Stuttgart, Konkathedrale St. Eberhard
Schrifttexte: Jes 52,7-10; Hebr 1,1-6; Joh 1,1-18
Liebe Schwestern und Brüder!
Freude gehört wohl zu dem, was wir am nötigsten haben im Leben. Ein freudloses Leben wäre ein trübsinniges Leben. Wie schön ist es, wenn wir sehen, wie ein Mensch sich freuen kann. Wie gern nehmen wir daran Anteil. Wie gut tut es uns, wenn wir selbst Freude erfahren. Kein Mensch kann glücklich leben ohne Freude! Wie erfrischend und aufmunternd wirkt ein gemeinsames Fest, das Freude macht. Wie willkommen ist uns solch geschenkte Freude. Denn das spüren wir: Freude gibt Kraft zum Leben.
Ich erfahre es als die große Stärke des Weihnachtsfestes, dass die Freude auf das Fest und die Freude an Weihnachten selbst trotz all dem Lärm, der darum herum gemacht wird, nicht wirklich ausgelöscht werden kann. Das tiefe Bedürfnis des Menschen, sich von Herzen zu freuen, ist mit keinem Fest so verbunden wie mit dem Weihnachtsfest. Freude vor allem erwarten wir!
Deshalb verstehen wir die Worte der Lesung von heute gut: „Willkommen sind die Schritte des Freudenboten, der eine frohe Botschaft bringt und Rettung verheißt.“ (Jes. 52,7) Ja, so geht es uns allen: willkommen sind uns Freudenboten. Wie freuen wir uns, wenn sie uns zurufen: der Kranke ist gesund, der Gesuchte ist gefunden, die Geiseln sind gerettet, die Streithähne haben sich wieder versöhnt oder: ein Kind ist geboren – oder auch: dein Arbeitsplatz geht nicht verloren.
Solche Botschaften wenden Lebensbedrohliches ab, erweisen Befürchtungen als unberechtigt, erfüllen gute Hoffnungen. Rettung ist geschehen. Solche Nachrichten lassen aufatmen, frischen unser Leben auf und geben neue Kraft. Wer hätte das noch nicht erfahren?!
Zu dieser Erfahrung lege ich heute die Botschaft aus dem Evangelium der Heiligen Nacht hinzu, die der Engel uns zuruft: „Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude, die allem Volk zuteil werden wird…“
Wohl kaum eine Antwort fasst das freudige Ereignis treffender zusammen als der Jubelruf aus dem Heilige Nacht-Lied: Da tönt es laut von fern und von nah: ‚Christ der Retter ist da!’ Rettung wird uns zugesagt am Weihnachtsfest. Rettung aus Lebensängsten. Schutz vor Bedrohung. Verheißung neuen Lebens. Die große Freude darüber geht vom Retter Jesus Christus aus, der uns geschenkt ist. ER wendet Lebensbedrohliches ab, ER nimmt der Furcht ihren Grund, ER erfüllt Hoffnungen. Durch ihn geschieht Rettung vom Untergang. Leben wird durch ihn neu geschenkt.
Freude an ihm? Rettung durch ihn? Warum durch Jesus von Nazaret? Johannes gibt uns den Grund an in seinem Weihnachtsevangelium, wenn dort zu hören ist: ‚In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. ’Rettung durch ihn, weil in ihm das Leben ist, das Leben, nach dem alle suchen, das Leben, das glücklich, froh und zuversichtlich macht. Es ist unsere Rettung, dass in ihm das Leben ist und dass dieses Leben von ihm ausgeht.
In Jesus Christus war ein Leben, dass es auf andere übersprang, ein Leben, das in lebensmüden Menschen das Lebensfeuer neu entfachte. Er war so voller Leben, dass die anderen daran Anteil erhielten, dass er für sie zum Lebensspender zum Lebensretter wurde. Jesus ist aufgestanden für das Leben, wo es bedroht wird, wo es beschädigt oder gar zerstört wird. Jesus ist aufgestanden gerade für die Menschen, die viel verloren haben, ihre Ehre, die Lebens-Gemeinschaft, den Respekt der Anderen, ihre Würde, Sinn im Leben, Selbstachtung, .... Jesus ist aufgestanden für verlorenes Leben!
Jesus selbst fasst im Lukasevangelium die weihnachtliche Freudenbotschaft mit eigenen Worten zusammen: „Der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist.“ (Lk 19, 10) So definiert er den Sinn seines Lebens: Suchen, um zu retten, was verloren ist. Danach handelt er in seinem ganzen Leben und wird so zum Lebensretter für viele. Lukas überliefert uns nicht nur dieses Wort Jesu, sondern er erzählt auch von den Erfahrungen von Menschen, die durch Jesus gerettet wurden. Die urchristliche Grunderfahrung heißt: Christ der Retter ist da!
Der Glanz und die Freude von Weihnachten kommen vom späteren Leben und Handeln des erwachsenen Jesus her. - Wenn wir bei der Lebenspraxis Jesu schauen, was dies konkret bedeutet, wird deutlich, was alles mit der Freudenbotschaft des Weihnachtsfestes überbracht wird: Obwohl Jesus arm geboren ist, hat er Reichtum nicht über alles gesetzt und brauchte ihn weder zum Glücklichsein, noch um bei anderen etwas zu gelten. Obwohl er von niederer Herkunft war, hat er nicht auf die herabgeschaut, die noch unter ihm waren. Er glaubte an Gott, der Niedrige erhöht. Jesus sucht die Menschen, die verloren sind: Er schenkt seine Aufmerksamkeit für die in der Menge Unsichtbaren, für die von allen Vergessenen, für die von anderen Abgeschriebenen und Weggedrückten.
Jesus rettet, was verloren ist: Er befreit aus ausweglosen und unerträglichen Situationen, heilt Zerrissenes, bewahrt vor dem Untergang, ermöglicht neues Leben. Jesus geht es um die in vielfacher Weise Verlorenen: die Reichen und doch menschlich oft so armen, die körperlich Fitten und doch in der Seele oft Kranken, die Übersehenen und von Menschen Zertretenen. Für all die ist er gekommen, all diese Verlorenen sucht er und rettet durch seine heilsame Nähe und eröffnet ihnen neues Leben. Das ist die Mitte der frohmachenden Kunde zu Weihnachten.
Obwohl Jesus im schmutzigen Stall geboren wurde, lebte in ihm die Gewissheit, in Gottes Augen ganz wertvoll zu sein. Auch anderen begegnet er so. Jesus weiß um die königliche Würde jedes Menschen. Und weil er die Geringsten wie Könige behandelt, verwandeln sie sich und wurden königliche Menschen. Darum hatte er auf Versöhnung gesetzt und die Feindesliebe vorgelebt. Und obwohl er damit viele Enttäuschungen erlebte, blieb er in der Beziehung zu Gott gehalten, blieb er seinem Glauben und seiner Hoffnung treu - und sie trug ihn durch den Tod zum neuen Leben.
Weil Jesus so rettend handelte und lebte - darum fällt auch auf seine armselige Geburt im Stall schon ein Glanz. Dieses Kind ist zur Freude der Menschen der Retter des Lebens. Die Botschaft zu Weihnachten geht noch einen Schritt weiter: Sie ruft uns auf, auch durch unser Leben und Handeln, durch unser Zeugnis und unsere Praxis im Kleinen und Großen zu suchen und zu retten, was verloren ist. Wir sind eingeladen, diese heilsame Lebenspraxis aufzunehmen und die Menschen in unserer näheren und ferneren Umgebung auf diese Weise mit der Freude der Weihnachtsbotschaft anzustecken.
Viele Verlorene leben heute in unseren Städten und Gemeinden, auf den Straßen und in den Häusern, Menschen, die auf rettende Begegnungen warten. Denken wir an die Vereinsamten, die Vergessenen, Vernachlässigten, an die Verlierer in unserer Gesellschaft. Denken wir an die Verlorenen, dass sie wieder Heimat finden unter uns; ein Obdach für die Seele; einen Ort, wo sie hingehören – Menschen, die ihr Glück verloren haben, die ihre tragende Beziehung verloren haben. Dass sie herausfinden aus Vereinzelung, Isolation und Depression und durch neue heilsame Beziehungen wieder zum Leben finden. Retten heißt Leben schenken, Leben ermöglichen, Leben erschließen. Denken wir an die verlorenen Kinder, dass nicht noch mehr verloren gehen, dass keine Kinder mehr verloren gehen und aus dem Leben vertrieben werden.
‚Tönt es laut von fern und von nah: Christ, der Retter, ist da!’ Ich wünsche Ihnen, dass diese Botschaft Ihnen in ihrem Leben, wie und wo auch immer, hilft und die Freude über die Geburt Jesu Ihr Herz erfüllt und Ihr Handeln anstiftet! In der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus zeigt sich, was Gott für uns bedeutet und was wir Menschen Gott bedeuten. Wir, liebe Schwestern und Brüder, sind gerettet und heilsam befreit zu einem ganz neuen Handeln, das die Bewegung Gottes, die heilt, sucht und rettet, aufgreift und ebenso handelt.
In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Liebe Schwestern und Brüder, Gott ist Mensch geworden, leibhaftig. Glauben wir ihm seine Liebe und schenken wir diese Liebe weiter an unsere Mitmenschen. Heilsam und nachhaltig. In der weihnachtlichen Gemeinde in weihnachtlicher Gemeinschaft das ganze Jahr, wünsche ich uns Menschen solches Erfahren: dass ich mich auch selbst als Verlorener aufgehoben erfahre. Dass jeder die Weihnachtsbotschaft leibhaftig erfährt: Du bist nicht verloren – du bist gefunden, von Gott – du bist geliebt vom Allerhöchsten.
Schließen wir uns dieser weihnachtlichen Freude an, suchen wir die Menschen in ihrer Verlorenheit, fördern wir ihr Leben, so wird sich die weihnachtliche Freude verbreiten und Leben entfalten und erneuern. Wir selbst werden schließlich zu noch mehr Freude finden durch die Art, wie wir wirken.
Besseres kann ich Ihnen und mir nicht wünschen am Fest der Menschwerdung Gottes.
Amen.