Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt an Pfingsten 2002

Rottenburg, St. Moriz

Schrifttext: Apg 2,1-11

Liebe Schwestern und Brüder!

Lügen Statistiken? - Am liebsten würde ich mit Ja antworten. - Oder sollte es tatsächlich stimmen, dass 61% der westdeutschen und 88% der ostdeutschen Bevölkerung schlicht mit den Achseln zucken, wenn sie gefragt werden: was feiern wir am Pfingstfest? In den letzten Tagen bekannt gewordene Umfrageergebnisse behaupten dies.

Haben die allermeisten Menschen wirklich den uns erschütternden Text mit seinen aufrüttelnden Bildern vergessen, den wir an jedem Pfingstfest als Festtagslesung hören?

- das Brausen vom Himmel her - wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt

- das Erscheinen von Zungen - wie von Feuer

- das Verteilen feuriger Zungen - auf jeden der Versammelten

- das Reden der vom Geist Ergriffenen - in fremden Sprachen, so, dass sie von all den Fremden verstanden werden...

Die von den Zeugen des Pfingstereignisses gewählten Bilder sind nicht zufällig. In der Heiligen Schrift sind Feuer und Wind uralte Symbole für die Anwesenheit Gottes. Gott kommt wie im Sturm, Gott kommt wie im Feuer. - Gottes Geist also kommt am Pfingstfest machtvoll zu den Menschen als sie ergreifende und verwandelnde Kraft.

Pfingsten, der fünfzigste Tag nach Ostern ist der "krönende Abschluss" der siebenwöchigen, österlichen Festzeit: also den Tagen, in denen wir dem liebenden, dem leidenden, dem sterbenden Jesus und dem zu neuem Leben auferstandenen Christus begegnet sind. Ja, das Herabkommen des Geistes ist die Vollendung des ganzen Lebens Jesu.

Die Sendung des Geistes schließt das alles ab, was durch Jesus von Nazaret in den ereignisreichen Jahren seines Lebens in die Welt gebracht wurde und zu uns Menschen gekommen ist.

In seiner Taufe am Jordan, während Jesus betete, kam der Heilige Geist von Gott her auf Jesus herab. Gottes Geist erfüllt Jesus ganz und gar. Sein unerhört wirkungsvolles Leben, seine heilsamen Worte, die er zu Menschen spricht; seine heilenden Taten, die Menschen verwandeln; sein Sterben in der Konsequenz seiner Liebe zu den Menschen: all das sind die greifbaren Wirkungen davon, dass Jesus ganz vom heiligen Gottesgeist durchdrungen war; sind Wirkungen davon, dass sich in Jesus dieser gute Geist von Gott einen leibhaftigen Ausdruck gegeben hat, dass sich in Jesus ein neues Leben zeigt, das für ewig in Gott Bestand hat.

"Erfüllt vom Heiligen Geist" (Lk 4,1), heißt es bei Lukas, geht Jesus durch sein Leben.

Der Heilige Geist, der am Pfingstfest wie Sturm und Feuer auf die Jünger Jesu herabkommt, ist also kein blutleeres Fluidum, kein unidentifizierbarer Hauch. Die Wirkungen des heiligen Gottesgeistes können wir in Jesus Christus sehen, hören, erfahren. Seine Gestalt, in ihrem neues Leben schaffenden Wirken am Menschen ist die leibhaftige Gestalt des Heiligen Geistes.

Das Pfingstfest weist nicht nur zurück auf Jesus Christus, in dem Gottes Geist ganz und gar zum Ausdruck gekommen ist. Das Pfingstereignis bringt zugleich auf den Punkt, was geschieht, wenn Menschen von diesem Ereignis zuinnerst ergriffen werden, wenn das Feuer des Heiligen Geist, der auf Jesus herabgekommen war und durch ihn gewirkt hat, auf andere Menschen überspringt, sie entzündet und von ihnen Besitz ergreift. So ist Pfingsten das Fest des großen Durchbruchs des Geistes von Gott her unter den Menschen: wie Feuer und Sturm. Das Pfingstfest zeigt, stellt vor, malt aus, was mit uns geschieht,

wenn wir uns von dem Geist erfassen lassen, der in Jesus Christus unter uns Menschen leibhaftigen Ausdruck gefunden hat,

wenn wir heute von dem Gottes-Geist reden, der Jesus Christus erfüllt hat,

ja, was mit uns geschieht, wenn wir nach ihm handeln, wenn sein Geist aus uns spricht und wenn wir aus seinem Geist leben. Selbst die Fremden werden uns verstehen...

So ist Pfingsten die Geburtsstunde der Kirche. Die Sendung des Geistes schließt uns das alles auf, was durch Jesus von Nazaret in den ereignisreichen Jahren seines Lebens in die Welt gebracht wurde und zu uns Menschen gekommen ist. Im Herabkommen des Gottesgeistes ist etwas unter den Menschen in Gang gekommen, eine Bewegung entstanden, die nicht wieder zum Stillstand kommt. Die Bewegung der von heiligem Geist bewegten Christen!

Christsein, liebe Schwestern und Brüder, ist nichts Behäbiges. Im Christsein ist das Brausen des kommenden Geistes lebendig, im Christsein brennt Feuer des Geistes: brennende Liebe, brennende Lippen ...

Christsein ist mutiges Zeugnis von "Gottes großen Taten", die in Jesus Christus geschehen sind. Die ergriffenen Christen stehen auf und reden ohne Furcht vor allen Menschen, vor allem Volk: alle reden, "wie der Geist es ihnen eingab". Und alle verstehen sie.

Aus der pfingstlichen Geisterfahrung entspringt zuallererst ein feuriges Aufstehen für das Leben und Handeln im Geist Jesu Christi. Ein begeisterter Glaube findet die richtigen Worte, um von den großen Taten Gottes und der heilsamen Botschaft Jesu Christi zu erzählen. Unsere verwirrte Zeit braucht heute ein brennendes, mitreißendes Zeugnis unserer Liebe zum Leben der Menschen.

Doch der Geist Gottes bleibt unverfügbar. Der Geist weht nicht dort, wo Menschen schon endgültig Bescheid wissen, wo Menschen meinen, selbst die großen Macher zu sein. Gottes Geist lässt sich auch nicht einfangen und nicht aufhalten. Christen, die vor Begeisterung glühen und im Geist Jesu handeln, verwandeln die Welt. Wenn der Geist weht, dann blähen sich die Segel und neue Fahrt ist möglich – auch in unserer Kirche.

Wollen wir heute mitreißend, fesselnd und verständlich reden? Spüren wir, und wichtiger noch, spüren die Menschen an uns und aus uns das Feuer und den Sturm des Geistes? Brennen unsere Zungen, wenn wir der Welt die Frohe Botschaft verkünden?

Uns ist schon aufgetragen, der Welt von den großen Taten Gottes und der heilsamen Botschaft Jesu Christi zu verkünden. Aber unsere Tage brauchen besonders ein mitreißendes, ein brennendes, tätiges Zeugnis unserer Liebe zum Nächsten. Dann verbinden die Menschen mit Kirche nicht mehr die Vorstellung von einer trägen Institution mit ihren so leidigen Menscheleien und konfessionellen Verengungen. Dann stürmt die Geist-Erfahrung auch den Alltagstrott unseres oft allzu braven Lebens als Christen in der Kirche.

Pfingsten als Geburtsstunde der Kirche erschüttert uns und öffnet den Blick darauf, dass unser Zeugnis mit Handeln zu tun hat. Pfingsten öffnet das Herz zur Hingabe an Gott und die Menschen; bewirkt in uns Zuwendung zu den Armen, den Bedrückten und Unterdrückten, bewirkt tätige Aufmerksamkeit für die Benachteiligten und Gefährdeten. Pfingsten in uns bewegt uns zu einem feurigen Aufstehen und Eintreten für die, die selbst einen schweren Stand haben und Menschen brauchen.

"Komm Heil‘ger Geist, der Leben schafft, erfülle uns mit deiner Kraft!"

Amen.

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