Bischofspredigt

Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt am Ersten Weihnachtsfeiertag 2017

Die Weihnachtsbotschaft vom göttlichen Kind in der Krippe lässt keinen Raum für Hass und Gewalt. Wo die Kraft, die von diesem Kind ausgeht, wo die Kraft des Jesus von Nazaret wirksam wird, da richtet sich kein Mensch gegen den anderen, vielmehr treten wir in dieser Kraft mutig für andere ein.

Schrifttexte: Jes 9, 1-6, Hebr 1,1-6, Joh 1,1-18

Liebe Schwestern und Brüder,

der Heilige Abend, den wir in der Heiligen Nacht im Kreis der Familie, im Kreis lieber Menschen, gefeiert haben, liegt schon wieder hinter uns. Aber vorbei und vergessen ist er nicht. Dieser wunderbare Abend wirkt weiter. Die geschenkte Freude wirkt auch heute Morgen noch und ist uns gegenwärtig und lebendig. Von den Geschenken, die wir einander machen, geht ja große Freude aus: eine frohe Stimmung, die Glanz in unseren Alltag bringt. Die Freude, die vom Heiligen Abend ausgeht, sie dauert und gibt uns Kraft in diesen weihnachtlichen Tagen und darüber hinaus. Die Freude über das größte Geschenk, das wir alle erhalten, das Kind in der Krippe, diese Freude wirkt weiter über die Tage hinaus, hinein ins neue Jahr und wandelt unser Handeln zum Guten.

Das größte Geschenk an Weihnachten, ist Jesus, geboren in Betlehem, gelebt für uns Menschen, Jesus, der in seinem irdischen Leben manchen gerettet und geheilt hat, der verloren war. Jesus ist das Geschenk Gottes an die Menschen. Nichts Größeres, nichts Schöneres ist möglich als dieses Gottes-Geschenk an uns: Jesus von Nazaret, dessen Geburtstag wir heute feiern. In ihm macht sich Gott selbst zum Geschenk an uns Menschen. Er kommt zu uns, bleibt nicht der ferne, unnahbare Gott, bleibt nicht der verborgene, bloß jenseitige Gott. ER wird für uns sichtbar und in seiner Liebe erfahrbar. Dass Gott einer von uns wird, einer von uns, die wir uns oft wie Verlorene fühlen, wie Abgestürzte, das tut uns gut. Gott schenkt uns seine Nähe, in der Person des Jesus von Nazaret. Er wächst aus der Krippe hinaus und geht hinein in das Leben der Menschen und wohnt im wirklichen Sinne unter uns.

"Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt" (Joh 1,14), verkündet das Weihnachtsevangelium des Johannes heute. Der Gott der Liebe hat in Jesus von Nazaret unter uns gewohnt – eine überraschende Formulierung für die Menschwerdung Gottes. Aber das ist die biblische Botschaft dieses Weihnachtsfestes. Und diese Botschaft: Gott will unter uns wohnen, ist unerhört. Er hat vielerlei Wohnungen genommen. Der göttliche Sohn nimmt Wohnung in Maria und wohnte als werdendes Kind im Leib seiner Mutter. Das geborene Kind wohnt dann in der Krippe im Stall von Betlehem. In seinem Wohnhaus besuchen ihn die Sterndeuter, die Heiligen Drei Könige aus dem Morgenland, wie wir sie nennen. Dann muss er vor Verfolgung und Mordanschlägen fliehen und in der Fremde in Ägypten Wohnung nehmen.

Zurückgekehrt wohnt er in einem Haus in der Stadt Nazaret als des Zimmermanns Sohn. Als er aus dem Haus geht, wohnt er unterwegs in Galiläa wohl auch unter freiem Himmel. Und dann einige Zeit in seiner Lieblingsstadt Kafarnaum im Haus des Petrus und seiner Familie. Man kann die Grundmauern des Hauses des Petrus bis heute sehen, in dem Jesus nach dem Matthäusevangelium die Schwiegermutter des Petrus von ihrer Krankheit heilt (Mt 8,14f). Als ich vor einigen Wochen auf einer Pilgerreise in die Ausgrabungen des Wohnorts Jesu bei der Familie des Petrus hinunterschaute, hat mich das sehr bewegt und beeindruckt. So konkret ist die Menschwerdung Gottes, liebe Schwestern und Brüder: ER wohnt mit Menschen ganz nah zusammen und wirkt heilsam. Nach seiner Verurteilung musste er dann wohnen im Gefängnis des Pilatus und des Herodes. Nach seinem Tod am Kreuz wohnt sein toter Leib für drei Tage im Felsengrab.

In einem bekannten Lied besingen wir dieses Wohnen Gottes unter den Menschen. "Nahe wollt der Herr uns sein, nicht in Fernen thronen. Unter Menschen wie ein Mensch hat er wollen wohnen." (GL alt 617) Im wunderbaren Weihnachtslied "Die Nacht ist vorgedrungen" des großen Dichters Jochen Klepper singen wir: "Gott wollt im Dunkeln wohnen und hat es doch erhellt." (GL 220, Str. 5)

Liebe Schwestern und Brüder, das ist Weihnacht. Gott hat unter uns gewohnt in Jesus, seinem Sohn und er will auch heute unter uns wohnen, in Menschen, die die Liebe Jesu leben. Wo Gott Wohnung nimmt unter den Menschen, da verwandelt sich die Welt, da wird aus Unfriede Friede, da entsteht im Streit Versöhnung, da wandelt sich Verzweiflung in Zuversicht. Wo Jesus Wohnung nimmt bei den Menschen, wo er da ist und lebendig wirkt, da wohnt Friede, da kehren Versöhnung, Hoffnung und vor allem Liebe ein. Wie das geht, können wir ablesen an den Begegnungen Jesu mit den Menschen, an seinen hilfreichen Worten, an seinen heilsamen Taten.

An Weihnachten werden wir nachdrücklich eingeladen, uns diesem Wohnen der Liebe Gottes unter uns zu öffnen. Wir sind aufgefordert, selbst zum Wohnort der Liebe Gottes zu werden und als Christen die Botschaft des Kindes in der Krippe, des Jesus von Nazaret, aufzunehmen, sie anzunehmen und wirksam werden zu lassen. Wo wir so Gott unter uns wohnen lassen, wo wir seine menschgewordene Liebe selbst leben, da verwandelt sich die Welt, unser Zusammenleben. Da wird aus Feindseligkeit Menschenfreundlichkeit, aus Gewalttätigkeit Friedfertigkeit und aus Gleichgültigkeit gegenüber dem Nächsten, Parteilichkeit für den, dessen Menschenwürde bedroht wird.

Liebe Schwestern und Brüder, die Weihnachtsbotschaft vom göttlichen Kind in der Krippe lässt keinen Raum für Hass und Gewalt. Wo die Kraft, die von diesem Kind ausgeht, wo die Kraft des Jesus von Nazaret wirksam wird, da richtet sich kein Mensch gegen den anderen, vielmehr treten wir in dieser Kraft mutig für andere ein. Die Botschaft vom in Jesus Mensch gewordenen liebenden Gott richtet sich an alle Menschen weltweit und ganz nah. Übergriffe auf Migranten haben hier keinen Platz. Antisemitische Äußerungen, von denen wir hören oder gar Ausschreitungen, verbieten sich von selbst. Wachsenden Ressentiments jüdischen Mitbürgern gegenüber müssen wir beherzt Widerstand leisten. Leider müssen wir erkennen, dass unter den nach Deutschland geflüchteten Migranten auch einige mit antisemitischen Einstellungen leben. Diese Vorgänge müssen wir genau im Blick haben und einschreiten, bevor die Würde von Menschen verletzt und ihr Leben vielleicht sogar in Gefahr gerät.

Liebe Schwestern und Brüder, vergessen wir über den vielen Freude bereitenden Geschenken am Weihnachtsfest nicht das größte Geschenk: Gott ist Mensch geworden und hat unter uns gewohnt, damit wir als liebende Menschen die Welt bewohnen.

Amen.

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