Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt am Ostersonntag 2003

Rottenburg, Dom St. Martin

Schrifttexte: Kol 3,1-4; Joh 20,1-9

Liebe Schwestern und Brüder!

"Am ersten Tag der Woche kam Maria von Magdala frühmorgens, als es noch dunkel war, zum Grab.“ So beginnt die Osterbotschaft von heute. Keine historische Information wird hier festgestellt. Wir hören die Verkündigung an uns und unser eigenes Leben. Greifen wir einige Worte aus dieser österlichen Botschaft heraus, und wir werden sehen, sie wird unsere Ostergeschichte, die mit jedem und jeder einzelnen von uns zu tun hat.

Liebe Schwestern und Brüder, dass Jesus so grausam hingemordet wurde, dass Er im Grab liegt und der Stein davor, das macht die erschütternde Traurigkeit der Frau aus Magdala aus. Für sie ist die Frühe dieses Morgens noch voller Dunkelheit. Und – liebe Schwestern und Brüder - vielleicht finden sich an diesem Ostermorgen mehr als wir vermuten wieder in der Traurigkeit der Maria von Magdala, als im Fanfarenstoß des Osterhalleluja:

- Menschen, die eine schwere Last mir sich herumtragen und sich nicht davon befreien können, sie empfinden sich wie von einem Stein bedrückt.

- Für den, der immer noch keine Arbeit gefunden hat, obwohl er schon Monate sucht, als schwer vermittelbar wieder und wieder abgelehnt wurde: der erlebt dunkle Stunden. Er erfährt sein Leben wie von einem Stein verschlossen.

- Menschen, die einsam sind, alleine dastehen, deren Beziehung zerbrochen ist, die sich von ihren Mitmenschen verlassen oder von den Nachbarn misstrauisch beäugt fühlen, Menschen, die sich nicht in Gemeinschaft trauen: für die ist es dunkel, wie von einem Stein versperrt erfahren sie ihr Leben.

Liebe Schwestern und Brüder, dass Maria von Magdala nicht in der Traurigkeit ihrer belastenden Kreuzeserfahrung erstarrt sitzen blieb, dass sie mitten im Dunkeln losgegangen ist, obwohl sie wusste, dass es ein Weg zu diesem Grab war, in dem ihre Hoffnung begraben lag, verschlossen vom unbeweglich großen Stein – das ist schon der erste Schritt auf Ostern zu. Ohne dieses Aufbrechen und Los-Gehen gibt es kein Leben, gibt es keine Erfahrung von Ostern.

Auch wir können Ostern in unserem Leben nur dort finden, wo wir den Tod überwindenden Herrn Jesus Christus suchen, wo wir aufbrechen in der Hoffnung auf Leben gegen alle Erfahrungen des Todes.

In der Erinnerung an ihre Liebe zu Jesus, an ihre von ihm erweckte Liebe zum Leben, ist Maria aus Magdala aufgebrochen. Aus der Erinnerung an IHN wird ihr Aufbruch zur Ostergeschichte. Es ist dieser Jesus von Nazareth, unsere Erinnerung an ihn, die auch uns befreit zum aufbrechenden Leben. Wir Christen können nur glaubwürdig Zeugnis vom Leben geben, wo wir aufbrechen gegen alle Erfahrungen von Dunkelheit, von unüberwindlichen Steinen, von Tod und Gräbern. Wir Christen können nur glaubwürdig Zeugnis vom Leben geben, wo wir handeln aus dem Vertrauen in die unüberwindbare Stärke der Liebe, in die unerschütterliche Kraft des Lebens.

Die Ostergeschichte von heute geht weiter: Maria von Magdala, heißt es im Evangelium, „sah, dass der Stein vom Grab weggenommen war“. Maria erschrickt als sie sieht, dass der schwere Stein vom Grab weggewälzt worden war. War ihr jemand zuvor gekommen? Der Stein, der das Grab verschloss, eben noch Symbol der Unabänderlichkeit des Todes, wird zu einem Bild der offenen Frage. Was war geschehen?

Der vom Grab wegbewegte Stein wendet alles. Aus der Ostergeschichte wird die Ostererfahrung. Denn der weggenommene Stein erscheint nun in ganz neuem Licht: Er wird Sinnbild für die Entlastung und Befreiung des Menschen von der Not des Alltags in der sich oft genug die Not mit dem Tod und seiner Endgültigkeit spiegelt. Das Grab ist nun nicht mehr Endstation, sondern Durchgang. Das leere Grab nicht mehr Bild ängstlicher Fragen, sondern das neue Zeichen für Hoffnung und Lebenssinn: es gibt eine Auferstehung von den Toten, die heute schon alles Leben neu macht: Jesus Christus ist uns vorausgegangen.

Doch was bedeutet das für uns: Lebenssinn aus der Gewissheit der Auferstehung? Was heißt es zu leben aus dem Glauben an das Leben nach dem Tod?

Liebe Schwestern und Brüder, schon die Gewissheit eines endgültigen Todes beeinflusst unsere Lebenseinstellung: „Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot!“ so beschreibt schon Paulus diese Haltung. So mancher Mensch denkt ohne Hoffnung nur noch an sich selbst. Menschen wollen dann vom Leben haben, so viel sie an sich reißen können. Der Verlust des Glaubens an ewiges Leben befreit und erfüllt uns nicht, sondern er bringt ein hektisches Leben ohne Zeit und erzeugt die Angst, heute ja nichts zu versäumen.

Aber in der ängstlichen Fixierung auf das pure Heute, in der alle sich bietenden Möglichkeiten ausgeschöpft werden müssen, geht die Beziehung zur Zukunft verloren. Der Verlust des Glaubens an ewiges Leben verdirbt die Gnade der Gegenwart, zerstört die Begabung zur Gestaltung der Zukunft und raubt die uns beflügelnde Freude.

Unsere unendliche Sehnsucht nach Leben wird nicht endgültig erfüllt in den endlichen, verkrampften Bemühungen des Alltags, sondern erst ganz im Eingehen in die unendliche Liebe Gottes.

Die Hoffnung auf ein Leben über den Tod hinaus hilft uns unser endliches Leben anzunehmen. Die Hoffnung rückt den in die Mitte, der uns das Leben geschenkt hat, der uns neues Leben schenken kann und uns so, wie wir sind, bedingungslos liebt. Ja, die Hoffnung auf ewiges Leben schenkt die Kraft, von sich abzusehen, und sich für andere einzusetzen, vielleicht sogar sich aufzuopfern wie Maximilian Kolbe im Hungerbunker, wie Mutter Teresa in ihrer Hingabe an die Sterbenden oder wie der selige Rupert Mayer mit seinem Widerstand gegen das menschenverachtende Naziregime. Diese Heiligen richten unseren Blick auf den, der uns gezeigt hat, wie sich im Vertrauen auf Gott menschlich und mitmenschlich leben lässt: auf Jesus Christus!

Der Osterglaube, das Vertrauen, dass im Tod alles Leben seinen neuen Anfang nimmt, macht Menschen zukunftsfähig. Christen gewinnen aus ihrem Glauben Hoffnung und Handlungsziele für die Gestaltung der Zukunft. ‚Ihr seid mit Christus auferweckt.’ (Kol 3,1) ruft Paulus seiner Gemeinde zu. Ja! Wir Christen sind mit Christus auferweckt zur neuen Zukunft!

Und, liebe Schwestern und Brüder, unsere Kirche braucht aufgeweckte Christen, die zuversichtlich lieben.

Unsere Gesellschaft braucht aufgeweckte Christen, die im Vertrauen auf eine gute Zukunft heute mutig handeln.

Unsere Welt braucht aufgeweckte Christen, damit nicht die zerstörerischen Kräfte des Todes das letzte Wort haben, sondern das neue Leben in Christus. Liebe Schwestern und Brüder, die Schätze für die Zukunft, die unser Glaube in sich birgt, schulden wir den Menschen. Wir sind aufgerufen, sie als Hoffnungsmächte in die Gestaltung der Welt einzubringen.

Nicht nur die Jünger haben Zeit gebraucht, um die Tragweite des so plötzlich in ihr Leben getretenen Ereignisses der Auferstehung Jesu zu begreifen. Auch wir müssen uns in diese durch Ostern veränderte Welt erst und immer neu hineindenken und hineinglauben.

Ob es noch dunkel ist in uns oder ob uns bereits die Sonne leuchtet: für uns Christen ist der Entscheidende Jesus von Nazareth, den wir als Christus anrufen. Er gibt uns Orientierung. Er, so glauben wir, Er ist als der Gekreuzigte der Lebende – die letzte, alles tragende Hoffnung auf wahres, ewiges Leben, das inmitten unserer Leiden und Kreuze seine Kraft entfaltet.

Die Ostergeschichte wird heute unsere Lebensgeschichte, Sie wird die Geschichte von jeder und jedem mit IHM: Die Erinnerung an seine Liebe zu uns. Die Erfahrung, dass der Tod im Leben überwunden ist. Handeln aus dem Osterglauben. Jesus Christus ist auferstanden; wahrhaftig, Er ist auferstanden!

Amen.

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