Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt an Christi Himmelfahrt 2002

Rottenburg, St. Moriz

Schrifttext: Apg 1,1-11

Liebe Schwestern und Brüder,

Was sind das für seltsame Tage nach der Auferstehung! Der Gekreuzigte war wieder unter seinen Jüngern, tat sich kund durch Zeichen und Gaben. Er gab sich zu erkennen, verhüllte sich wieder, aber war doch nahe zu jeder Zeit. Eine Zwischenzeit erreicht hier einen Wendepunkt: Unter dem Jubelruf der Auferstehung war doch zunehmend die bange Frage, was jetzt werden soll, was geschehen wird, wohin das führen wird. Um darauf zu antworten, erscheint Jesus "vierzig Tage lang und hat vom Reich Gottes gesprochen." (Apg 1,3) Das Zentrum seiner Botschaft, die Mitte, die durch sein Leben, sein Handeln und Predigen begonnen hatte, er holt es auch jetzt als Auferstandener in ihre Mitte, versucht sie zu konzentrieren und darum zu sammeln.

Und um diese Botschaft zu konkretisieren, gibt er eine merkwürdige Anweisung: ‚Geht nicht weg von Jerusalem, sondern wartet auf die Verheißung des Vaters, die ihr von mir vernommen habt.‘ (1,4) Jerusalem: der Inbegriff des Schrecklichen, der Name für die Katastrophe, die die Jünger mit Jesus erlebt hatten. Begreiflich, dass sie von dort verschwinden wollen. Aber Jesus bindet sie regelrecht an diesen Ort, der doch für Kreuz und Scheitern steht. Lauft nicht weg, laßt mich und meine Sache nicht im Stich, wartet auf die Verheißung, die ihr durch mich erhalten habt, sie wird eintreten, wartet und harrt aus.

An dieser Stelle nimmt Jesus zwei Gleichsetzungen vor, die diese Stelle zu einem wirklichen Wendepunkt in der Jüngergeschichte, ja in der Geschichte der Kirche machen. Zunächst im Blick auf die Vergangenheit: Er identifiziert offensiv nochmals die Verheißung Gottes mit dem, was seine Botschaft war und ist. Die Verheißung Gottes – das ist Jesu Botschaft vom Reich Gottes, die Sache Jesu und die ausstehende Verheißung Gottes sind eins.

Und dann aber der Blick nach vorn: Er kündigt für die nächsten Tage das Kommen des Heiligen Geistes an, er sagt zu, dass die Verheißung Gottes, die durch sein Leben angebrochen, durch seinen Tod und seine Auferstehung letztlich bewahrheitet wurde, nun in verwandelter Weise anbrechen werde.

Und fast scheint es so, als wären die Jünger durch diese Worte regelrecht entzündet worden, eine eifrige Unruhe bricht aus, ein ungeheures Verlangen bricht aus ihnen heraus: Ja, wir wollen ja in Jerusalem bleiben, aber stellst du das Reich auch wirklich wieder her? Nur zu verständlich, dass die beunruhigten Jünger da nachfragen, irgendetwas hören und haben wollen, an das sie sich halten können. Sie lechzen nach einem konkreten Zeichen, dass Gottes Treue in Kraft und Herrlichkeit sichtbar wird. Jesus hat Verständnis für dieses Ansinnen, er weist sie nicht zurück, bremst nur ihre Neugierde, über Ort und Zeitpunkt Genaueres zu erfahren. Dass die Zeit der Herrlichkeit über Jerusalem, über Jünger anbrechen wird, steht für ihn außer Frage, nochmals wiederholt er die feste Zusage über das Kommen des Geistes.

Aber nun kommt eine merkwürdige Umkehrung seiner Antwort. Er nimmt sie für diese Zeit des Wartens in seine Pflicht: ‚Ihr werdet die Kraft des Geistes empfangen ... und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem, ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde.‘ (1,8) Nichts sonst, das ist das Zeichen, nach dem sie gefragt haben. Das Zeugnis von Jesus Christus wird gehen über Jerusalem bis an der Welt Ende. Der entscheidende Wendepunkt in der Antwort Jesu: Wo ist das Reich, wo wird es sichtbar: Reich Gottes, die angekündigte Verheißung wird da sichtbar, wo das Zeugnis in der Kraft des Heiligen Geistes da ist. Das Zeugnis, nach dem ihr fragt, ihr sollt es geben, bezeugen durch euer Leben!

Der Blick weitet sich von der kleinen Schar verunsicherter Apostel über das Ende der Welt. Die Enden der Erde warten jetzt auf die Botschaft Jesu Christi, und sie wird durchdringen, durch seine Zeugen, das ist seine Antwort, seine Botschaft.

Wie zur Beglaubigung dieser letzten Sätze wird Jesus vor ihren Augen emporgehoben und bald ihren nachblickenden Augen verhüllt. Jesus Christus, erhoben zur Rechten des Vaters, allmächtig, allgegenwärtig, dem konkreten Zugriff entzogen. Es bleibt sein Wort, nichts als sein Wort, aber eben sein Wort, das doch zugleich Verheißung Gottes ist, sein Zeugnis als unsere Hoffnung, unser Zeugnis als die Bewährung seiner Verheißung in der Welt.

Und: Als sollte sein Auftrag durch die Geschichte sinnbildlich klar gemacht werden, treten engelgleiche Personen zu den Zurückbleibenden und öffnen ihnen gleichsam die Augen: "Was steht ihr da und schaut zum Himmel empor?" (1,11) Ihr seht ihn nicht, blickt nicht länger zurück, nicht in die Vergangenheit, da seht ihr nichts als Wolken und Dunst. Ihr werdet ihn nicht sehen, bis er wiederkommt. Wartet, haltet euch an das Zeugnis, behaltet sein Wort und verwirklicht es, ihr seid aufgerufen, eingeladen, in seinem Wort verharrend Zeugnis abzulegen durch euer Leben bis ans Ende der Welt, bis ans Ende der Zeit.

Die Zusage Jesu, dass sein Wort gilt, geht noch weiter: Es ist die Verheißung, dass er als das letzte, das tiefste Wort Gottes Bestand hat und wiederkommen wird, wenn es Zeit ist. Dieser Jesus Christus, den die Jünger kennengelernt haben, er ist die gültige Zusage Gottes, auf die Verlaß ist, auf die hin wir unser Leben als Zeugen und Zeuginnen wagen können. Den Aposteln, die ihm nachblicken, wird eben der Jesus Christus in diesem Moment als die verheißene Zukunft Gottes präsentiert. Sie werden zugleich aufgerufen, den Blick zu wenden, weg vom Himmel, sie sind eingeladen, in ihrem Leben die Frohbotschaft zu bezeugen, weiterzutragen bis an die Enden der Welt.

Lassen auch wir uns einladen zu dieser Blickwende, lassen wir uns in Anspruch nehmen, als Zeugen und Zeuginnen in der Kraft des Geistes!

 

Amen.

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