in ihrer Haltung elementarer Menschlichkeit – gegenüber geflüchteten Menschen und überhaupt gegenüber Menschen, die in besonderer Weise auf die Menschlichkeit ihrer Mitmenschen angewiesen sind.
Was die Diözese Rottenburg-Stuttgart, viele Kirchengemeinden, kirchliche Organisationen, Verbände sowie Initiativen Ehrenamtlicher für Flüchtlinge getan haben und tun, das fasst der soeben erschienene aktuelle Flüchtlingsbericht zusammen. Der Bericht trägt den Titel „Sorge der Diözese Rottenburg-Stuttgart für geflüchtete Menschen.“[18] Der Flüchtlingsbericht macht in vielfältiger Weise deutlich, wie viel mitmenschliche Kreativität und Unermüdlichkeit, aber auch welch deutliche institutionelle Entscheidungskraft aus dem biblischen Satz hervorgeht und in ihn einmündet: „Ihr seid nicht mehr Fremde.“ (Eph 2,18)[19]
Die Sorge um geflüchtete Menschen richtet den Blick aber auch auf die weltweiten Ursachen von Flucht und Vertreibung. Sie weist uns die Aufgaben zu, in den Kriegs- und Krisenregionen dieser Erde mit dafür zu sorgen, dass die Menschen bessere Lebens- und Zukunftsperspektiven bekommen und – wenn möglich – ermutigt werden, in ihrer Heimat zu bleiben.
Dies alles – auch das ist eine Dimension des Flüchtlingsberichts – führt zu der Erkenntnis, dass wir als Kirche in und mit der Gesellschaft, deren Teil wir sind, weit über das humanitäre Engagement hinaus eine Vision davon entwickeln und aktiv gestalten müssen, welchem Bild von Gesellschaft und Kirche wir uns verpflichtet sehen. Dafür gibt es für uns nur eine Antwort: eine Gesellschaft und eine Kirche, in der Menschsein in ihrer Vielgestaltigkeit ihr Recht und ihren Raum haben und in der als Zugehörigkeits- und Ausschlusskriterium gleicher- maßen die Anerkennung der unverletzbaren Würde jedes einzelnen Menschen und die aus dieser Menschenwürde sich ergebenden Menschen-, Freiheits- und Bürgerrechte gleicher- maßen gelten.[20] Wir sind es unserer Gesellschaft angesichts all ihrer Herausforderungen schuldig, in diesem Sinne aktiv und gestaltend präsent zu sein. Der prophetische Auftrag ist und bleibt eine starke Motivation und ein Stachel zugleich im kirchlichen Selbstverständnis.[21]
Integration als Gegenwartsaufgabe
Es ist keine Frage: Die Integration der Flüchtlinge verschiedener Kulturkreise und Religionen ist und bleibt auf absehbare Zeit die zentrale Aufgabe. Dabei dürfen wir nicht ausblenden, dass es auch schwierige Situationen und richtige Probleme gibt in der Begegnung von Menschen verschiedener Kulturen, Religionen und Regionen. Beide Seiten müssen hier ihren aktiven Beitrag zum Gelingen der Integration leisten: Diejenigen, die zur Aufnahmegesellschaft gehören, die hier in Deutschland sind und helfen wollen, bilden mit ihrem Beitrag die eine Seite.
Konkretion 1: Projekt „Islamberatung“
Neben vielem anderen, was durch unsere Diözese geschieht, möchte ich ein Projekt besonders vorstellen: Im vergangenen Mai hat die Sitzung des Bischöflichen Ordinariats beschlossen, ein Schulungsangebot zu islambezogenen und asylrechtlichen Fragestellungen durchzuführen. Das auf fünf Jahre angelegte Projekt, das von der Diözese zusammen mit der Akademie Hohenheim verantwortet wird, hat zum Ziel, kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, punktuell aber auch ehrenamtlich in der Flüchtlingsarbeit Tätige sowie auch kommunale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an vier Standorten[22] der Diözese zu islambezogenen und aktuellen asylrechtlichen Fragestellungen zu schulen. Das Qualifikationsangebot, das zusammen mit weiteren inner- und außerkirchlichen Partnern[23] durchgeführt wird, soll durch differenzierte Informationen zu unterschiedlichen Sichtweisen auf den Islam beitragen. Es umfasst insgesamt sechs Module zu Themen wie Grundlagen und Quellen des Islam, Familienleben und Geschlechterrollen und Asylfragen. Das Ziel besteht darin, gemeinsam zu einem konstruktiven Dialog im Alltag zu kommen. Denn dieser ist die Grundvoraussetzung für gelungene Integration. Das Projekt „Islamberatung“ startet im Februar 2017 und ist auf fünf Jahre bis 2022 ausgelegt.[24]
Konkretion 2: Beitrag der zu uns Geflohenen
Zum Gelingen der Integration gehört auch der Beitrag auf Seiten derer, die zu uns gekommen sind und noch kommen werden. Denn auch die empfangenden, gastgebenden und beherbergenden Menschen haben Sorgen und Erwartungen: Erwartungen an die Menschen auf der Flucht, die bei uns in Deutschland bleiben wollen.
Zum Welttag der Flüchtlinge und Migranten am 15. Januar werde ich deshalb einen offenen Brief schreiben an alle, die aus anderen Kulturkreisen und Religionen auf der Flucht zu uns nach Deutschland gekommen sind und die bei uns wohnen und leben. Mit diesem Brief möchte ich diejenigen grüßen, die in unserem Land Schutz suchen. Gleichzeitig möchte ich sie ermutigen, sich in unsere Gesellschaft, die auf der Basis christlicher Grundwerte gründet, einzubringen. Ich möchte sie bitten, unsere Werte und Grundorientierungen, die ihnen eine neue Heimat eröffnen und geben, wertzuschätzen und zu achten. Denn diese Grundwerte ermöglichen es erst, dass wir Menschen auf der Flucht aufnehmen können und wollen. Sie erst ermöglichen es, dass sie aufgrund der aktiven Religionsfreiheit, die unsere Verfassung gewährleistet, ihre Religion bei uns ausüben können.
Konkretion 3: Die „Armen und Bedrängten aller Art“ (GS 1), die Alten und die Menschen mit geringem Einkommen dürfen nicht vergessen werden.
Bei all unseren Bemühungen um Integration dürfen wir insbesondere die Menschen nicht vergessen, die hier in Deutschland zu den „Armen und Bedrängten aller Art“ gehören. Zu ihrer Unterstützung gehört beispielsweise auch die Sorge für die in unserer Gesellschaft ganz am Rande Stehenden.
Sorge für die ganz am Rande Stehenden – „Die Herberge“ in Friedrichshafen
Bereits zum Martinstag 2015 habe ich in Friedrichshafen eine Obdachlosenunterkunft eingeweiht. „Die Herberge“, so der Titel der Einrichtung, möchte Menschen ohne Heimat ein Zuhause bieten. Bundesweit einzigartig an diesem Projekt ist, dass eine katholische Gesamtkirchengemeinde eine derartige Einrichtung trägt. „Die Herberge“ ist ein Zeichen dafür, dass Christen bereit sein sollen, allen Menschen in Not beizustehen und sie nicht auszugrenzen. Sie ist ein gelungenes Beispiel für eine karitativ-diakonische Kirche.
Arbeit teilen – Aktion Martinusmantel
In diesem Jahr feiert die Aktion Martinusmantel ihr 30-jähriges Bestehen. Durch Spenden fördert die Aktion Martinusmantel kirchliche Projekte zur Beschäftigung und Qualifizierung Arbeitsloser. In den Projekten werden vor allem Jugendliche ohne Ausbildung und langzeitarbeitslose Menschen betreut, beraten, geschult und beschäftigt. Im vergangenen Jahr, dem Martinsjahr, habe ich ganz bewusst mit dem „Werkhof Ost“ in Schwäbisch Gmünd und mit dem „subKULTan“ in Aalen zwei Einrichtungen besucht, die im Geist des Heiligen Martinus arbeiten. Auch, um Anerkennung auszusprechen und um die Aufmerksamkeit der Bevölkerung der jeweiligen Stadt für diese Unterstützungsmaßnahmen zu erreichen.
Konkretion 4: Zum Gelingen der Integration gehört es, den bei uns angekommenen Menschen Wohnraum zur Verfügung zu stellen und zu schaffen.
Der Beitrag zum Gelingen der Integration auf Seiten derer, die hier sind und helfen wollen, gehört es, den bei uns angekommenen Menschen Wohnraum zur Verfügung zu stellen und Wohnraum zu schaffen. Viele Kirchengemeinden und ganz private Eigentümer von Wohnraum ermöglichen es geflüchteten Menschen, menschenwürdig zu wohnen.
Bezahlbarer Wohnraum für die sozial Schwachen – Integratives Wohnquartier in Stuttgart-Birkach
Auf dem Grundstück der St.-Vinzenz-Pallotti-Kirche in Stuttgart-Birkach wird unter der Bauträgerschaft des Siedlungswerks bis Mitte 2019 ein sozial gemischtes Wohnquartier entstehen. Auf der 8.000 Quadratmeter großen Fläche werden künftig in acht Gebäuden rund 65 Eigentumswohnungen und eine Kindertagesstätte errichtet. Ergänzt wird das Quartier um Wohngruppen für rund 50 Asylbewerber und weiteren 30 bis 40 Flüchtlingen mit Bleiberecht sowie für 20 Studierende ausländischer Herkunft. Ein großer Gemeinschaftsraum für das gesamte Wohnquartier sowie entsprechend gestaltete Freiflächen sollen das gemeinsame Miteinander fördern.
Der Kirche ein Dorf geben: Das St.-Anna-Quartier in Tettnang
Ein innovatives Bauprojekt ist das St.-Anna-Quartier in Tettnang. Am Rande der oberschwäbischen Stadt entsteht unter dem Motto „Der Kirche ein Dorf geben“ um eine bisher alleinstehende größere Kapelle herum ein neues Wohnquartier mit 130 Wohnungen, in dem Arme und Reiche, Alte und Junge, Familien und Alleinlebende, Menschen mit und ohne Handicaps, Einheimische und „Fremde“ zusammenleben werden. Das St.-Anna-Quartier ist ein Kooperationsprojekt der Kirchengemeinde, der Stiftung Liebenau sowie weiteren Partnern. Gefördert und unterstützt wird dieses Wohnkonzept durch eine qualifizierte Quartiers-Pastoral, wofür auch pastorales Personal zur Verfügung steht.
Konkretion 5: Fluchtursachenbekämpfung
Integration kann nur gelingen, wenn Überforderungen vermieden werden. Das kann dadurch geschehen, dass wir von Deutschland aus den Menschen in den Krisengebieten durch geeignete Maßnahmen helfen, in ihrer Heimat bleiben zu können.
In den diözesanen Haushalten von 2014 bis 2017 sind rund 20 Millionen Euro für die Flüchtlingsarbeit bereitgestellt. Davon je zehn Millionen Euro für Hilfen innerhalb des Diözesangebiets sowie für die Bekämpfung von Fluchtursachen in den Herkunftsländern. Die Mittel der Hauptabteilung Weltkirche werden gezielt für Projekte in aktuell besonders betroffenen Regionen eingesetzt. Dies dient direkt oder mittelbar dazu, dass Menschen wieder Vertrauen fassen, ihre Zukunft in der eigenen Heimat gestalten zu können, anstatt dieser aus Not und Verzweiflung den Rücken zu kehren.[25]
„Pactum Africanum“
Zur Fluchtursachenvermeidung gehört auch, die religionsinduzierten Konflikte durch Begegnung und Dialog der Religionen vor Ort zu mindern beziehungsweise zu vermeiden. Diese Fluchtvermeidungsstrategie im Hinblick auf Afrika unterstützen, heißt konkret: den Dialog zwischen den Religionen anstoßen. Deshalb beteiligen wir uns am sogenannten „Pactum Africanum“, einem internationalen Dialogprojekt zwischen Christen, Juden und Muslimen, das notwendige Beiträge leistet für Verständigung und Frieden unter den Religionen Afrikas.
4. In Sorge für Europa
All diese globalen Probleme können wir nicht betrachten, ohne einen Blick auf unseren eigenen Kontinent zu werfen. Das Jahr 2017 sollte eigentlich ein europäisches Jubeljahr werden. Denn vor 60 Jahren, am 25. März 1957, wurde in Rom von damals sechs Staaten[26] die Grundlage der heutigen Europäischen Union gelegt.
Doch viele Menschen blicken mit großer Sorge ins neue Jahr. Denn in den vergangenen Monaten erlebte Europa zahlreiche Erschütterungen. Der Terror suchte Brüssel, Nizza, Istanbul und Berlin heim.[27] In den vergangenen Jahren ist durch manch kritische Entwicklungen viel Vertrauen in Europa verloren gegangen. Die Gründe hierfür sind, wie wir wissen, vielfältig. Unbestritten ist jedoch, dass vielen Menschen Europa als zu abstrakt erscheint, als zu weit weg. „Europa glaubt nicht mehr an Europa“, titelte der „Spiegel“ vor einiger Zeit und überschreibt damit das Ergebnis einer Umfrage[28] in sechs großen Mitgliedsländern.[29]
Wir sollten immer wieder ins Bewusstsein rufen, dass Europa mehr ist als ein geographischer Begriff. Oft wird vergessen, dass der Europäischen Union etwas gelungen ist, was Europa bis dahin nicht kannte. Europa stabilisierte sich als „Kontinent des Friedens und der Freiheit“[30]. Gerade angesichts der zunehmenden Krisen und Kriege außerhalb Europas ist die Stabilität der Europäischen Einheit ein wichtiger Garant für ein friedliches Zusammenleben hier und in der gesamten Welt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
die Sorge um Europa ist eng verknüpft mit der Sorge für unser gemeinsames Haus Europa.[31] „Nach Jahren tragischer Auseinandersetzungen, die im furchtbarsten Krieg, an den man sich erinnert, gipfelten, entstand mit der Gnade Gottes etwas in der Geschichte noch nie dagewesenes Neues. Schutt und Asche konnten die Hoffnung und die Suche nach dem Anderen, die im Herzen der Gründungsväter des europäischen Projektes brannten, nicht auslöschen. Sie legten ein Fundament für ein Bollwerk des Friedens, ein Gebäude, das von Staaten aufgebaut ist, die sich nicht aus Zwang, sondern aus freier Entscheidung für das Gemeinwohl zusammenschlossen und für immer darauf verzichtet haben, sich gegeneinander zu wenden.“[32] Diese Worte wählte Papst Franziskus in seiner Ansprache bei der Verleihung des Aachener Karlspreises im vergangenen Mai.
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir brauchen neue Signale der Verbundenheit in einer Zeit, in der Europa von Krisen geschüttelt wird und auseinanderzubrechen droht.[33] Das Christentum hat das Gesicht Europas wesentlich geformt. In allen Regionen Europas finden sich Symbole christlicher Präsenz: Kirchen und Klöster, karitativ-diakonische Einrichtungen, Schulen – bis hin zu Wegkreuzen und Kapellen. Auch der Rhythmus der Zeit trägt vielfach eine christliche Gestalt, die vom Kirchenjahr geprägt ist.
5. Die Diözese Rottenburg-Stuttgart als Martinsland
Ein solch christliches Symbol ist die Via Sancti Martini – der europäische Martinus-Pilgerweg. Zusammen mit Erzbischof Burger konnte ich ihn im Herbst 2016 eröffnen. Auf ihm wollen wir Martin von Tours als Leitfigur für ein humanes Europa entdecken und damit einen neuen spirituellen Elan für Europa stiften, der von Ungarn durch Mitteleuropa nach Frankreich reicht.[34] Die Botschaft des heiligen Martin von Tours ist heute deshalb so wertvoll und bedeutend, weil er wie kaum ein anderer die soziale, karitative, aus unseren christlichen Wurzeln entsprungene Dimension unserer europäischen Kultur und Gesellschaft versinnbildlicht. Martin steht seit 1.700 Jahren mit seinem gesamten Leben für die Praxis christlicher Nächsten- liebe. Er ist und bleibt Mahnung an uns Christen, dass die Caritas unter uns lebendig sein und bleiben muss.
Martin ist eine Gründerpersönlichkeit. Unter seinem Schutz stehen die Armen, die Hilfsbedürftigen, die in Not Geratenen. Sie sehen im Bild ein eindrucksvolles Bild der Mantelteilung. Er ist, so meine ich, das „inspirierende Narrativ“[35], eine inspirierende Erzählung, derer wir so dringend bedürfen. Sein in der Biografie des Europäers Martin erlebbares Grundanliegen ist es, Gewalt und Ausgrenzung und kriegerischen Streit abzulehnen und den Menschen heilsam und friedfertig zu begegnen. Martins innerer Antrieb zum barmherzigen und solidarischen Handeln entspringt im Tiefsten seiner intensiven existentiellen Beziehung zu Gott.[36] [Bild: „Martinsaltar von Puigbo“, externer Link]
Ich verstehe den Martinsweg als Lehrpfad für Zuwendung und Menschenfreundlichkeit auf Augenhöhe. Geographisch durchkreuzt der Martinusweg die Flüchtlingsrouten über den Balkan nach Mittel- und Westeuropa. – Ich hoffe und wünsche mir, dass es gelingt, den Martinusweg als Band der christlichen Nächstenliebe, der Humanität und Menschlichkeit, die sich aus dem christlichen Geist speist, den Menschen nahezubringen.
Schluss: In Sorge und Zuversicht
In Sorge und Zuversicht – habe ich die Neujahrsansprache überschrieben. Aus dem Besorgt-Sein soll ein zuversichtliches Sorgen folgen. Was das für die Kirche von Rottenburg-Stuttgart heißt, wollte ich Ihnen für das Jahr 2017 in Auszügen vorstellen.
Ich danke all denen, die sich 2016 schon auf ihre je eigene Weise engagiert haben und auch 2017 weiter mitwirken wollen:
Mein Dank geht an alle, die mitgehen, an die ehren- und hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Kirche, an den Diözesanrat und Priesterrat, an ihre Sprecher Herrn Dr. Johannes Warmbrunn und Herrn Dekan Paul Magino sowie an Generalvikar Dr. Clemens Stroppel und die gesamte bischöfliche Kurie. Ihnen allen danke ich besonders für die vertrauensvolle und gute Zusammenarbeit. Es möge auch 2017 so sein!
Das gemeinsame Gestalten ist durchwirkt vom Glauben und fließt aus der christlichen Religion heraus. Sie drückt sich aus im biblischen Zeugnis und ist besonders inspiriert und inspirierend zusammengefasst in der Bergpredigt Jesu, der „Rede von der wahren Gerechtigkeit“.
Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden.
Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben.
Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden.
Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden.
Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen.
Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden.
Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich.
(Mt 5,3-10)
Mit diesen segensreichen Worten wünsche ich Ihnen ein gutes Neues Jahr 2017!
ANMERKUNGEN
[1] Die Katholiken bilden die größte Mitgliederzahl in der Europäischen Union und die Kirchenstruktur der katholischen Kirche war und ist immer schon übernational und universell.
[2] Die Zahl der Priesteramtskandidaten liegt derzeit bei 35: 26 Diözesantheologen, sechs Alumnen, drei unständige Diakone. Drei Kandidaten werden am 8. Juli 2017 zu Priestern geweiht und voraussichtlich sechs Neupriester im Jahr 2018. Von den zehn im Jahr 2012 zu Priestern geweihten Vikaren werden 2017 acht neu ins Pfarramt eintreten und Pfarrstellen übernehmen können. Zwei werden in der theologischen Wissenschaft und in der Pastoral weiterwirken. 2017 werden sechs Personen nach Studium und Ausbildung zu ständigen Diakonen geweiht und dann unmittelbar ihren Dienst in den Gemeinden aufnehmen. 13 Frauen und Männer werden zu Pastoralreferenten/innen und sieben Frauen zu Gemeindereferentinnen beauftragt. Also werden insgesamt 20 neue Laiendienste in die zentralen pastoralen Berufe der Kirche aufgenommen, sodass wir wieder 20 freie Stellen besetzen können. 270 Religionslehrern und -lehrerinnen wird die missio canonica verliehen für den Religionsunterricht an den Schulen (2016 waren es 275).
[3] Volker Gerhardt: Die digitale Innovation in: Neue Gesellschaft – Frankfurter Hefte, Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.). Nr. 5/2014, S. 4.
[4] Inzwischen haben sich Unternehmen gegründet, die als ihr Geschäftsmodell gefakte Nachrichten produzieren und verkaufen. Quelle: Das Geschäft mit den Fake-News, mit der Lüge floriert (St.Z. 17. 12. 16. S. 8. Spalte 2: des Artikels Falsches Spiel. In: (Brücke zur Welt) Der finanzielle Gewinn, der Kommerz mit der bewussten Lüge. S.o.
[5] Quellen: Digitale Dreckschleudern. – Automatische Bots verzerren politische Diskussion in sozialen Netzwerken und können Wahlen beeinflussen. Artikel im Spiegel 43/2016. S. 44f. – Risse im Weltbild. Digitalisierung. Die Wahl Donald Trumps stürzt die Internetkonzerne in eine Sinnkrise. Spiegel. 48/2016. S. 72 u. 74
[6] vgl. Heribert Reinoss. In: A. Paul Weber, Kritische Graphik. Berlin, Darmstadt, Wien, 1973. S. 2.
[7] Thomas Theorem (Internet) https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas-Theorem
[8] in: Interview FAZ. 20.4.2013. –S. 8. Politik Nr. 16
[9] Weitere Bezüge in der Heiligen Schrift: „Bewahre deine Zunge vor dem Bösen und deine Lippe vor falscher Rede! Meide das Böse und tu das Gute; suche den Frieden und jage ihm nach!“ (Psalm 34, VV 14f:)
„Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen „ (Ex 20,16)
„Du sollst nicht Falsches gegen deinen Nächsten aussagen!“ (Dtn, 5,20)
[10] „Du sollst nicht Falsches gegen deinen Nächsten aussagen!“ heißt das Gebot im Buch des Gesetzes (Dtn, 5,20). In die katechetische Tradition des Christentums ist die Formulierung eingegangen: „Du sollst kein falsches Zeugnis geben.“
[11] Thomas Mann, ‚Das Gesetz‘ (1944) vgl. auch: Neujahrsansprache 2009 in: Sammlung der Neujahrsansprachen. S. 129.
[12] Horst Köhler, Rede vor den Vertretern des internationalen Bankensystems. 2009 (Zitiert nach „Die 10 Gebote – Ethos für alle.“ Karl-Josef Kuschel. Schwäbisches Tagblatt. 14.3.2009)
„Ein in Sachen Religion ansonsten unverdächtiges Hamburger Nachrichtenmagazin brachte bereits im Jahr 2006 ein Heft heraus mit dem unerwarteten Titel: „Du sollst nicht… . Moses Zehn Gebote und die gemeinsamen Wurzeln von Juden, Christen und Muslimen.“ Dort ist weiter zu lesen: „Verkündigungsart und Wortlaut der Zehn Gebote gehören zum kostbarsten Schatz des kulturellen Gedächtnisses der Menschheit. Die steinalte Erzählung mit ihrer unverblümt fordernden Botschaft ist, so scheint es, eines Tages in die Menschheit gestürzt wie ein Komet aus dem All und funkelt seitdem unverwüstlich.“ „Wer der Bedeutung nachspürt, die die Zehn Gebote für Christen heute haben, wird unschwer erkennen, „dass der Dekalog als Maßstab im Sinn einer allgemein akzeptierten Richtlinie für angemessenes christliches Handeln vor Gott und gegenüber Menschen in der christlichen Tradition zu keiner Zeit verloren gegangen ist. Seine Hoch- und Wertschätzung als „Wegweisung der Freiheit“ (Jan Milic Lochmann) war allerdings nicht immer in gleicher Weise selbstverständlich. Die Zehn Gebote sind und bleiben „Die Magna Charta der Verantwortung vor Gott und den Menschen.“ (Vgl. Artikel von Ernst Michael Dörrfuß „Der Dekalog in christlicher Perspektive.“ im „Themenheft 2010“ S. 10. Vgl. die Literaturangaben.)
[13] Papst Franziskus: Kommunikation und Barmherzigkeit – eine fruchtbare Begegnung. Botschaft zum 50. Welttag der sozialen Kommunikationsmittel.
[14] Anlässlich des 50. Welttags der sozialen Kommunikationsmittel hat Papst Franziskus daher auch zum verantwortungsvollen Umgang in den sozialen Netzen aufgerufen und betont, dass der Zugang zu den digitalen Netzen eine Verantwortung für den anderen mit sich bringt, „den wir nicht sehen, der aber real ist und seine Würde besitzt, die respektiert werden muss“. Wenn Kommunikation im Netz stattfindet, müssen wir uns alle darum bemühen, dass auch dort ein respektvoller Umgang miteinander selbstverständlich ist. Dafür sind wir alle aufgefordert hinzusehen und die gemeinsam in der analogen Welt entwickelten ethisch-moralischen und kulturellen Standards auch für die digitale Welt einzufordern und zur Geltung zu bringen.
[15] Papier der Publizistischen Kommission zur Netzpolitik. Medienbildung und Teilhabegerechtigkeit. Impulse der Publizistischen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz zu den Herausforderungen der Digitalisierung. Arbeitshilfen Nr. 288. 2016: Abschnitt „Hass und Verrohung im Netz“. Ebd. S. 21–23.
[16] Das Angebot der Fachstelle Medien der Diözese Rottenburg-Stuttgart ist im Internet abrufbar unter: http://fachstelle-medien.de/
[17] Als Bischof habe ich einen Eid auf die Verfassung des Landes Baden-Württemberg geleistet und zugesichert, dass ich mich für die Verwirklichung demokratischer Werte, Haltungen und Grundorientierungen einsetzen werde. Vgl. meine Rede bei der Eidesleistung im Staatsministerium.
[18] Ihr seid nicht mehr Fremde – Die Sorge der Diözese Rottenburg-Stuttgart für geflüchtete Menschen, Bischöfliches Ordinariat (Hrsg.), Rottenburg 2016.
[19] Der „Bericht“ ist mehr als nur ein „Bericht“. Er ist eine Ortsbestimmung der Diözese Rottenburg-Stuttgart als zeitgenössische und solidarisch-diakonische Kirche vor den aktuellen Herausforderungen, die in dieser Zeit stark durch das Schicksal geflüchteter Menschen weltweit und durch ihre Zuwanderung in Deutschland bestimmt sind. Und er zeigt, dass dies immer durch konkretes Handeln geerdet werden muss.
Der Bericht zeigt auch, dass die Sorge um geflüchtete Menschen ein weites Feld praktischen Handelns und gesellschaftlich-politischer Anwaltschaft darstellt. Das Spektrum reicht von der Schaffung von Wohnraum, vom Bau integrativer Wohnquartiere und der Unterbringung über die soziale Arbeit und Gesundheitsversorgung bis hin zur Bildungsarbeit – für „Einheimische“ und für „Zugewanderte“ – im frühkindlichen Bereich, in der Schule, in der beruflichen Bildung und in der Erwachsenenbildung. Es umfasst die breite Bewegung ehrenamtlichen Engagements einzelner Personen, ohne die diese Bemühungen und soziale Arbeit insgesamt gar nicht möglich wären, und ebenso die institutionell eingebundene Tätigkeit des Caritasverbandes und seiner Fachverbände, anderer katholischer Verbände und Organisationen, von Kirchengemeinden, Seelsorgeeinheiten und von Diözesanleitung und Diözesanrat und – das verdient ausdrücklich der Erwähnung – von den franziskanischen und vinzentinischen Ordensgemeinschaften in unserer Diözese.
[20] Nicht: „Woher kommst Du?“ ist die entscheidende Frage, sondern: „Wer bist Du?“ Das gehört immer schon zum integralen Erbe unseres biblischen Bildes vom Menschen. Und dennoch bedeutet seine Verwirklichung immer wieder neu einen Weg und ein Ringen um Glaubwürdigkeit.
[21] Vgl. Ihr seid nicht mehr Fremde – Die Sorge der Diözese Rottenburg-Stuttgart für geflüchtete Menschen, Bischöfliches Ordinariat (Hrsg.), Rottenburg 2016, S IV ff.
[22] Stuttgart, Ulm, Weingarten, Heilbronn
[23] Akademie Hohenheim, Katholische Erwachsenenbildung der Diözese, Institut für Fort- und Weiterbildung, Robert-Bosch-Stiftung, Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl
[24] Die Gesamtkosten von insgesamt 600.000 Euro werden von der Diözese Rottenburg- Stuttgart sowie von der Robert-Bosch-Stiftung getragen.
[25] Darstellung der Projekte der HA Weltkirche zur Bekämpfung von Fluchtursachen: Der Geteilte Mantel, Hauptabteilung Weltkirche (Hrsg.), Rottenburg 2015. S. 52–62.
[26] Belgien, Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg, Niederlande
[27] Mit dem Brexit-Referendum in Großbritannien und der Wahl des US-Präsidenten erlebte Europa gleich zwei politische Ereignisse, bei denen wir das ganze Ausmaß noch nicht wirklich absehen können. Und nun, zu Beginn dieses Jahres 2017, wissen wir nicht, wie sich die Situation an Europas Außengrenzen entwickeln wird. Darüber hinaus wird in den einzelnen Ländern Europas die europäische Einheit zunehmend infrage gestellt.
[29] Mit folgendem Ergebnis: Die Angst vor zunehmender Armut, sozialem Abstieg und Zuwanderung, die Angst vor der Globalisierung lassen die Menschen an der Einheit Europas zweifeln. Doch gleich ob es sich um die Angst vor sozialem Abstieg handelt, die Furcht vor Terror, oder die Angst, den Arbeitsplatz eines Tages an einen Roboter zu verlieren – all diese Ängste spielen den Populisten und Europaskeptikern in die Hände – all jenen, die den Verzagten vermeintlich einfache Lösungen für all die komplexen Probleme versprechen.
[30] Am 10. Dezember 2012 wurde die Europäische Union mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Die EU habe, so lautet die Begründung „über sechs Jahrzehnte zur Förderung von Frieden und Versöhnung beigetragen“. Und weiter heißt es: „Die EU erlebt derzeit ernste wirtschaftliche Schwierigkeiten und beachtliche soziale Unruhen. Das Norwegische Nobelkomitee wünscht den Blick auf das zu lenken, was es als wichtigste Errungenschaft der EU sieht: den erfolgreichen Kampf für Frieden und Versöhnung und für Demokratie sowie Menschenrechte; die stabilisierende Rolle der EU bei der Verwandlung Europas von einem Kontinent der Kriege zu einem des Friedens.“ (Quelle http://nobelpeaceprize.org). Vgl. Bischof Dr. Gebhard Fürst: Neujahrsansprache 2013, Geistliche Erneuerung Europas – Der Friedensnobelpreis als Auftrag
[31] Gerade heute bedarf es der Besinnung, um die eigenen Ursprünge nicht zu vergessen und so orientierungslos einer ungewissen Zukunft entgegen zu taumeln: in Deutschland und in Europa, dessen Parlament wir bald wählen! Gehen Sie wählen, Schwestern und Brüder! Die katholische Kirche hat im Prozess um das zusammenwachsende Europa immer wieder auf diese geistige Grundlage Europas hingewiesen und gemahnt, den geistigen und geistlichen Nährboden nicht zu vergessen. Zu Europa gehört ganz wesentlich die christliche Glaubenstradition. Auch hierzu gibt Papst Benedikt wegweisende Worte. Er schreibt: „Das ‚Haus Europa‘, wie wir die Gemeinschaft dieses Kontinents gerne nennen, wird nur dann ein für alle gut bewohnbarer Ort, wenn es auf einem soliden kulturellen und moralischen Fundament von gemeinsamen Werten aufbaut, die wir aus unserer Geschichte und unseren Traditionen gewinnen. Europa kann und darf seine christlichen Wurzeln nicht verleugnen.“
[32] Die Ansprache des Papstes bei der Verleihung des Karlspreises am 6. Mai 2016 im Vatikan.
[33] Ich bin Papst Franziskus sehr dankbar, dass er Anfang Mai 2016, anlässlich der Verleihung des Aachener Karlspreises, zur Einheit und zum Zusammenhalt der Länder Europas aufrief: „Die Kreativität, der Geist, die Fähigkeit, sich wieder aufzurichten und aus den eigenen Grenzen hinauszugehen, gehören zur Seele Europas“, so die Worte von Franziskus. Ich kann dem Papst nur zustimmen! Denn er hat eine andere Art des Nachdenkens über Europa ins Spiel gebracht. Für Franziskus ist Europa kein Club, dem man angehören kann oder auch nicht. Und damit setzt er die Linie der katholischen Kirche fort, die sich seit jeher für das Projekt der europäischen Einigung stark gemacht hat. Wie Johannes Paul II. sieht er Europa als einen unteilbaren Kontinent, dem die Verwirklichung gerechter Beziehungen und gleicher Lebensverhältnisse aufgetragen ist. Europa ist eine historisch gewachsene Wertegemeinschaft, für deren Ausformung eine Mehrzahl von Einflüssen verantwortlich ist.
[34] Im Entstehungsprozess des modernen Europa spielt Martin von Tours eine zentrale Rolle. Brauchtumsforscher Werner Mezger schreibt dazu in seinem Aufsatz: „Bräuche um Sankt Martin: Kulturelles Kapital für ein christliches Europa“: „In seinem Leben spiegeln sich die zentralen Transformationsprozesse der Epoche: Martin von Tours steht für eine Verbindung von Romanitas und Christianitas. In all diesen atemberaubenden Prozessen (Anm.: gemeint sind die Entwicklung des Christentums zur Staatsreligion und der beginnende Zerfall des Römischen Reiches) blieb Martin aber nicht nur Zuschauer, sondern wurde selber ein bedeutender Akteur, der Maßstäbe setzend zum neuen Gesicht Europas und der Welt beitrug. Er ist einer der Väter des christlichen Abendlandes“. Werner Mezger: Bräuche um Sankt Martin: Kulturelles Kapital für ein christliches Europa, in: Gebhard Fürst: Martin von Tours: Leitfigur für ein humanes Europa und die Zukunft des Christentums in Europa, Ostfildern 2016, S. 185.
[35] Zit. nach Heinz Bude in einem mündlich gehaltenen Vortrag anl. der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz, Fulda, 21.09.2016.
[36] Schülerwettbewerb „Europa bewegt“: Auch der Diözesanrat positioniert sich immer wieder zu europäischen Themen und pflegt den Kontakt zu EU-Abgeordneten aus dem Land. Auf diesem Hintergrund hat der Diözesanrat einen Wettbewerb unter der Schirmherrschart von Ministerpräsident Winfried Kretschmann initiiert. Schüler aller Schularten sind aufgerufen, die Botschaft Martin von Tours’ zu verlebendigen – in einer fingierten Rede, in einem Videofilm oder in einem Kunstwerk. Am Europatag 2017 (9. Mai) werden die Gewinner prämiert werden.