Bischofspredigt

Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt anlässlich der Altarweihe der Sülchenkirche

Hier an diesem Ort wird jetzt spürbar, aus welchen Wurzeln wir erwachsen sind. Hier können wir erfahren, dass wir selbst eingebettet sind in das, was Frauen und Männer über viele, viele Generationen hinweg geglaubt und gehofft haben. Sülchen ist ein besonderer Ort, von dem aus auch wir heute Hoffnung schöpfen dürfen.

Schrifttexte: L.: 1 Petr 2, 4-9; Ev.: Lk 19, 1-10

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

eine Kirche ist von sich aus bereits ein einladender Raum, in den wir eintreten, um in gewisser Weise in eine andere Welt zu kommen. Wir erleben dies heute morgen. Eine Kirche ist ein einladender Ort, der uns in festliche und feierliche Stimmung versetzen kann, wie es heute der Fall ist. Er kann uns in eine größere Ruhe führen. Kirchenraum als stiller und doch festlicher Raum, kann uns Raum geben, für unsere Sorgen und Nöte und für unsere Trauer. Wenn wir in die Kirche gehen mit unseren Gedanken, Stimmungen, Gefühlen, zu bestimmten Anlässen, dann betreten wir einen erhabenen Raum, der über die Alltagswelt hinausreicht. Und uns eine andere Wirklichkeit ergreift.

Kirchen sind Orte, in denen heilsame Begegnung möglich wird: die Begegnung mit Gott, der sich uns schon längst zugewandt hat und auf unsere Antwort wartet; die Begegnung mit dem Nächsten, der mit seinen Sorgen und Anliegen, mit seiner Freude und Glück auf die Gemeinschaft mit dem anderen hofft; die Begegnung mit uns selbst, mit unseren eigenen Wünschen und Sehnsüchten, mit unserer Angst und unseren Zweifeln; die Begegnung mit der Vergangenheit und Gegenwart, mit den vielen Menschen, die mit uns glauben und vor uns geglaubt haben, und schließlich in der Begegnung mit der Welt, die mit ihren Herausforderungen und Ansprüchen an den einzelnen und die Gemeinschaft herantritt und einem jeden die Auskunft abverlangt.

Liebe Schwestern, liebe Brüder, wie ist es Ihnen ergangen? Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie heute die Sülchenkirche betreten haben? Welche Gedanken, Bilder und Empfindungen sind Ihnen gekommen, wurden lebendig in Herz, Seele und Geist?

Über sechs Jahre lang war die Sülchenkirche verschlossen. Aus vielen Begegnungen in den letzten Jahren weiß ich, wie schmerzlich dies für viele von Ihnen war. Hier war ja nicht nur irgendein Bauwerk unzugänglich. Der Domgemeinde fehlte ein wesentlicher Ort. Dem Sülchenfriedhof, auf dem viele Generationen Rottenburger Familien begraben sind, war für einige Jahre die geistliche Mitte unzugänglich.

Mit der heutigen Altarweihe, mit der Wiedereröffnung der Sülchenkirche geht diese Zeit nun zu Ende. Die Sülchenkirche hat wieder eine Gegenwart und eine Zukunft. Und sie ist und bleibt, was sie war: Ein zentraler Erinnerungsort für die Verstorbenen der Domgemeinde und der Ort des Gedenkens an die Bischöfe der Diözese, der Generalvikare und Domkapitulare. Von Beginn an ein Ort der Hoffnung auf Auferstehung für die, die hier begraben sind und für uns, die wir die Begrabenen aufsuchen.

Liebe Schwestern und Brüder, zunächst ist die Sülchenkirche ein steinernes Zeugnis. An ihr ist eine lange und wechselhafte Baugeschichte sichtbar. Sie ist erbaut auf den Mauern aus vielen Jahrhunderten. Die Steine in ihrem Mauerwerk zeugen von Vorgängerkirchen, die bis ins 7. Jahrhundert zurückgehen. Lange haben die Menschen hier ihre Glaubensgeschichte baulich sichtbar gestaltet und geformt. Schon früh war die Sülchenkirche dem heiligen Martin geweiht. Die Erinnerung an dieses Patronat lebt heute im Dom fort und in unserer Martinsdiözese. Hier in der Sülchenkirche und in der frühen Verehrung des Heiligen Martin an diesem Ort, liegen die Ursprünge der Identität unserer im Verhältnis noch jungen Diözese.

Liebe Schwestern, liebe Brüder, vielleicht hatten Sie auch Gelegenheit, den Archäologen des Landesdenkmalamts über die Schulter zu schauen. Vorsichtig haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter dem steinernen Zeugnis eine lange und lebendige Glaubensgeschichte freigelegt. Heute Nachmittag werden wir mehr darüber erfahren.

Als im Jahr 2010 beschlossen wurde, die Sülchenkirche zu sanieren, hatte niemand geahnt, dass dieser Ort einzigartige Schätze birgt. Unter Nässe, Morast und Moos kam zum Vorschein, was wir heute dankbar als unsere tiefen geistigen und geistlichen Wurzeln annehmen dürfen. Hier haben unsere christlichen Vorfahren gelebt, hier haben sie geglaubt, hier wurden sie getauft und hier sind sie bestattet: im Glauben an die Auferstehung von den Toten.

Seit 1869 sind auch die Bischöfe der Diözese hier zur Ruhe gebettet. Die Bischofsgruft erinnert daran, dass die Bischöfe stellvertretend für alle Gläubigen in der Diözese hineingenommen sind in einen größeren Zusammenhang. Die Sülchenkirche ist ein besonderer und einzigartiger Erinnerungsort der Heilsgeschichte Gottes mit uns Menschen.

Hier an diesem Ort wird jetzt spürbar, aus welchen Wurzeln wir erwachsen sind. Als Gläubige sind wir Pilgernde durch die Zeit: unterwegs zu einer Heimat jenseits von Heimat. Hier können wir erfahren, dass wir selbst eingebettet sind in das, was Frauen und Männer über viele, viele Generationen hinweg geglaubt und gehofft haben. Hier können wir den Geist spüren, der unsere Vorfahren begeistert hat.

Sülchen ist ein besonderer Ort, von dem aus auch wir heute Hoffnung schöpfen dürfen. Sülchen ist ein kraftspendender Ort. Er kann uns ermutigen, an dem festzuhalten, was für unsere Vorfahren gläubige Gewissheit war: Der Glaube an Jesus Christus als unseren Erlöser und Heiland. Hier können wir spüren, dass die Diözese Rottenburg-Stuttgart Teil einer christlichen Kultur ist, die auch heute noch Menschen im Glauben geborgen sein lässt. Hier können wir Kraft sammeln, die Welt zu gestalten, weil Gottes Zukunft uns entgegenkommt. Kirche ist von lebendigem Stein getragen, schreibt Petrus. Sie ist getragen von Ihnen, liebe Schwestern und Brüder, von Ihrer Gemeinschaft.

Liebe Schwestern und Brüder, der Altar, den ich nun weihen werde, steht zwar architektonisch nicht in der Mitte der renovierten Kirche. Dennoch ist er geistliche Mitte dieses Kirchenbaus. So wie das Herz das Lebenszentrum unseres Körpers ist, so will es dieser Altar hier für Sie werden.

So wie Jesus die Menschen um seinen Tisch versammelt hat, so sind auch Sie eine Gemeinschaft, die Jesus Christus in der Feier der Eucharistie um sich versammelt – die durch den Geist Jesu Christi vereint in der Welt Zeugnis gibt durch die Kraft des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung. Dieser Altar will Sie immer wieder neu ausrichten auf das „Geheimnis unseres Glaubens“: Die gemeinsame Feier der Eucharistie hier an diesem Altar ist Ursprung, Mitte und Ziel unseres Kirche-Seins: Deinen Tod oh Herr verkünden wir, deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit.

Ausgehend von diesem Ort kann eine andere Wirklichkeit über uns hereinbrechen. Vor zwei Tagen haben wir das Fest Allerseelen gefeiert. In der Hoffnung auf diese andere Wirklichkeit haben wir unserer Verstorbenen gedacht. Als Christinnen und Christen wissen wir: ihre und unsere Zukunft liegt nicht im Kreislauf der Natur. Ihre und unsere Zukunft liegt in Jesus Christus, dem Auferstandenen, der die Wunden unseres Lebens heilt und so neues Leben gibt: das ewige Leben in der Gemeinschaft mit Gott.

Da geschieht dann auch heute die wunderbare frohe Botschaft, dass Menschen sich „als lebendige Steine zum geistigen Haus“ (1 Petr 2,5) aufbauen lassen. Der Geist Jesu Christi durchweht unsere Kirche jeden Tag neu. Wann sollten wir uns ihm besser stellen als an einem solchem Tag, wo uns diese Kirche an unsere Mitte erinnert: „Kommt zum Herrn, dem lebendigen Stein!“ (1 Petr 2,4).

Amen.

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