Stuttgart, Konkathedrale St. Eberhard
Schrifttexte: Jes 52,7-10; Hebr 1,1-6; Joh 1,1-18
Wir feiern wieder Weihnachten, liebe Schwestern und Brüder!
Im bunten Allerlei des Jahreslaufes könnten wir meinen, dass dieses Fest eines der vielen Events wäre, die wir Menschen halt brauchen, um gute Gefühle zu haben und nicht vor Langeweile zu sterben. - Wenn wir aber tiefer schauen, dann feiern wir heute nicht irgend etwas Schönes, wir feiern im Fest der Menschwerdung Gottes den Angelpunkt aller menschlicher Geschichte und Kultur, wir feiern den Gipfel aller geschichtlichen Ereignisse, auf den alles zuläuft und von dem her wir Menschen uns neu verstehen. Seit Jesus von Nazareth sehen wir die Welt, die Menschen, unser Zusammenleben mit ganz anderen Augen und handeln - hoffentlich - als neue Menschen: als durch Christus erneuerte Menschen.
Diesen weiten Horizont breitet die Lesung aus dem Hebräerbrief zum ersten Weihnachtsfeiertag vor uns aus. Sie beginnt mit den Worten: "Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott zu den Menschen gesprochen, am Ende der Zeit aber hat er gesprochen durch seinen Sohn." (Hebr. 1,1)
Als Höhepunkt aller seiner Mitteilungen sendet Gott uns nicht einfach Worte, nicht Gesetze, nicht Taten, nicht Aufrufe: Am Ende der Zeit sendet er seinen Sohn, den Menschen Jesus, der unter uns und für uns gelebt hat. Die Heilige Schrift bezeugt, in IHM habe die ganze Fülle Gottes gewohnt (Kol.1,19; 2,9). Das ist Menschwerdung Gottes: das bedeutet Weihnacht! Welch eine Wahrheit für uns! In Jesus hat Gott seinem ewigen Wort einen Leib gegeben, eine lebendige Gestalt, einen Körper, ein Menschenleben gegeben (Hebr. 10,5), damit sein Wort ganz in ihm lebendig sei und durch ihn wirke zum Heil der Welt!
Eben das verkündet Johannes in seinem Weihnachtsevangelium: Im Anfang war das Wort und das ewige Wort Gottes erging an uns in Jesus Christus. In der Geburt Jesu kommt das ewige Wort Gottes ganz zu uns, geboren aus Maria als einfaches Kind in der Krippe: Wir feiern den Geburtstag des Jesus von Nazareth, in dem sich Gott selbst ganz ausspricht, als leibhaftige Liebe, als Friede, als unsere Freude, als Gerechtigkeit und Versöhnung zur Rettung der Welt. "Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater voll Gnade und Wahrheit." (Joh 1,14) Seit diesem Datum wissen wir, wie Liebe aussieht, wie sie wirkt, woher uns also Rettung kommt.
Dieser Jesus von Nazareth, der Menschen Sohn, ist Gottes Sohn, der zu uns gekommene Retter der Welt. Deshalb singen wir am Weihnachtsfest: "Christ, der Retter ist da!" So bekennen wir, woher uns Heilung kommt: Und wir bezeugen dies vor aller Welt: Rettung kommt von Gott, der Liebe ist, Liebe, die uns Menschen heilen will. (vgl. Lk 2, 14; Lk 19,1; Joh 3,17)
Karl Rahner fasst das in die einfachen Worte: "Wenn wir sagen: Es ist Weihnacht, dann sagen wir: Gott hat sein letztes, sein tiefstes, sein schönstes Wort in die Welt hineingesagt. Und dieses Wort heißt: Ich liebe dich, du Welt und du Mensch." (Karl Rahner)
In Jesu Leben erkennen wir: Gottes Liebe ist nicht zerstörerisch, nicht von Eigennutzen geprägt, sondern von heilsamer Zuwendung, von rettender Kraft gegenüber all dem, was verletzt und bedroht ist, was schon zerstört wurde und zu Tode gekommen ist: das ist die rettende Liebe Gottes. Wenn wir aus dieser Liebe, die in uns Christen schon eingepflanzt ist durch die Taufe, wirklich leben und handeln, dann leben und handeln wir nicht von Eigennutzen geprägt, sondern von heilsamer Zuwendung gegenüber allem, was lebt.
Die Liebe Gottes, die die Welt rettet, richtet sich nicht nur auf uns Menschen in unserer Not, sondern auch auf die bedrohte Schöpfung - das wird uns in diesen Tagen neu bewusst. Die gegenwärtigen Ereignisse zeigen uns, dass wir Gottes rettendes Handeln ausdehnen müssen auf unsere gefährdete Heimat Erde. Sie hat es nötig, so behandelt zu werden, dass nichts untergeht, was wir doch so sehr lieben. Handeln wir weiter so rücksichtslos und ausbeuterisch gegenüber der Natur, dann drohen von Menschen bewohnte Regionen überflutet zu werden, Lebensgrundlagen werden zerstört, Meere kippen um und das Leben im Wasser stirbt. - Das sind leider keine apokalyptischen Bilder mehr, sondern manches davon ist in den Bereich des Möglichen, ja sogar des Wahrscheinlichen getreten - wenn wir Menschen uns nicht besinnen und hier ganz im Sinne der Liebe Gottes rettend eingreifen.
Liebe Schwestern und Brüder. Es ist also gar nicht an den Haaren herbeigezogen, wenn wir am Weihnachtsfest uns über das Erdklima Sorgen machen. Auch sie, die vom Menschen geschundene und gefährdete, die bedrohte Heimat Erde, will geheilt und gerettet werden. Nicht nur uns gilt die verheißene und aufgetragene Rettung, "auch die Schöpfung" - schreibt Paulus an seine Gemeinde von Rom - "soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden".
Die Weihnachtsbotschaft der heilenden Liebe Gottes in Jesus Christus in uns aufnehmen, heißt für Christen also auch, sich mit Gottes Hilfe der bedrohten Schöpfung anzunehmen und zu retten, was zu retten ist. Diese Botschaft zu hören, ihr Glauben zu schenken, sie innerlich anzunehmen, und das Geglaubte zu verwirklichen im alltäglichen Leben, dazu sind wir alle an diesem Weihnachtsfest in besonderer Weise eingeladen. Christus, der Retter ist da! Helfen wir zu heilen, was verloren und verwundet ist.
Amen.